Dienstag, 21. Juni 2022

documentata

 
Das Schöne am Antisemitismus ist ja: Es gehört absolut kein Mut dazu. Wenn du nicht gerade eine halbe israelische Olympiamannschaft massakrierst, wird kein Mossad-Kommando ausrücken, dich zu liquidieren und es dann wie einen Unfall aussehen lassen. Es braucht ein bisschen Gratismut Marke "Wird man ja wohl noch sagen dürfen! Wosimmerdennhier?",  sonst nichts. Weil man's ja nicht sagen darf! Humbug. Man kriegt verbal auf die Mütze, sonst nichts. Schlimmstenfalls wird mal ein Bild abgehängt. Doof, ja. Aber sonst? Richtige religiöse Fanatiker offen zu kritisieren, dazu gehört mitunter schon mehr Mut, wie sich immer wieder gezeigt hat.

Wenn nun ein indonesisches Künstlerkollektiv, von dem einige Mitglieder bekanntermaßen Anhänger der BDS-Bewegung sind, eine der weltweit bedeutendsten Ausstellungen für Gegenwartskunst kuratiert und dabei auch Werke ausstellt, die klar antisemitische Klischees enthalten, wie soll man da reagieren?

"Im Bild Guernica Gaza des palästinensischen Künstlers Mohammed Al Hawajiri etwa wird eine Parallele zwischen Picassos Darstellung der von den Nazis zerbombten Stadt Guernica und dem Gazastreifen gezogen." (Stefan Weiss). Das mag, bedenkt man den Hintergrund des Künstlers, irgendwie noch als plumpe, geschmacklose NS-Analogie durchgehen, wenn auch eine schiefe. Zu bedenken wäre etwa, dass die Stadt Guernica 1937 völlig unverteidigt und daher wehrlos dalag, was man vom Gazastreifen nur teilweise behaupten kann.

Anders liegt der Fall bei dem Wimmelbild People's Justice des indonesischen Kollektivs Taring Padi: "Ein Soldat mit Schweinegesicht trägt ein Halstuch mit Davidstern und dem Schriftzug Mossad (Israels Geheimdienst) auf dem Helm. Eine andere Figur im Businessanzug ist mit Schläfenlocken, Vampirzähnen, blutunterlaufenen Augen, Schlangenzunge und einem Hut mit SS-Emblem dargestellt." (Weiss, ebd.)

BDS und ihre Sympathisanten behaupten oft und gern, es ginge ihnen allein um (legitime) Kritik an der Politik des Staates Israel. Also um konkrete Missstände in einer konkreten Gegend der Welt. Aber wenn das so ist, inwieweit sind indonesische Künstler davon betroffen? Oder soll das mehr symbolisch stehen? Für Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen weltweit (die Erklärung von Taring Pardi weist grob in diese Richtung)? Aber warum dann jüdische Symbolik? Wäre das dann genau nicht mehr Israelkritik, sondern -- Antisemitismus? Ist es nicht ein doppelter historischer Treppenwitz, wenn ausgerechnet in dem Land, in dem einst das Konzept 'Entartete Kunst' ersonnen wurde...? Fragen über Fragen.

"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit." (wahrscheinlich nicht Karl Valentin)

Die Fehlgriffe zu entschuldigen, indem man die Verantwortlichen nun behandelt wie dumme, aus einen unterentwickelten tropischen Tal der Ahnungslosen angereiste Halbwüchsige, die offenbar nicht wussten, was sie da taten, wäre erst recht ein Fehler. Denn das hieße nicht nur, Ausflüchten auf den Leim zu gehen, sondern auch, ihren postkolonialen Ansatz nicht ernst zu nehmen und ihnen mit kolonialer Lehrmeisterattitüde zu begegnen. Diverse Beteiligte werden akzeptieren müssen, dass Kunst in beide Richtungen läuft und angestoßene Diskussions- und Lernprozesse gegenseitig sind. Sich identitär auf Islamophobie und Rassismus rausreden zu wollen, wird jedenfalls nicht mehr genügen.

Die documenta-Verantwortlichen indes sollten vielleicht weniger den Eindruck erwecken, als sei das alles völlig unerwartet aus heiterem Himmel über sie hereingebrochen.





4 Kommentare :

  1. Guter und wichtiger Artikel, danke.
    Wer BDS bestellt, bekommt Antisemitismus geliefert.

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  2. "... angestoßene Diskussions- und Lernprozesse gegenseitig sind. ..."
    damit fängt das Dilemma ja schon an. Kunst sollte sich keinem ausschliesslich weltanschaulich oder und politischen Diktat unterordnen. Das geht schnell in die Hose und endet womöglich bei so etwas wie dem sozialistischen Realismus: Kunst im Auftrag des Staates. Ein wunderbares Lehrbeispiel der Kritik daran ist der Film "Werk ohne Autor".

    Gruß
    Jens

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    1. Die Idee, Kunst sei etwas Unpolitisches, dem Alltag Entrücktes scheint mir jedenfalls eine Art vermutlich aus der Romantik stammender deutscher Sonderweg und ist meist verdächtig. Nichts geschieht im luftleeren Raum.

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    2. "Nichts geschieht im luftleeren Raum."
      ... Yves Klein, Jean Tinguely, z. B. machten ihre Dinge bestimmt nicht im luftleeren Raum aber ohne politischem Pathos.
      So habe ich das gemeint. Anderes Beispiel: Tomi Ungerers "join the free and fat society" — ein starker politischer/weltanschaulicher Bezug, der sich gleichzeitig auch wieder durch die Überspitzung / Satire zurücknimmt.

      Gruß
      Jens

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