Mittwoch, 24. März 2021

Jenseits der Blogroll - 03/2021

 
Mit Anbruch der letzten Woche des Monats bricht bekanntlich auch die Zeit für die monatliche Linksammlung an. Uns allem steht in der Nacht auf Sonntag wieder die Umstellung auf die Sommerzeit bevor. Und da muss man wirklich sagen, dass die grassierende Pandemie auch ihr Gutes hat. Nirgends wird man dieses Mal mit Schlaubigeschlumpfe behelligt darüber, wie sehr der die Galaxie im Innersten erschütternde Vorgang, dass die Uhren um eine Stunde vorgestellt werden, unser aller Leben zur Hölle macht, Hekatomben an Schulkindern fürs Leben traumatisiert und am Lernen hindert und so fort. Hat also alles auch sein Gutes.

Politik/Gesellschaft. Sophie Passmann über neue bürgerliche Mittelschichten. Unter anderem Menschen, die Pizza mit Pinienkernen mampfen. Giftig, bissig, klar, gut. Paywall. Abonnenten möge es erfreuen.

"Vor ein paar Jahren haben Arschlöcher angefangen, jedes Mal, wenn jemand Pizza gegessen hat, zu erwähnen, dass das ursprünglich mal ein Arme-Leute-Essen war, ungefähr dieselben Arschlöcher haben dann ein paar Jahre später Pizzerien eröffnet, in denen man Ziegenkäse, Rote Bete und Honig auf Pizza schmeißt, zur Not auch geröstete Pinienkerne - Hauptsache, arme Leute können es sich nicht mehr leisten. In diesen Pizzerien steht aggressiv auf Tafeln, dass alle Pizzen mit Fior di Latte zubereitet würden, an den Wänden Plakate von italienischen Filmen, das Salz in umfunktionierten Smoothie-Gläsern auf dem Tisch." (Passmann, ebd.)

Die US-Politologin Nancy Fraser über das Dilemma des progressiven Neoliberalismus.

Interview mit der französischen Publizistin Caroline Fourest über Islamismus, Charlie Hebdo und die Linke.

Ulrich Land zeichnet die Geschichte der körperlichen Züchtigung in der Erziehung nach
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Cordt Schnibben ist so eine Art 'Spiegel'-Urgestein. Der ehemalige Redakteur und Ressortleiter war mal einer der Gründe, das damalige Nachrichtenmagazin gelegentlich zur Hand zu nehmen. Berühmt wurde seine Reportage (die ich online leider nicht auftreiben konnte), in der er 1984 die neue Grand-Prix-Strecke des Nürburgring mit einem Citroen 2CV abfuhr. Hin und wieder erscheint noch mal was von ihm. Etwa ein groß angelegtes Essay über das Coronavirus.

Robert Misik antwortet u.a. mit Sigmund Freud auf die Frage, warum welche, die sich politisch eigentlich nahestehen müssten, sich oft am heftigsten bekämpfen.

Natascha Strobl über die Nähe der 'Querdenker' zur politischen Rechten.

Kultur/Feuilletong. Clemens Böckmann mit einem unbequemen Befund: Wie große Teile der hierzulande weitgehend von öffentlichem Geld abhängigen Kulturszene in Zeiten der Pandemie ihre Unverzichtbarkeit und Systemrelevanz überschätzen.

Maximilian Schäffer interviewt Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt über das Phänomen der Influencer.

Christine Prayon zelebriert zeitgenössische Lyrik. Heute das Werk 'Nussloch' eines gewissen Mario Barth.


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Heuer wird die 'Maus' bekanntlich 50. Ein Interview mit Christoph Biermann. Der mit dem Schnauzer und dem grünen Pulli. Supertyp.

Sport. Thomas Ziemer erläutert, wie aus 'Kloppo', dem Mainzer Ersatzspieler, der Welttrainer Jürgen Klopp wurde. Es ist übrigens kein Zufall, dass im Südwesten Deutschlands, der neben Klopp auch Thomas Tuchel, Volker Finke und Ralf Rangnick hervorbrachte, die Modernisierung des deutschen Fußballs ihren Anfang nahm.

Seit Ralf Rangnick 1998 im 'Aktuellen Sport-Studio' an der Taktiktafel erklärt hat, wie Viererkette geht, haftet ihm nicht ganz zu unrecht der Ruf des 'Fußball-Professors' an. Nota bene: Noch bei der desaströsen EM 2000 spielte die DFB-Auswahl um Loddarmaddäus mit Manndeckern und Libero, als seien es die Achtziger.


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Andreas Rüttenauer ist ziemlich genau ein Jahr älter als ich. Das mag ein  Grund sein, wieso sein Verhältnis zur deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Herren seit 1990 so viele Parallelen zu meinem aufweist.

