Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Freitag, 9. September 2016
Ich bin ein Bayernversteher
- na ja, meistens jedenfalls
Dass die Unterscheidung in links und rechts als politische Klassifizierung weitgehend untauglich geworden sei, wird vornehmlich gern von Rechten und Kryptofaschisten behauptet. Um damit die Grenzen zu verwischen. Ach komm, auch wir sind doch irgendwie ein Stück weit links, lautet der fiese Subtext, ist eh alles ein Brei. Wir sind doch nicht wirklich rechts. Das ist nicht nur schlicht falsch, weil link etwas anderes ist als links, sondern auch ein alter Hut. So war ja auch die SPD in ihren Hochburgen zu ihren Hochzeiten, etwa dem Ruhrgebiet der Siebziger, niemals sonderlich progressiv, geschweige denn links. Zumindest nie so, wie sie von rechtskonservativen Linkenfressern, die hinter jeder Straßenlaterne die Weltrevolution dräuen sahen, stilisiert wurde.
Daher sollte man sich auch im Umgang mir der CSU immer wieder klar machen, dass auch diese Partei einen nicht minder gewaltigen Januskopf spazieren trägt. Das, was der Seehoferhorst, der Södermarkus und andere ein ums andere Mal so krachert verlauten lassen, hat mit dem, was vor Ort geschieht, in Gemeinderäten und Landkreisen, bestenfalls sehr am Rande zu tun. Da herrscht vielerorts viel Liberalitas Bavariae, leben und leben lassen. Ordert jemand irgendwo fleischfreien Leberkäs und alkoholfreies Weißbier, dann ist zwar nicht gesagt, dass er das auch bekommt, zumindest nicht immer und überall, aber ein Skandal wäre das schon lange nicht mehr. Genauso wenig - Achtung, Spannungsbogen jetzt! - wie ein Sozialdemokrat, der bei der Fronleichnamsprozession den Baldachin trägt. Die Welt hat sich eben weiter gedreht, auch im Freistaat ist längst eine mit Privatfernsehen und Internet sozialisierte Generation herangewachsen.
Ein Großteil der Flüchtlinge, die letztes Jahr gekommen sind, sind über Bayern gekommen. In Bad Reichenhall, wo die Balkanroute endet, waren es zeitweise mehrere Tausend pro Tag. Man kann durchaus sagen und sollte das auch unbedingt tun, dass es im letzten Jahr diesbezüglich kaum woanders so viel selbstverständliches bürgerschaftliches und zivilgesellschaftliches Engagement gegeben hat und teils noch gibt wie im CSU-regierten Bayern. Das alles übrigens weitgehend geräuschlos, ohne großes Federlesens und Klagen. Während sie im ach so multikulturellen und weltoffenen Berlin, wo man trotz allen Goodwills und dank eines totgesparten öffentlichen Sektors ein veritables Desaster anrichteten, half man in Bayern aus einer ganz simplen, praktischen Menschlichkeit heraus und ohne großartige Zeichen setzen zu wollen. Da waren Menschen, die dringend Hilfe brauchten, also galt kein Diskutieren, sondern musste angepackt und z'sammeng'holfen werden. Gut vernetzte Dorfgemeinschaften und Kleinstädte können unschlagbar sein bei so was.
Wer also aus dem Gepolter von Horst Seehofer und anderen Parteigranden den Schluss ziehen will, bei der CSU nebst all ihren Mitglieder und Sympathisanten handele es sich im Prinzip um nichts anderes als einen xenophoben AfD-Anbiederverein, macht es sich nicht nur zu einfach, sondern tut auch sehr vielen guten Leuten bitter unrecht. Vielleicht ist dieser Spagat ja damit zu erklären, dass die Christsozialen noch am ehesten das sind, was man eine echte Volkspartei nennt bzw. als letzte den Anspruch erheben (können), eine zu sein. Mag man sich bei der Schwesterpartei CDU inzwischen nolens, volens, damit abgefunden haben, dass erstmals seit ihrer Gründung eine echte, dauerhafte und ernst zu nehmende Konkurrenz von rechts heranwächst, hält man in Bayern offenbar eisern am alten Prinzip fest, dass rechts von der CSU nur noch die Wand kommen dürfe.
Vielleicht ist - pure Hypothese - , auch Hotte Seehofers Besuch bei Viktor Orban daher auch so zu erklären, dass sich da nicht zwei dicke Freunde und Geistesverwandte gegenseitig ihrer Sympathie versichert haben, sondern dass Seehofer findet, es sei trotz allem besser, mit einer protofaschistischen, autoritären Arschkrampe wie Orban irgendwie im Gespräch zu bleiben, auch wenn es Überwindung kosten mag, als ihm brüsk alle Türen zuzuschlagen. Die gute alte Ostpolitik, ob der ihrerzeit Konservative und Rechte Krämpfe bekamen, lässt grüßen. Vielleicht ist alles abgekartet und Seehofer sichert für Merkel die osteuropäische Flanke, wer weiß das so genau? Außenpolitik war von jeher ein klandestines, ein sehr pragmatisches, mitunter zynisches Feld. Das mag sicher zur allgemeinen Politikverdossenheit beitragen, Außenpolitik aber deswegen ideologisch aufzuplustern, ist erfahrungsgemäß eine noch schlechtere Idee.
