Donnerstag, 15. November 2018

Sabbaticals sind scheiße


Ha, Aufmerksamkeit generiert! Hab ich Sie drangekriegt. Vielleicht sollte man es differenzierter ausdrücken und sagen: Längere berufliche Auszeiten, allgemein als Sabbaticals bekannt, werden in der Regel maßlos überschätzt und je penetranter sie propagiert werden als Wundermittel gegen ausbeutungsbedingte Abgespanntheit und andere Gebresten, desto verdächtiger wird es.

Da wäre zunächst einmal das Problem, dass man sich so ein Sabbatical überhaupt erst leisten können muss. Will man während einer Auszeit nicht jeden Cent umdrehen, sollte man was gespart haben. Oder man muss, wie bei den bisher üblichen Modellen, einige Jahre auf einen Teil des Gehalts verzichten, um so eine Art Guthaben für das freie Jahr zusammen zu haben. Um auf einen Teil verzichten zu können, muss man allerdings erst einmal genug verdienen. Damit wären diejenigen, die vielleicht am dringendsten eine längere Pause bräuchten, nämlich die, die in krank machenden, mies bezahlten Drecksjobs ohne jegliche Aus-, geschweige denn Aufstiegschance festsitzen, von vornherein ausgeschlossen.

1.000 steuerfreie Euros pro Monat will SPD-Generalsekretär Klingbeil alle zwölf Jahre für ein Jahr springen lassen. Um denjenigen, die das bisher nicht konnten, so ein Sabbatical zu ermöglichen. 1.000 Euro. Es gibt Städte, und es werden immer mehr, in denen das kaum mehr für eine durchschnittliche Monatsmiete reicht. Steuerfrei sollen sie sein, die 1.000 Euro. Und Krankenkasse wird auch übernommen. Aha. Und die Rentenversicherung, der dickste Batzen unter den Sozialversicherungen? Klingbeils Vorschlag läuft darauf hinaus, dass diejenigen, die als Werktätige schon jeden Euro umdrehen müssten, das während ihrer einjährigen Pause erst recht müssten. Reisen? Neue Horizonte? Wovon denn?

Einfach eine Zeitlang der Arbeit fernbleiben können, mag ja nett sein, kuriert aber keinen Burnout, keine Depression und hilft erst recht nicht gegen die Ursachen des Elends. Im Gegenteil, wer unter seinem Job leidet, vielleicht gar psychisch, gerät dadurch vielleicht noch mehr unter Druck. Wer schon einmal wegen arbeitsbedingter Überlastung länger krank geschrieben war, kennt das (ich kenne das selbst zu Glück nicht, aber genügend, bei denen das so war): Die erste Zeit ist toll, aber je näher der Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Knochenmühle rückt, desto mehr steigt der Druck. Ich kenne Leute, die sich in so einer Situation kranker als vorher wieder zur Arbeit geschleppt haben. Weil sie wochenlang gegrübelt haben. Wird mein Arbeitsplatz noch der alte sein? Werden die Kollegen mich noch akzeptieren? Kann ich die Arbeit überhaupt bewältigen?

Natürlich kann man so ein Sabbatical nutzen, um sich über den weiteren Weg klar zu werden, sich vielleicht umzuorientieren. Dazu aber braucht es unter Umständen bestimmte professionelle Hilfsangebote, die auch nicht gratis zu haben sind. Wie soll Klingbeils Zielgruppe - Menschen, die so wenig verdienen, dass sie sich ein Jahr Pause eigentlich nicht leisten können - die Mittel dafür aufbringen? Einfach nur sagen: Jetzt hast du frei und kannst mal in aller Ruhe über alles nachdenken, mag einigen vielleicht helfen, aber bestimmt nicht allen. Wer nie Muße gelernt hat, wird seine Probleme haben, plötzlich so viel Zeit zu haben.

(Außerdem folgte das dem zunehmend grassierenden Schwachsinns-Imperativ, gefälligst auch seine Freizeit keineswegs einfach so zu vergammeln, sondern gefälligst 'produktiv' zu nutzen. Die Welt ist schon voll genug mit Leuten, die mit den Projekten angeben, die sie im Urlaub gestemmt haben bzw. zu stemmen gedenken. -- "Also, wir waren dieses Jahr vier Wochen in Mumbai und haben ein Waisenhaus gebaut. Nächstes Jahr fahren wir nach Afrika und machen mit, ein Krankenhaus in der Savanne aus handgeformten Elefantenkot-Ziegeln zu bauen. Du müsstest nur mal die dankbaren Augen der Einheimischen sehen. Also im Urlaub einfach nur rumhängen, das könnten wir echt..." - "Ja, schön, ich sehr gut. Schnauze!")

Sabbaticals für alle sind bestenfalls ein Doktern an Symptomen. Man vermeidet damit, die Ursachen zu benennen, die Menschen erst so erholungsbedürftig werden lassen und kippt statt dessen etwas weiße Salbe darüber. Und weil die von Klingbeil propagierte Mogelpackung nur für wenige wirklich infrage kommt, wird es auch garantiert bei etwas weißer Salbe bleiben.




2 Kommentare :

  1. Erinnert sich noch irgendjemand daran, daß es in Deutschland ein recht auf bildungsurlaub gibt?

    Daran mußte ich beim lesen des textes gleich denken, denn das ist auch eine tolle sache, die sich genau wie das sabbatical auf dem papier sehr gut macht, mit dem realen berufsalltag der meisten leute aber unvereinbar ist. Das dürfte wahrscheinlich ein größeres problem sein, als daß viele des herumlungerns unkundig sind und meinen, ständig mit irgendwas beschäftigt sein zu müssen.

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  2. Ein rhetorischer Vorteil bürgerlicher und demokratisch organisierter Gesellschaften bleibt relativ unangefochten bestehen:
    Die Widersprüche dieser Gesellschaft, die sich aus ihren Reproduktionsbedingungen ergeben und sofern sie nicht mehr geleugnet werden können, werden durchaus nicht geleugnet sondern thematisiert, um sie in einem Nebel des "Für und Wider" zu neutralisieren, sie unschädlich zu machen.

    Und so gibt es für alle gesellschaftlichen Probleme sog. Experten, diese sog. Spezies, die Erklärbären für's gemeine Volk.
    Und so ist das z.B. mit der Altersarmut, mit den niedrigen Renten natürlich " auch wieder stark übertrieben", "reine Panikmache". Das sagt dann ein Experte, der natürlich auch einen Titel als Prof. an einer deutschen Uni hat.

    Die Begründung ist so lächerlich, dass ich mir erspare, darauf weiter einzugehen: Mindestlohn und Minijobs inzwischen doch auch sozialversichert.

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