Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Samstag, 14. März 2020
O tempora Corona!
Inmitten der grassierenden Poputz-Papier-Panik (vierfache Alliterarion! Was sind das für Zeiten!) stellt sich heraus, dass man in einigen Punkten die ganze Zeit recht hatte. Man fühlt sich wie der irre Wissenschaftler aus diesen B-Filmen der Fünfziger und Sechziger. "Ich hatte recht! Die ganze Zeit! Muhahahahaha!"
Nehmen wir Urlaubsreisen. Habe ich seit jeher eine Abneigung gegen. Nix gegen reisen und Tapetenwechsel. Tue ich gern. Ich setze mich dann recht kurzfristig ins Auto oder den Flieger (Buhhh, Flugscham!) und komme bei lieben Menschen unter, die dort wohnen, wo es schön ist bzw. in deren Nähe. Salzburger Land, England. Mansfelder Land. Im Oldenburgischen. Oder ich fahre einfach los und gucke, dass irgendwo ein Zimmer in einer Pension frei ist. Und grinse mir eins über alle, denen sich jetzt nackte Angst in die Gesichtszüge gräbt, ob ihre gebuchten Malle-/Tunesien-/Türkei-Pauschalspäße abgeblasen werden.
Die Digitalisierung hat einst den Nerd vom pickligen, ungevögelten Freak zum Master Of The Universe gemacht, Corona wird den zurückgezogenen Stubenhocker, der es sehr gut mit sich allein aushält, zum evolutionären Erfolgsmodell machen. Ich habe es im Urin. Läuft!
Zumal sich zunehmend offenbart, dass die Menschheit wohl nicht am Corona-Virus zugrunde gehen wird, sondern eher an ihrer Dummheit. Fußballspiele ohne Fans? Kein Problem, drängelt die feiergeile Fanblase sich halt zu tausenden vor den Stadiontoren zusammen. Merken die noch was? Vermutlich in etwa so viel wie die Weltmeister, die in Krankenhäusern das Desinfektionsmittel aus den Spendern klauen.
Wo wir gerade beim Thema sind: Donnie Trump jedenfalls hat vorgesorgt. Seine Wiederwahl gesichert. Wenn nämlich, wie von Leuten prognostiziert, die mehr Ahnung haben als ich, das in jeder Hinsicht überforderte, da komplett durchkapitalisierte US-Gesundheitssystem alsbald kollabieren wird unter der Corona-Krise, kann er seine Presidential Order vom März aus der Schublade ziehen und sagen: "Ich war das nicht, das war schon so! Die Europäer waren‘s! Grenzen dicht!". Es dürften sich genug seiner hohlraumversiegelten Anhänger finden, die ihn auch dafür feiern und wiederwählen werden.
Wieso aber Großbritannien, das er explizit ausgenommen hat vom Einreisestopp, für ihn nicht zu Europa gehört, wird wohl auf ewig sein Geheimnis bleiben. Man kann das alles nachlesen. Trump hat das Corona-Virus tatsächlich ein "ausländisches Virus" genannt. Vor ein paar Jahren hätte man nicht geglaubt, dass die USA sehr bald einen Präsidenten haben würden, gegen den George W. Bush sich wie ein Intellektueller ausnehmen würde.
Und immer, wenn du denkst, dümmer geht‘s nicht mehr, kommen von irgendwo Homöopathen daher und faseln was von göttlichem Licht und Nosoden zusammen.
Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders. Vielleicht hilft Corona auch Vernunft und Sozialismus zum Durchbruch. Wie das?
Stellen wir uns nur einmal folgendes vor: Eine Menge Menschen kommen gezwungenermaßen plötzlich auf den Trichter, dass für einen Fußballfan das Leben auch ohne regelmäßige Bundesliga und Champions League-Konferenzen weitergeht und sogar ganz okay ist. Lebenswert geradezu. So okay, dass von diesen Leuten nicht wenige auf einmal sich fragen: Wozu zahle ich eigentlich die ganze Zeit soundsoviel Euro im Monat an Sky/DAZN/Eurosport? Die ganze millardenschwere Fußball-Pay TV-Werbe-Wettblase verlöre schlagartig sehr viel an Luft. Und sehr viele Menschen müssten plötzlich wieder einer sinnvollen Arbeit nachgehen. Im Gesundheitswesen zum Beispiel.