Der langen Rede kurzer Sinn: Es sollte deutlich geworden sein, dass ich, wenn ich mir Mühe gebe, ein echter Bayernversteher, ja in Teilen sogar ein Seehoferversteher sein kann. Ich weiß, teils aus eigener Anschauung, dass die bayerische Bevölkerung in Teilen viel entspannter und viel weiter ist als ihre so krachledern auftretende Regierung ahnen lässt und dass die Dinge vielleicht nicht immer das sind, was sie zu sein scheinen, erst recht in der Politik. Doch auch mein Verständnis hat Grenzen.
Am Beispiel der Causa um die fette Steuernachzahlung, die die Firma Apple aufgebrummt bekommen hat, lässt sich unter anderem sehr schön studieren, dass der öffentliche Diskurs sich seit 2008/09 schon ein Stück verschoben hat. Davor hätte sich vermutlich noch eine Hilfstruppe neoliberaler Lobbyistenlautsprecher in die Brust geworfen: Apple hat doch recht! Steuern sind böse! Staatlich legalisierter Taschendiebstahl! Leistungsfeindlich! Kapital ist ein scheues Reh! Steuern hinterziehen ist kein Verbrechen, sondern ein Akt der Notwehr! Nunmehr, anno 2016 steht Apple-Supremo Tim Cook mit seinem, mit hilflos durchaus treffend charakterisierbaren Versuch einer Replik, die EU-Forderungen beruhten bloß auf Antiamerikanismus, reichlich begossen da und alle schütteln bloß den Kopf, und zwar weltweit. Wenn es also jemals in den letzten 20 Jahren ein Klima gegeben hat, internationale Großkonzernen endlich wieder zum angemessenen Steuernzahlen zu vergattern, dann jetzt.
Und was macht er, der Södermarkus? Verkündet vorauseilend, er würde jenen Teil der Apple-Milliarden, die Deutschland zustehen könnten, gar nicht haben wollen, da er sonst, auch wegen des drohenden Aus der TTIP-Verhandlungen, einen Handelskrieg mit den USA befürchte. Entschuldigung, wie bitte? Wie übersetzt man 'Atlantikbrückenzäpfchen' noch mal ins Bayerische? TTIP, das sollte jedem halbwegs aufgeklärten Bürger inzwischen geläufig sein, ist in den USA mindestens genauso umstritten wie in Europa, wenn auch im Detail vielleicht aus anderen Gründen und gilt auch dort politisch weitgehend als erledigt. Im Prinzip geht es nur noch darum, wer den schwarzen Peter für das Scheitern bekommt.
Also, was treibt Söder an? Glaubt er ehrlich, niedrige bis gar keine Steuern für Unternehmen würden Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen? Anders gesagt: Steckt er immer noch im schönsten neoliberalen Schnäppchendenken der Neunziger und Nuller und hat so gar nichts bemerkt? Dann wäre er so anachronistisch und rückwärtsgewandt wie es den Bayern oft und gern unterstellt wird, aber mehrheitlich bloß auf deren politische Klasse zutrifft.
4 Kommentare :
Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.
Abonnieren
Kommentare zum Post
(
Atom
)
Den Söderkommentar zu Apple kann ich auch nicht nachvollziehen. Die Notwendigkeit der Stammtischparolen der Bayrischen Landesregierung schon eher. In meinen Augen dienen sie auch als ein wichtiges Ventil für die Bayern, quasi zum Dampfablassen. Man schimpft halt, dass so viele kommen und hat dann, wenn man seinem Ärger Luft gemacht hat, den Kopf frei, um anzupacken und zu helfen. Etwaige Probleme können in einem solchen Klima auch deutlich leichter öffentlich angesprochen werden, ohne gleich als Miesmacher oder Rechtspopulist zu gelten.
AntwortenLöschenDas ist doch mal ne These: Öffentliches Schimpfen und Meckern, ist der demokratischen Kultur förderlich! :)
Im Ernst: ich hatte mir im letzten Jahr immer mal wieder ausgemalt, was wohl geschehen wäre, hätten die vielen Flüchtlinge und Migranten nicht in Bayern und BaWü deutschen Boden betreten, sondern in Brandenburg, Meckpomm oder Berlin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es dann Tote gegeben hätte - und zwar nicht wenige.
So lange das öffentliche Schimpfen und Meckern keine Naziparolen enthält und dann auch andererseits noch so gehandelt wird wie vielfach in BY, habe ich damit ja auch absolut kein Problem.
LöschenMeiner Erfahrung nach ist Leberkäs in Bayern so gut wie immer zumindest leberfrei. Leberkäs mit Leber drin habe ich erst hier in BaWü kennengelernt (wo das andere Zeug „Fleischkäse“ heisst).
AntwortenLöschenVöllig korrekt, Leberkäse hat etymologisch nämlich weder was mit Leber noch mit Käse zu tun.
Löschen