Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Montag, 19. Februar 2018
#DenizFree
Natürlich freue ich mich, dass Deniz Yücel freigelassen wurde. Dass er es geschafft hat, diktatorisch tickende Arschgeigen gleich in zwei Ländern gegen sich aufzubringen, ist definitiv ein Zeichen, dass der Mann seinen Job kann. Und je mehr hier diejenigen, die sich einreden, für das Volk zu sprechen, weil sie Kommentarspalten fluten, schäumen und sich empören, desto besser geht es mir. Dass dieser dahergelaufene "Kameltreiber" (André Poggenburg) und "Kümmelhändler" (Poggenburg) unsere schöne Presse- und Meinungsfreiheit missbraucht hat für sarrazin- und deutschfeindliches Geschmiere, das sie nicht müde werden auszubuddeln (und aus dem Zusammenhang zu reißen), werden sie ihm eh nie verzeihen. Und obzwar wohl auch Erdogan als "Kameltreiber" (Poggenburg) und "Kümmelhändler" (Poggenburg) gelten muss, dürften nicht wenige insgeheim ein wenig neidisch sein auf dessen Möglichkeiten, unliebsame Stimmen quasi nach Belieben ins Loch werfen zu lassen.
So erfreulich es ist, dass Yücel auf freiem Fuß ist, so bitter ist es natürlich, dass gleichzeitig sechs türkische Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Bitter ist es aber auch, mit anzusehen, wie die Superchecker der Nation sofort superschlüssige Erklärungen parat haben und auch genau wissen, was da garantiert für Deals gelaufen sind. Witzig wie immer, dass diese Leute exakt das machen, was sie dem 'Mainstream' so gern vorwerfen. Sich mit der erstbesten Erklärung zufrieden zu geben nämlich. Nur dass es eben keine aus den 'Mainstream-' bzw. 'Systemmedien' ist, sondern eine, die man sich entweder selbst zusammenklabustert oder aus 'alternativen Quellen' bezogen hat. Denen man halt 'irgendwie' vertraut. Warum auch immer.
Natürlich haben Staaten keine Freunde, sondern nur Interessen. Selbstverständlich wäre es naiv, es für ausgeschlossen zu halten, dass es entgegen den offiziellen Verlautbarungen Deals gegeben hat. Nur war es auch von jeher so, dass Außenpolitik und Diplomatie komplexe, nicht immer leicht, erst recht nicht von außen zu durchschauende Geschäfte sind, in denen viele Währungen gelten und die sich nicht in simple Schwarz-weiß- bzw. Quid-pro-quo-Schemata pressen lassen. Und so ist es, mirabile dictu!, sehr wohl möglich, dass Yücels Freilassung nicht allein an einen weiteren Leopard-Deal oder an klandestine Milliardenzahlungen gebunden war, sondern auch auf außenpolitischem Kalkül beruht.
Klar kann man spekulieren und selbstverständlich ist es immer geboten, Institutionen und Autoritäten infrage zu stellen. Nur zeugt es andererseits nicht eben von Klugheit, eher von Selbstüberschätzung, sich für schlauer zu halten als das Auswärtige Amt, auch wenn man dessen Tun nicht gutheißt. Gefährliche Verblendung ist es, Diktatoren und Autokraten wegen ihres zum Teil befremdlichen Gebarens für deppert zu halten. Im Gegenteil, Diktaturen sind viel fragilere Konstrukte als stabil funktionierende Demokratien, sich dauerhaft an der Spitze zu halten, erfordert unter anderem auch eine Menge Cleverness. Auch Erdogan ist nicht so blöd, wie er sich gemacht hat bzw. von seinen Kritikern gemacht wird. Ihm ist höchstwahrscheinlich bewusst, dass sein aggressiver Anti-Europa-Kurs bzw. Anti-Deutschland-Kurs, der vor allem der Stabilisierung nach innen und seiner Machtposition diente, in eine diplomatische Sackgasse, wenn nicht ins Abseits geführt hat. Dafür hat er gewisse Nachteile in Kauf genommen, wie etwa den Einbruch der Tourismusbranche.
Wer Erdogan wegen des Flüchtlingsdeals stärker redet als er ist, geht im Zweifel seiner wahlkampftaktisch bedingten Großsprecherei der letzten Jahre auf den Leim. Yücel saß wegen völlig normaler journalistischer Arbeit in Untersuchungshaft, weil Erdogan im Wahlkampf als harter Hund punkten wollte, der den frechen Deutschen zeigt, wo der Hammer hängt. Weil der Prozess womöglich zur Farce geraten wäre, die türkische Wirtschaft schwächelt und die Position im Abseits da nicht hilfreich ist, war die Causa Yücel nach einem Jahr zum Ballast geworden und es ging darum, die Sache wieder aus der Welt zu schaffen auf eine Weise, bei der beide Seiten ihr Gesicht behalten.
Nun gut, es hat höchstwahrscheinlich einen Deal gegeben, alle entsprechenden Dementis waren bloß pro forma. So what? Yücel war eine Geisel und die bekommt man anders normalerweise nicht frei. Muss man nicht gut finden, sich aber auch nicht moralinsauer drüber echauffieren. Dieses fast allgegenwärtige, wie mir scheint sehr deutsche Ressentiment gegen Politik als 'schmutziges Geschäft' aber, die Abneigung gegen jedwede 'Deals' (als ob Politik, Außenpolitik zumal, jemals etwas anderes gewesen wäre), der Hang, Diplomatie als zynisches (in anderen Zeiten und Kreisen gern auch mal als jüdisches) Geschacher und als Kungelrunde zu denunzieren, stimmt einen dann doch mulmig und trübt die Freude. Dahinter steckt, wie Stefan Gärtner richtig anmerkt, eine fast schon mythische Sehnsucht nach moralisch sauberer, 'ehrlicher' Politik ohne Zweideutigkeiten, eine nicht eben unproblematische Gier nach Klarer Kante. Die, also die Sehnsucht, ist zwar irgendwie verständlich, aber wohl nie wirklich einlösbar. Und weil das so ist, führt das bei vielen zu permanenter Frustration, die sie immer weiter in ihre Filterblasenschmollwinkel treibt. Und das verstehen die eingangs genannten hervorragend für sich zu nutzen.
Apropos: Frau Weidel irrt, wenn sie Deniz Yücel Deutschenhass unterstellt. Der Mann ist allenfalls deutschkritisch. Dieser feine Unterschied sollte der Co-Suprema einer politischen Vereinigung, in der überdurchschnittlich viele empört für sich in Anspruch nehmen, lediglich 'islamkritisch' zu sein, keinesfalls aber etwas anderes, eigentlich bewusst sein.
1 Kommentar :
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vgl.: https://jungle.world/artikel/2012/33/kann-ganse-welt-komm
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