Essen/trinken/gut leben. Zwei mal Vincent Klink. Einmal mit einem schönen Stück über Saucen. Und mit einem über Cucina povera, die traditionelle italienische Armenküche. Warum die eine Kunst ist und etwas völlig anderes als armselige Geizkragenkocherei mit Maggificks-Tütchen.

"Wirkliche Armenküche hat große Tradition und Würde, und je geringwertiger die Zutaten, umso schwieriger und kreativer das Gericht. [...] Italiener […] sind, gerade im Süden, häufig an allem arm, nur nicht an Sinnlichkeit. Sie schwelgen in einem solchen kulinarischen Fachwissen, dass sich in Deutschland jeder zweite Hobbykoch in die Ecke stellen müsste, um sich dort zu schämen. Es gibt in Deutschland viele Menschen, die sich aus Stumpfsinn mit schlechtem Essen abfinden und ohne Not den Löffel an die verbrecherische Nahrungsmittelindustrie abgegeben haben." (Klink, ebd.)

Das Rezept. Der Winter verabschiedet sich spürbar und die Temperaturen werden milder, doch wir frönen nicht herdentierhaft dem Run auf 'frühlingshaft Leichtes', sondern holen den Suppenkessel aus dem Schrank und werfen den Ofen an. Die Nächte können immer noch kalt werden, trotz MESZ. Gratinierte Zwiebelsuppe nach Pariser Art (Soupe à l'oignon aux Halles) ist einer dieser Klassiker, mit dem in (West-) Deutschland ab etwa den 1970ern kulinarische Weltläufigkeit demonstriert wurde. Bei uns daheim sah das so aus, dass alle paar Samstage zwei Tüten 'Meisterklasse'-Zwiebelsuppe nach Packungsanweisung zubereitet wurden. Das Ergebnis wurde mit einer Toastscheibe und Scheiblettenkäse belegt und im Elektrogrill überbacken. Oh, là, là!

Höhepunkt des Grauens war ein Abend in den Neunzigern, an dem eine Bekannte Zwiebelsuppe kredenzte. Selbst gekocht nach französischem Originalrezept, wie sie nicht müde wurde zu beteuern. Nur dass dies Originalrezept offenbar auffallend viel einer Zutat namens Cube de stock enthielt und die Zwiebeln halbroh waren. Zur Krönung des Ganzen rührte sie den Inhalt einer 500-Gramm-Tüte geriebenen Emmentalers in das Gebräu, der bald zu einer bocciakugelgroßen, quasi unverdaulichen Masse koagulierte. Meine Bemerkungen auf dem Heimweg trugen mir damals den Vorwurf ein, ein Snob zu sein.

Hier muss dringend einmal eine Lanze gebrochen werden für Snobismus. Der ist ein Motor von Zivilisation und Kultiviertheit und hat, einem hierzulande verbreiteten Irrglauben zum Trotze, absolut nichts zu tun mit dem armseligem Geprotze nach unten tretender Breitreifenmenschen, die es nötig haben zu demonstrieren, wie sehr unsere Armut sie ankotzt. Damit, doof mit Geld um sich zu werfen, hat Snobismus so wenig zu tun wie mit Arroganz (womit wir wieder am Anfang wären). 
 
Richtig verstanden, bedeutet Snobismus Orientierung am Besten. Vier liebe Menschen zu bewirten mit einem Coq au Riesling aus einer Maispoularde kommt billiger als für vier Personen Pizza zu bestellen. Es braucht dazu: Hingabe, Interesse und Leidenschaft. Dazu die Bereitschaft, sich Arbeit und sich nicht gemein zu machen mit jenem graubrotenem Erbsensuppenfrugalismus der Marke 'Hauptsache satt und billig', der jeden Anflug von Verfeinerung sofort als Dekadenz und Verrat denunzieren muss.

Womit ich nichts gegen eine Erbsensuppe dann und wann gesagt haben will. Auch gegen eine aus dem Karton mit der Hand gemampfte Pizza ist nichts einzuwenden. Nur sollte man das nicht zu lukullischen Glanzleistungen überhöhen, erst recht nicht zu Idealen. Puh, ist länger geworden. Musste aber mal raus.

So, Zwiebelsuppe. Gratiniert. Ein schönes Beispiel für die in Frankreich verbreitete Fähigkeit, aus einfachen Zutaten (Zwiebeln, Butter, Weißwein, Bouillon, Brot, Käse) etwas Großartiges zu machen. Bei Frau Ziii steht wieder mal, wie das gehen kann. Und dass mir keiner anderen Käse verwendet als Comté oder Gruyère!







2 Kommentare :

  1. Ich nehm ja immer Steinbeißer-Bergkäse zur Zwiebelsuppe. Ums mit einem Franzosen zu sagen: Ihr mögt uns verurteilen, aber verurteilt uns für das, was wir sind.

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    1. Bergkäse ist in der Tat eine in der warmen Küche schmählich unterschätzte Zutat. Wenn hinterher nur die Bude so entsetzlich miefen würde.

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