Seit Jahren gehe ich während der Wintersaison am späten Sonntagvormittag eine Runde im hiesigen städtischen Hallenbad schwimmen. Schwimmschluss für Männer war immer 12:15 Uhr, weil sonntags ab 12:30 Uhr das wöchentliche Frauenschwimmen stattfindet. In Corona-Zeiten wurde die Öffnungszeit des Bades von 15:00 Uhr auf 14:00 Uhr vorverlegt. Wegen Desinfektion. Daher muss ich immer schon um 11:45 durch sein. Unerhört! Meine Grundrechte sind beschnitten und meine Menschenwürde ist besudelt. In den Staub getreten. Zerfickt. Atomisiert. Zur Strafe werde ich mir ein Pappschild mit einem ausgesucht doofen Spruch drauf basteln und damit in Anführungsstrichen vor dem Rathaus 'spazieren gehen'. Das wird das coronafaschistische Dreckssystem lehren!
Im Ernst. Die meisten, die heute Maßnahmen des Staates "kritisch hinterfragen" und sich auf der Straße zusammenrotten, hat es jahrzehntelang einen Dreck interessiert, was der Staat so alles macht oder nicht macht. Vorratsdatenspeicherung, NSA, DSVGO, Staatstrojaner, Organspende Opt-Out, NSU-Affäre, Online-Durchsuchung... alles egal, alles fein, wer wird denn gleich? Pfff, mich betrifft's ja nicht. Wer nichts zu verbergen hat... Klar, Demos hat es hier und da gegeben, aber kein Vergleich mit der Spaziergeisterbahn, die momentan abgeht. Jetzt, wo es um einen kostenlos bereitgestellten Impfstoff zur Eindämmung einer Pandemie geht und wo ausnahmsweise der Einzelne mal gefordert ist, was zu tun, werden plötzlich alle zu scharfen Kritikern, die aber sowas von genau hinschauen und sich zu Opfern eines von ihnen herbeihalluzinierten faschistischen Staates aufspielen.
Überhaupt geht mir dieses kindische Umetikettieren von unangemeldeten Demos zu 'Spaziergängen' auf den Sack. Für wie blöd halten die einen? Das ist "prä-pubertäres Klein Mäxchen-Denken", wie es Onkel Michael so treffend formulierte:
"Eine Demonstration ist eine Demonstration, egal wie man sie nennt oder selbst definiert. Wenn etwas aussieht wie ein Haufen Opossumkacke, riecht wie ein Haufen Opossumkacke und sich anfühlt wie ein Haufen Opossumkacke, dann wird es schon ein Haufen Opossumkacke sein. Natürlich kann ich einen Löwen »Meerschweinchen« nennen, aber wenn ich versuche ihn zu streicheln, ist der Arm trotzdem ab. Und wenn ich zu Schokolade »Salat« sage, bringt die Diät auch nix. So eine Kinderkacke." (Onkel Michael, ebd.)
Apropos Geisterbahn: Ich verbitte es mir ferner dringend, dass die schöne, entspannende, Seele und Geist erquickende Übung des Spazierengehens von Querdeppen und anderen Honks in Misskredit gebracht wird. Gut, 'Querdenker' war schon vorher ein Attribut, das sich gern mal welche umhingen, die es irgendwie nötig haben. Wer sich heute noch allen ernstes so bezeichnet, kann sich außerhalb gewisser Bestätigungsblasen auch gleich eine Eselsmütze aufsetzten und ein Schild mit der Aufschrift "DEPP" um den Hals hängen. (Alternativ auch ein T-Shirt anziehen mit: "Absolvent der YouTube-Universität" drauf, was quasi dasselbe ist.) Aber sich in Zukunft schämen müssen fürs Spazierengehen? Das soll ihnen nicht gelingen.
