Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Samstag, 29. Juni 2019
Zitteraale
Vor ziemlich genau drei Jahren passierte es: Ich hatte mir bei einem Arbeitsunfall das Handgelenk angeknackst, musste einen Gips tragen, war krank geschrieben und durfte sechs Wochen lang weder radfahren noch schwimmen; auch Auto fahren war tabu. Weil ich es keine Option fand, mich daheim einzuigeln, die Vorhänge zuzuziehen und die Decke anzustarren, nahm ich mir jeden Tag einen mindestens einstündigen Fußmarsch vor. Um Frischluft, Tageslicht und Kondition zu tanken. Eines Tages ging ich so meiner Wege, es war ähnlich drückend heiß wie die Tage, als mir 500 Meter vor meiner Wohnung plötzlich schwarz vor Augen wurde. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten, fing am ganzen Körper zu zittern an und war froh, es zur nächsten schattigen Parkbank zu schaffen.
Nach fünf Minuten war ich so weit wieder da, dass ich langsam nach Hause gehen konnte. Dort angekommen, trank ich beinahe eine Flasche Mineralwasser auf Ex und hatte einen Jieper auf Süßes, dem ich nachkam, indem ich einem angefangenen Schokoladenosterhasen, den ich noch im Kühlschrank hatte, den Garaus machte (Schokolade pflegt bei mir normalerweise ein hohes Alter zu erreichen). Danach legte ich mich für eine Stunde hin und war wieder halbwegs fit. Nach einer Tasse Kaffee und einer weiteren Flasche Wasser.
Was war denn da los gewesen mit mir? Gut, zugegeben, ich trage zwar ein wenig einen Ranzen mit mir herum, dafür rauche ich nicht, bemühe mich normalerweise darum, nicht den ärgsten Schrott zu essen und achte darauf, mir regelmäßig Bewegung zu verschaffen, indem ich mehrmals die Woche schwimme und radle. Blutwerte so weit okay, keine bekannten Krankheiten. Vielleicht kurz unterzuckert gewesen. Vor allem aber werde ich mir wohl einfach zu viel zugemutet haben. Zu dem Zeitpunkt war ich 47 Jahre alt. Also nicht mehr wirklich in der Hochblüte meiner Jugend, wie ich mir eingestehen musste. Die Karkasse fängt halt irgendwann unweigerlich das Schlappmachen an, man kann es nicht verhindern, bestenfalls hinauszögern. Man ist eben kein Roboter.
Ein paar Tage später traf ich in der Stadt einen alten Schulkollegen, der sich seit vielen Jahren als Internist verdingt. Als ich ihm von der Sache erzählte, verpasste der mir branchentypisch gleich einen Anschiss: Wie um alles in der Welt ich bei dieser Extremwetterlage, bei über 35 Grad im Schatten und bei Ozon- und Feinstaubwerten jenseits von Gut und Böse auf die generalentkernte Idee habe verfallen können, am späten Mittag einen Gewaltmarsch durch die pralle Sonne zu unternehmen. Wahrscheinlich noch ohne Hut und anderen Sonnenschutz. Kein Wunder, dass ich da beinahe aus den Pantinen gekippt sei. Bei so einem Wetter gelte die eiserne Regel: Ab in den Schatten und ruhig halten, bloß nicht anstrengen, wenn irgend möglich. Er habe schon weit jüngere Übermotivierte kollabieren sehen, so was ende gern einmal in der Notaufnahme.
Worauf ich hinauswill: Angela Merkel ist jetzt fast 65 und seit 14 Jahren Bundeskanzlerin. Das ist, was immer man von ihr und ihrer Amtsführung im einzelnen halten mag, ein strapaziöser Job, der an niemandem spurlos vorbeigeht. Rammelvoller Terminkalender. Ungeregelte, im Zweifel zu lange Arbeitszeiten, die regelmäßiges Sporteln oft verhindern. Ungesundes Essen, das man der Höflichkeit halber meist nicht ablehnen darf (verfügt man nicht über die Selbstzucht eines Mahatma Gandhi, nimmt man zudem immer zu viel, wenn irgendwo ein Imbiss gereicht wird). Dazu der ewige Jetlag von der Fliegerei, die Nachtsitzungen, die Verhandlungsmarathons. Nicht wenige Politiker aller Couleur, so ist zu hören, stehen ihr Pensum nur mit Alkohol, Medikamenten oder anderen Substanzen durch.
Es liegt mir fern, übermäßiges Mitleid mit Frau Merkel zu haben, sie wollte Kanzlerin werden, sie ist es und möge damit klarkommen. Zumal man ihr weiß Gott vieles vorwerfen kann, aber bestimmt nicht, dass sie andauernd auf den Arm will. Weiterhin ist es Teil professionellen Arbeitens, seine Belastungsgrenzen im Blick zu halten und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Und trotzdem ist auch sie offenbar nicht davor gefeit, überraschend mit ihren physischen Grenzen konfrontiert zu werden. Erst recht in dem Alter und bei dem Wetter. Mein eingangs geschilderter Beinahe-Kollaps hat mich damals auch aus heiterem Himmel getroffen, im vollen Bewusstsein, wenn schon nicht unverwundbar zu sein, aber doch wohl zu wissen, was ich mir so zumuten könne und was nicht. Dumm gelaufen.
