Mittwoch, 17. August 2022

Unreformierbar?

 
"An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern." (Erich Kästner)

Der Trubel um die frischgebackene Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger ist überwiegend armselig und dient vor allem dazu, das System des öffentlich-rechtlichen-Rundfunks weiterhin für seine Profiteure am Laufen zu halten. Aller Wahrscheinlichkeit ist die Dame, wiewohl allzuviel Mitleid mit ihr unangebracht ist, ein Bäuer:innenopfer. Weil die Causa Schlesinger denjenigen hervorragende Argumente liefert, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk drastisch zusammenstreichen oder gleich ganz abschaffen wollen, gerät dessen Geschäftsmodell unter Druck. Da wirft man die lieber die raffgierige Hexe der Öffentlichkeit zum Fraße vor, bevor es einem selbst ans Leder geht.

Oh, und apropos Hexenjagd: Es handelt sich auch nicht um ein sinsitres Komplott des Patriarchats, um eine Starke FrauTM aus dem Amte zu mobben. Ein Christian Wulff wurde einst wegen dreistelliger Kleckerbeträge (private Übernachtung nicht angegeben und so) aus dem Amte gejagt. Ob und inwieweit sich in Schlesingers Chefinnen-Gebaren eine tumbe neureiche Gier offenbart, ein kleinbürgerliches Krachenlassen der Marke "Ich hab’s geschafft!", mögen welche beurteilen, die sich mit so was auskennen. Wirklich Reiche dürften aber für dergleichen pömplige Peanuts wohl nur ein mitleidiges Lächeln übrighaben.

Die Lady hat, vielleicht aus einer entsprechenden Mentalität heraus, mitgenommen, was sie halt mitnehmen konnte. Das kann man unmoralisch nennen oder verwerflich. Dass aber kaum jemand ein System infrage stellt bzw. überhaupt mal fragt, was das für ein System ist, in dem so etwas möglich ist, und in dem Beschwerden der Innenrevision wegen Compliance-Verstößen einfach weggewischt werden, und zwar über Jahre, ist mindestens genau so problematisch.

Einem entsprechend Befugten eine möglichst fett ausgestattete Karre anzudienen, ist übrigens Teil des milliardenschweren Dienstwagenprogramms deutscher Premiumautobauer:

"[Ihr] Luxus-Audi A 8 kostet regulär 145.000 Euro, aber der RBB bekam ihn sehr viel günstiger, wie das Magazin Business Insider recherchiert hat. Dank eines Rabattes von knapp 70 Prozent betrug die Leasinggebühr pro Monat nur ganze 457,21 Euro. Das ist ein Schnäppchen und selbst für den armen RBB mühelos zu stemmen. [...] Pikant ist aber, wie dieser Rabatt bei Audi heißt: nämlich »Regierungspreis«. Systematisch sponsert die deutsche Autoindustrie die Luxusgefährte der MinisterInnen in Berlin und in den Ländern. Ganz harmlos heißt dies »Marketing«. Die Wahrheit ist viel härter: Es handelt sich um Lobbyismus. Die MinisterInnen sollen auf ihren eigenen Pobacken erleben, wie weich und sanft eine deutsche Luxuskarosse dahingleiten kann. Wer dieses sinnliche Erlebnis genossen hat, so hofft die Autoindustrie, wird niemals am staatlichen Dienstwagenprivileg rütteln, das die Konzerne indirekt mit Milliarden subventioniert." (Ulrike Herrmann)

Für das, was da an Steuergeldern hineinfließt, wenn auch eventuell über Umwege, muss eine Patricia Schlesinger jedenfalls lange stricken. Kann man Whataboutismus nennen. Oder: Gewisse Dinge in Perspektive rücken.

Der Bundeskanzler bekommt im Jahr um die 300.000 Euro überwiesen, der Bundesgrüßonkel von Bellevue um die 200.000, Bundesminister ungefähr dasselbe. Ohne Bonus, aber zuzüglich Dienstaufwandsentschädigungen und Privilegien wie gepanzerter Limousinenservice und großzügige Versorgung nach Ausscheiden aus dem Amt. Insofern wäre es nicht völlig abwegig bzw. spricht nichts Erkennbares dagegen, Gehälter für öffentliche Spitzenjobs, wozu auch die Intendanz bei einem ÖR-Sender gehört, irgendwo bei 250.000 Euro zu deckeln.

