(Nur) Zu Gast

 
Nach zirka einem Jahr der Pandemie macht sich bemerkbar, dass auch die Stadtverwaltung im Homeoffice sich befindet. Man hat sich offenbar tolle Sachen ausgedacht. Überall in der Stadt pappen sie jetzt diese lustigen Sticker aufs Bitumen und widmen Nebenstraßen zu Fahrradstraßen um. Über den Sinn und Zweck lässt sich streiten. Als Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer bilde ich mir ein, in die Sorgen und Nöte des jeweils anderen ein klein bisschen Einblick zu haben. Daher kann ich sagen: Ja, ist manchmal doof, aber längst nicht so dramatisch, wie es von Interessengruppen zuweilen dargestellt wird. Aber wir wollen nicht kleinlich sein.

Radfahrer sollen also als Verkehrsteilnehmer aufgewertet werden. Nicht schlecht, vom Prinzip her. Habe ich doch noch Zeiten erlebt, da man als Radler allenfalls geduldeter Störenfried im Stadtbild war und vom Fußstreifenmann andauernd irgendwelches 'Verwarnungsgeld' "angeboten" bekam, weil man mal wieder irgendwo geradelt hatte, wo man nicht durfte. Zum Beispiel in einer frühmorgendlich menschenleeren Fußgängerzone. Was da alles hätte passieren können, wäre der Schutzmann nicht so entschlossen eingeschritten! Nicht auszudenken!

Zur Erklärung sind an den neugewidmeten Fahrradstraßen diese Fetzen angebracht:

Soso. Radfahrer und Fußgänger dürfen hier nur 30 Sachen. Laaangweilig! Und Autofahrer sind 'Gäste'. Und was 'Gast' bzw. 'zu Gast', schlimmer: 'nur zu Gast' sein, in Deutschland in der Vorstellungswelt nicht weniger heißt, das wissen wir ja. Mehr so geduldet sein. Nicht Gastfreundschaft genießen, sondern gehorchen. Parieren. Noch eben den Müll mit runternehmen. "Sie sind hier nur zu Gast! Benehmen Sie sich gefälligst entsprechend." Mag ich nicht, dies Miefelnde, auch nicht als Auto- bzw. Radfahrer. Überhaupt ist 'nur zu Besuch' sein nur in seltenen Fällen etwas rundheraus Gutes. Auf dem Knast-Feld beim Monopoly-Spiel etwa. Im realen Knast. In dyskfunktionalen Horrorfamilien. Um nur drei Beispiele zu nennen.

Man hätte das übrigens anders haben können. Hätte nicht sein müssen. Einfach draufschreiben: Autofahrer und Radfahrer sind hier gleichberechtigt. Punkt. Gibt Länder, in denen die Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer auch weitgehend realisiert ist, zum Beispiel die Niederlande. Da wurde allerdings über viele Jahrzehnte in großem Stile in entsprechende Infrastruktur investiert. So was kostet. Da ist Stickerkleben und Fähnchenhängen natürlich billiger.