Es ist verständlich und nachvollziehbar, dass Menschen, die ihr persönlich und politisch näher stehen als ich, sich Sorgen machen. Aber man sollte das strikt trennen vom Politischen bzw. der Amtsführung. Wir leben nämlich im 21. Jahrhundert und die Zeiten, in denen regelmäßig Bulletins über das Befinden diverser Hoheiten veröffentlicht wurden ("Seiner Majestät waren nach dem Genuss von Erdbeeren fünf Minuten lang unwohl. Die Prinzessinnen erlitten durch die große Hitze Schweißflecken unter den Achseln. Die Gräfin lächelte kühl, was in der Schwüle des Abends allgemein als angenehm empfunden wurde."), sind schon länger vorbei. Es sei denn, der Verdacht drängt sich förmlich auf beim Durchsehen einiger Berichterstattung, nicht wenige hegen nach wie vor ein in Teilen vormodernes Verständnis von Staat und Herrschern.
Selbst wenn Frau Merkel ernstlich angegriffen sein sollte, dann sollte eine funktionierende Administration auch dann fluppen, wenn die Chefin mal ein paar Wochen nicht da ist. Davon geht Deutschland nicht unter. Willy Brandt trieb bekanntlich Raubbau mit seiner Gesundheit und ist immer wieder wegen schwerer Depressionen ausgefallen, manchmal wochenlang. Man hat das alles irgendwie hinbekommen. Es gibt Vizekanzler, die in so einem Fall übernehmen und das wichtigste unterschreiben, auch gibt es Staatssekretäre, die Termine übernehmen können. Kein Grund zur Besorgnis.
Es gehört zu den unbestreitbaren Vorteilen moderner Demokratien, dass sie eben nicht um das Charisma eines Herrschers gebaut sind, ihr Wohl und Wehe daher nicht, wie in Diktaturen und absoluten Monarchien, am Gesundheitszustand des Regenten hängt. Und daher kommt es in Demokratien normalerweise auch kaum zu beschämenden Szenen, in denen todkranke, kaum mehr zurechnungsfähige Staatsoberhäupter und/oder Regierungschefs fitgespritzt und durch die Straßen geschleppt werden. Nein, wer nicht mehr kann, wird entweder abgewählt oder tritt beizeiten zurück, es gibt Neuwahlen und weiter geht‘s.
Man darf davon ausgehen, dass Ärzte konsultiert wurden. Und dass viele von denen, die sich über Frau Merkels Gezitter auslassen, deutlich jünger sind als sie. Das muss genügen. Müsste. Tut es aber nicht in Zeiten, in denen nicht wenige glauben, das Angucken dreier YouTube-Videos mache einen zum Experten.
Denn da wären da neben den kryptomonarchistischen Klatschweibern noch meine speziellen Freunde aus jenem Milieu, das man grob als 'rechtspopulistisch' bezeichnen darf. Die faseln nicht nur gern von Vernunft und Anstand, sondern widersprechen sich einmal mehr selber. Und zwar insofern, als dass sie zwar andauend rumjammern von wegen, man dürfe ja nichts mehr sagen in dieser linksgrünversifften Meinungsdiktatur, gleichzeitig aber nicht müde werden, den gröbsten Blödsinn zu verzapfen, der eben alles andere als verboten, gelöscht oder unterdrückt wird. Von Parkinson bis Alkoholismus reichen die Ferndiagnosen der Gesundheitsexperten. Die in anderen Fragen wie etwa dem Klimawandel gern mal einen Dreck auf Wissenschaft geben.
"Noch mal: Darüber zu berichten ist legitim. Aber es wird eben nicht nur berichtet. Es wird gedichtet, gehöhnt und gegafft. [...] Merkel wird all das aushalten. Sie hat ihr Zittern nicht im Griff. Andere Leute haben eher Hirnprobleme; beziehungsweise hapert es in der Region, wo der Anstand angesiedelt sein sollte. Das größere Übel liegt woanders: in der Botschaft, dass in der Politik nur roboterartige Figuren unterwegs sind, die nie schwach sein dürfen. Wenn doch, kann man mit ihnen alles veranstalten, inklusive Ferndiagnosen und Kamerafahrten unter die Gürtellinie." (Georg Löwisch)
Ehrlich, die nervösen Zuckungen geistiger Zitteraale wie Donald Trump oder John Bolton bereiten mir zur Zeit deutlich mehr Kopfzerbrechen. Da mag Frau Merkel konvulsivisch zuckend unterm Tisch liegen.
4 Kommentare :
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Kommentare zum Post
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Peter Altmeier, Siegmar Gabriel und Joschka Fischer haben im Äquatorbereich einen Radius, der bei jedem Kardiologen Alarmsignale auslösen müßte, denn sie schleppen jede Menge viszerales Bauchfett mit sich herum und haben eine äußere Bauchfettschicht, die als sog. metabolisches Syndrom bestimmte herzschädigende Hormone produziert. Gabriel hat, wie man sehen kann, eine strenge Diät hinter sich. Ob es reicht?
AntwortenLöschenIm Gegensatz zu der Blendgranate aus der Uckermark alles Hochrisikopatienten, über die sich aber niemand vergleichbar aufregt, weil über 60 % der Männer in Deutschland, darunter eben auch viele Journalisten, Übergewicht haben. Silberrücken unter sich.
Nachtrag:
AntwortenLöschenhttps://tinyurl.com/y6quv47h
Sigmar Gabriel hat sich, wie es heißt, vorletztes Jahr einer Magenverkleinerung unterzogen.
LöschenWenn man aus Wut auf "Merkels Gäste" - wie es in den sich in erster Linie an diesem völlig normalen Vorfall ergötzenden Kreisen so beniemt wird - nichts Besseres findet, dann muss eben auf persönlicher Ebene beleidigt werden.
AntwortenLöschenHeute sinkt für Sie und wieder einmal: Das Niveau...