Heute: Leo Fischer über den Niedergang der Linken
"[Selbst] hartgesottene Stammwähler*innen fragen sich, ob die Partei in ihrem jetzigen Zustand überhaupt in die Parlamente sollte, so völlig richtungslos zeigt sie sich. Da ist natürlich der Krieg, der jahrzehntelang gehegte Überzeugungen in Frage stellte - wie »Friedenspolitiker« auseinanderfallen, die Verständnis für jedes beliebige diktatorische Regime haben, solange es bloß nicht der Nato angehört, konnte man mit heißer Scham beobachten. [...]
Zu lange schon war die Partei selber nur Sammlungsbewegung, ja fast nur mehr Plattform. Eine gemeinsame Stimme war schon lange nicht mehr zu hören. [...] Charismatische Einzelpersonen sammelten mit wirren Manifesten und Social-Media-Agitation ihre eigene Clique; meist zentriert um Themen wie »Israel-Kritik«, subtiles Corona-Geschwurbel oder weltpolitische Analysen an der Grenze zur Verschwörungstheorie - hinter allem steckt die CIA! Das war nicht das Problem von »ein paar Idioten«, die »jede Partei nun mal hat«, sondern ein Haltungsschaden: Viele öffentlich wirksamen Personen in der Partei kochten ihr Süppchen, sahen sich als raffinierte Entristen in eigener Sache und nahmen die seltenen Einheitsappelle der Führung achselzuckend zur Kenntnis. [...]
Man könnte den Niedergang der Linken schade finden - die im Zuge von Krieg und Seuche drohende Verarmung großer Teile der Bevölkerung hätte eine linke Partei verdient, die Protest organisiert und verkörpert. Gleichzeitig: Eine Partei, die am liebsten Weltgewissen spielt, sich mit außenpolitischen Ferndiagnosen überhebt und einen Blödelbarden wie Dehm über »Menschheitsfeinde« schwadronieren lässt, hat ihren Niedergang auch ein bisschen verdient. Vielleicht ist er ja kathartisch." (nd, 1. April 2022)
Anmerkung: Eine linke Partei ist eigentlich immer im strategischen Nachteil: Ist sie im Parlament vertreten, ist sie Teil jenes Systems, das sie eigentlich überwinden will, sollte das aber nicht allzu laut sagen. Dann sind linke Gruppen von jeher, Fischer spricht's an, Sammelbecken für kompromissunfähige Selbstdarsteller, Glücksritter in eigener Sache, Frustrierte, Gescheiterte und Halbirre, die nicht dran denken, sich einer gemeinsamen Sache anzuschließen. Das kann man natürlich irre lustig und bunt finden. Nur ist es leider eine der ältesten politischen Gesetze, dass eine Partei, die nicht ein Minimum an Geschlossenheit hinbekommt, will heißen: sich wenigstens auf ein paar gemeinsame Punkte irgendwie zu einigen, nicht gewählt wird. Kann einem nicht passen, ist aber so.
(Überflüssig zu sagen, dass ich mich mit keiner politischen Bewegung gemein machen mag, in der Verschwörungssprallos und Antisemiten, die ihren Antisemitismus mehr schlecht als recht als 'Israelkritik' berüschen, mehr als nur eine skurrile Randerscheinung sind. Ebensowenig mit einer, die einem Ex-Genossen als Vehikel dient, seine ehemalige Partei in einem fort zu demütigen und zu bestrafen.)
Schließlich wäre da noch der Dauerfrust über die Beharrungskräfte des Kleinbürgertums: Zwar pflegen gar nicht mal so wenige Deutsche durchaus ein Ressentiment gegen den Kapitalismus, gegen 'die Reichen' oder 'die da oben', finden aber, wenn es hart auf hart kommt, das herrschende System mehrheitlich dann doch irgendwie alternativlos. Die SPD hat das begriffen. Ein bisschen sozialer Firnis, ein paar wohltätige Ankündigungen haben genügt, um die Linke sobutz fast aus dem Bundestag und völlig aus dem saarländischen Landtag zu katapultieren. (Fun fact: Auch die Grünen mussten erst lernen, dass viele Deutsche Klimaschutz und Umwelt zwar voll wichtig finden, aber sofort der Rollladen runtergeht, wenn sie ihren Lebensstil auch nur minimal ändern sollen.)
"Eine linke Partei ist eigentlich immer im strategischen Nachteil: Ist sie im Parlament vertreten, ist sie Teil jenes Systems, das sie eigentlich überwinden will, sollte das aber nicht allzu laut sagen."
AntwortenLöschenDeswegen sind so viele Sozen anno 1933 auch in die NSDAP eingetreten. Man konnte seine ehemaligen Parteikollegen, wenn man schnell genug war, gleich selbst folgenlos strangulieren.
Wird auf den Parteitagen eigentlich noch fröhlich die Internationale angestimmt?
Ein Ding, dass heute noch genauso funktionieren würde.
Tja, es ist eben die Zeit der Opportunisten...