Na ja, wenn man's so sieht... Aber früher, also damals, als selbst früher war alles besser noch besser war, da sind die Leute Sonntag Nachmittag spazieren gegangen. Die wurden auch öfter mal Opfer einer spitzen Feder oder scharfen Zunge oder eines Degenhard. Es waren die klassischen Spießbürger. Wenn du dir die flagellierenden "Spaziergänger" dieser Tage anschaust, dann sind es die gleichen Spießer - nicht ganz so selbstverständlich, sie tragen ihr Spießertum wie eine Zuchthausuniform und gleichzeitig als Monstranz vor sich her, dafür aber radikaler, mehr Spießgesellen als Spießbürger.
AntwortenLöschenDiese "Spaziergänger" sind wirklich rührend naiv. Als ob man in Deutschland mit Demonstrationen etwas ändern könnte. Vor Corona gab es allein in Berlin ca. 5000 angemeldete Demos im Jahr. Alle Veranstaltungen hatten eine Gemeinsamkeit: Sie haben nichts erreicht.
AntwortenLöschenBerlin, pffft... Fahr doch mal zum Kaiserstuhl!
AntwortenLöschenDa erzählen sie eine andere Geschichte von Demo & Erfolg.
Sehr geehrter Herr Rose,
AntwortenLöschenfür mich, der Schwimmen als Ausgleichsport zum Büroalltag betreibt war letzte Hallensaison (2020/2021) knapp sieben Monate Pause und jetzt wieder seit Oktober 2021 (Thüringen). Schwimmhalle (außer Schwimmunterricht und RheaKurse) zu. Die Schwimmhallen zwecks Kampf gegen Corona-Ausbreitung zu schließen ist eigentlich Nonsens. Wegen der üblichen Desinfektion (auch vor Corona) sollte es dort ja eigentlich keine Verbreitungsgefahr geben. Und wer erkältet ist, geht nicht schwimmen.
Die Schließungen betrachte ich schon als erhebliche Rechteeinschränkung, speziell dem der Gesundheitsvorsorge. Nach 25 Jahren Schwimmen mit Ü50 noch einen neuen Ausdauersport suchen ist schon bisschen blöde Situation. Zunmal ja gerade Schmimmen und Saunieren das Immunsystem stärken und Erkältungskrankheiten vorbeugen hilft, zumindist war es bis Ende 2019 so.
Einerseits wissen Sie selbst, dass wir immer noch im Kapitalismus leben (Binsenweisheiten: Klassengeselschaft, Staatsapparat ist Machtinstrument der herrschenden Klasse, Verflechtung von Politik und Wirtschaft). So zumindest mein Eindruck beim Lesen Ihres Blocks die vergangenen ca. acht Jahre. Dass Sie nun die Proteste gegen die aktuelle Coronapolitik so abbügeln verwundert mich dann doch sehr. Die vergangenen Wochen habe ich mir selbst ein Bild von den Spaziergängern gemacht. Es sind eben mehrheitlich keine Queerbürger und Reichsdenker.
MfG A. Eppner
Verehrter Herr Eppner,
AntwortenLöschendass Sie trotz mehrjähriger Lektüre dieses Blogs überrascht sind, dass ich ein Problem mit den Corona-Protesten habe, überrascht mich dann doch ein wenig.
Noch einmal: So kritikwürdig der Eiertanz der Politik sein mag, der Querdenker-/Protestbewegung muss man vorwerfen, ein medizinisches Problem, das fraglos auch viele politische Aspekte hat, auf ein politisches Problem zu reduzieren und medizinische Aspekte mit irgendwelcher Junk science wegzuwischen. Ach ja, wenn man Leute fragt, ist grundsätzlich niemand Querdenker/Reichsbürger/Nazi etc.
@Eberling: Treppenwitz des Jahrhunderts: TTiP hat 100.000 Leute auf die Straße gebracht. Erfolg: null. Da musste erst Donald Trump kommen...
@Anonym, 16:07: Zu den Widerstandshelden empfehle ich immer gern diese Kolumne von Ilja Trojanow.