Denn jetzt kommt es noch doller: Was, wenn es Abermillionen Menschen auf der Welt langsam dämmerte, dass globalisierter Turbokapitalismus vielleicht doch nicht so das Nonplusultra menschlicher Entwicklung ist? Noch mehr: Dass solidarische Zusammenarbeit besser für alle ist als jeder für sich und gegen jeden und so ein bisschen Sozialismus keineswegs auf Mauerbau, Stasi und Staatsterror hinauslaufen muss? Spätestens wenn Die WirtschaftTM, in die Der StaatTM sich ja um Himmelswillen nie einmischen darf, abermals ganz sozialistisch vom Steuerzahler wird gerettet werden müssen, werden solche Fragen sich noch dringender stellen als 2008.
"Soziale Verwerfungen bei Kriegsende wahrscheinlich." (Romain Rolland, 1916)
Oder, noch härter: Wenn die Menschen plötzlich herausbekommen, dass die so genannten 'sozialen' Netzwerke keineswegs ernstzunehmende 'alternative Informationsquellen' sind, sondern überwiegend Zeitverschwendung, da pure Bullshitschleudern. Weil dort überwiegend durchgeknallte Wichtigtuer Blödsinn verbreiten, der allein deshalb Gehör findet, weil irgendwelche kryptischen Algorithmen dabei helfen. Und dem ganzen Geschäftsmodell der Stecker gezogen wäre. Ja, das wäre fast zu schön, um wahr zu sein.
Man wird ja wohl noch träumen dürfen.
7 Kommentare :
Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.
Abonnieren
Kommentare zum Post
(
Atom
)
Ist dir auch aufgefallen, wie die Zeugen Jehovas feixend in der Fußgängerzone stehen und den "Wachturm" plötzlich selbst lesen. Sie sind die einzigen, die den Weltuntergang überleben werden. Wäre ich doch nur rechtzeitig beigetreten.
AntwortenLöschenMir geht es wie dir: Plötzlich ist meine Schlumpfigkeit der neue Hipster-Trend. Ich wohne in einem Kuhkaff, fahre so gut wie nie in die Stadt, weil ich kein Auto habe, hocke tagelang allein in meiner Hütte und arbeite schon seit 2012 im Homeoffice. Gut, ich habe zwanzig Kilo zugenommen und bin auf dem Fitness-Level von Horst Seehofer. Aber ich muss mich wenigstens wegen Corona nicht umstellen.
Zumal eine gewisse körperliche Reserve bei Infektionskrankheiten und anderen Gebresten, die an die Substanz gehen, die Lebenserwartung signifikant erhöht - Yes!
LöschenDas sage ich ja auch immer. Wenn schlechte Zeiten kommen - ich habe meine Altersvorsorge "am Mann". Seit 2012 war ich nicht mehr im Ausland, letztes Jahr war es CO2-cool, jetzt ist es Corona-cool. Und die bucklige Verwandtschaft muss ich auch nicht besuchen. Herrliche Zeiten.
AntwortenLöschenAndererseits hätte an diesem Wochenende die Formel 1-Saison begonnen und Sky hatte versprochen, Fußball kostenlos live zu übertragen. Ich hatte mir extra einen fetten Terminplan neben den Rechner gelegt, damit ich den Überblick nicht verliere. Zum Glück kam diese Woche die Clockwork Orange-DVD.
Sehr fromme Wünsche. Wir wissen ja, was nach dem arabischen Frühling passiert ist. Das Resultat hierzulande wird ein noch feudalistischeres System werden. Denn dagegen haben die Leute nix. Nur gegen ihren Platz am Futtertrog. Incorporated ist näher, denn je.
AntwortenLöschenNatürlich sind das fromme Wünsche. Ich habe nichts anderes behauptet.
LöschenWo wir schon am Träumen sind: müssten neben Kneipen, Kinos, Theatern und Museen nicht auch die Kasernen schliessen? Stell Dir vor es ist Krieg und alle bleiben zuhause...
AntwortenLöschenDie Militärs machen doch schon länger home-office.
Löschen