AntwortenLöschenEike, hast Du verlässliche Zahlen dafür das ab 1933 reihenweise "Sozialisten" in die NSDAP eingetreten sind? Die würden mich sehr interessieren.
Es gibt wissenschaftlich anerkannte Studien und die Akten der NSDAP bestätigen das, dass besonders der Mittelstand der um seine eigene Existenz fürchtete, dass Gros dieser Partei bildete.
Parallelen zu heute sind erkennbar, siehe AfD, Pedigida, Coronaschwurbler...
In absoluten Zahlen war die Arbeiterschaft (33%) tatsächlich die grösste Gruppe, was ja nicht verwundert war sie zur damaligen Zeit ja auch gesellschaftlich die grösste Gruppe, aber bezogen auf die Bevölkerungsrelation waren, oho!, die Akademiker, gefolgt von den Bauern, die grösste Mitgliederzahl.
Es ist nicht nur die elende "Extremismustheorie" die historischen Unfug betreibt. Es hat sich gesellschaftlich ab 1945 im Bürgertum die Agenda durchgesetzt, dass die "Assis" eigentlich für den ganzen "Schlamassel" verantwortlich waren.
Ganz so einfach ist es nicht:
AntwortenLöschenhttps://de.wikipedia.org/wiki/Mitglieder-Aufnahmesperre_der_NSDAP
Ja, den Aufnahmestopp kenn ich, aber selbst der Wikidingenskirchen sagt ja auch nicht das explizit vermehrt "Sozialisten" aus der KPD bzw. SPD ausgetreten sind um in die NSDAP einzutreten (auch wer die Einzelnachweise kennt 1. u. 2. wird darin diese "These" nicht wieder finden).
LöschenEs ist übrigens nicht verwunderlich das wenn Parteien verboten sind, bzw. voraussichtl. verboten werden, ihre Mitglieder reihenweise austreten.
Ich habe in Dtl. noch eine Studie von Anfang der 1980er wo Parteikarten und Mitgliedslisten der NSDAP ausgewertet wurden (ist wohl bei Rohwolt erschienen), in absoluten Zahlen waren das Proletarier und auf Platz zwei, Bauern. In der Relation zur Bevölkerungsschicht waren auf Platz eins Akademiker, auf zwei Bauern und das Proletariat fand sich im hinteren Mittelfeld wieder.
Vg. https://epub.ub.uni-muenchen.de/5227/1/5227.pdf ab Seite 80 oder auch https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/parlamentarismus/drittes_reich
Löschensowie https://www.deutschlandfunk.de/spd-und-ns-vergangenheit-den-eigenen-widerstand-nicht-100.html
und viele weitere Publikationen.
Hast Du eigentlich schon Deine Autogrammkarten von den Klitschkos erhalten?
Guten Tag,
AntwortenLöschenich hatte in den letzten 3 (oder waren es 4) Bundestagswahlen die Linken aus Prinzip gewählt, da dort das Kapitalismus-Wischiwaschi der SPD nicht vorhanden war. Irgendwann wurde mir die Partei unsympathisch (immer weiter entfernt vom arbeitenden Bürger) — schade eigentlich.
Gruß
Jens
Lange genug hat es sich abgezeichnet. Der Versuch ist gründlich schiefgegangen, nahezu alle Parteien im eigenen Spektrum toppen zu wollen. Dabei gilt leider wie auch bei den Rechten, dass derlei Anbiedern meist nicht belohnt wird, sondern der Wähler beim "Original" bleibt.
AntwortenLöschenVerbunden mit dem Entfremden von der ursprünglichen Wählerschaft der Arbeiter und noch Ärmeren sowie dem Versuch, per Querfront auch noch am rechten Rand zu fischen, kann das nur in einer Pleite enden. Weiter kommt noch hinzu, dass sich eben viele der neudeutsch "abhängig Beschäftigten" nicht mehr als Proletariat im Sinne des klassischen Lohnarbeiters wahrnehmen, obwohl sie bis auf die schickere Pelle und einen vermeintlich besseren Job immer noch nichts Anderes sind. Das ist dieses gefühlte Zugehörigsein zu einer imaginären Mittelschicht. Geht´s mit dem regelmäßigen Einkommen in die Buxe, dann ist man ganz schnell "unten" bei denen, über die man sich bis dahin so erhaben fühlte inklusive der oft genauso verachteten und trotzdem als Konkurrenz wahrgenommenen "Ausländer" speziell aus der Dritten Welt.
So nebenbei zeigt das neben einer faktisch nicht mehr existenten und progressiven linken Bewegung die ganze Krux parteiengeführter Politik. Steht Parteidoktrin über der Basis, säuft der Laden ohne das Korsett aus Wirtschaft und Lobby eben ab. Eine SPD hat dabei jetzt mehr die Kurve wegen der unfähigen Konkurrenz bekommen als durch eigenes Wirken. So weit aus dem Fenster sollte diese sich daher genauso wenig lehnen wie die im Establishment endgültig angekommenen Grünen.