Erwähnte ich schon, dass nicht nur Intendanten öffentlich-rechtlicher Sender, sondern beispielsweise auch reihenweise Spaßkassendirektoren mit mehr als dem doppelten Schlesinger-Gehalt nach Hause gehen, ohne dafür mit nassen Fetzen durchs Dorf gejagt zu werden? Auch das kann man selbstverständlich Whataboutismus nennen.

Das Argument, man bekomme sonst für Toppositionen keine Topleute und man müsse doch irgendwie konkurrenzfähig bleiben mit der Privatwirtschaft, ist lachhaft. Unsinn, der lediglich der Selbstbedienung dient. Der von Schlesinger bis vor kurzem geleitete RBB hat um die 3.500 Mitarbeiter. Der Geschäftsführer/Vorstand/CEO eines Unternehmens dieser Größe (von denen es in ganz Deutschland gerade einmal ein paar Hundert gibt), dem man ein Schlesinger-Gehalt von gut 300.000 Euro p.a. anböte, würde als nächstes nach den Boni fragen und anmerken, dass er für weniger als eine halbe Mille fix im Jahr nicht geruhe, sich allmorgendlich vom Futon zu erheben.

Vor allem, wenn man bedenkt, dass kaum ein ÖR-Intendant, Sparkassendirektor o.ä. aus einer vergleichbaren Position aus der Privatwirtschaft quereinsteigt. DIe meisten sind Eigengewächse, die sich hochgearbeitet haben und die richtigen Kontakte gepflegt haben.

Apropos: Auch Schlesinger und andere RBB-Direktoren bekamen, wie erst jetzt herauskam, so genannte 'Zielprämien' ausgezahlt. In ihrem Fall kamen 2021 noch einmal 50.000 Euro obendrauf. Und zwar nach einem mit der Unternehmensberatung Kienbaum ausgearbeiteten Schema, das sich an "Unternehmenszielen" orientiert, die die Betreffenden im Gespräch selbst definieren dürfen, wie es heißt. Bin ich der einzige, der es fragwürdig findet, Chefs eines größtenteils über Zwangsabgaben finanzierten Anstalt des öffentlichen Rechts nach denselben Prinzipien zu behandeln wie die eines rein privatwirtschaftlichen Unternehmens? Willkommen in der Welt, in der nur mehr BWLer das Sagen haben. 

Ich finde ja, wenn Kapitalismus, dann richtig. Man kann natürlich so weit gehen, Beitragszahler mit Aktionären zu vergleichen. Das wäre aber Quatsch, denn Aktionäre haben im Gegensatz zu Beitragszahlern die Wahl, ob sie Geld für Aktien ausgeben oder nicht. Aber selbst wenn, müssten die Beitragszahler dann als Finanziers der ganzen Veranstaltung nicht ein vergleichbares Anrecht haben auf Transparenz in Puncto Vorstandsgehälter und -boni wie Aktionäre? Das mindeste wäre, die Öffentlichkeit irgendwie darüber zu informieren, etwa in Form von Jahresberichten. Wenn das bereits geschieht, will ich natürlich nichts gesagt haben.

WDR-Intendant Tom Buhrow ist auch ein öffentlich-rechtliches Eigengewächs. Der bekommt über 400.000 Euro Jahresgehalt und im Alter eine ziemlich komfortable Pension, für die der WDR entsprechende Rückstellungen bilden muss. Warum? Weil der WDR 18 Mio. Haushalte verstrahlt, der RBB hingegen deutlich weniger? Weil der WDR mehr Werbekunden erreicht? Schon mal was davon gehört, dass die Zeit der analogen Dachantennen vorbei ist? Was von Digital- oder Satellitenfernsehen gehört? Von Mediatheken?

Ist Schlesinger zu Recht ihren Job los? Denke schon. Dass aber nun einer wie Buhrow sich besonders deutlich empört über seine geschasste Kollegin und vor allem mal persönliches Versagen sieht -- darüber kann man sich natürlich so seine Gedanken machen.


Disclaimer: Ähnlich wie die Kollegin Claudia und andere mag ich auf die Öffentlich-rechtlichen nicht wirklich verzichten. Weil dort neben vielem Unfug und Tendenziösem, auch Qualität geboten wird, die man bei Privaten und anderswo vergeblich sucht. (Damit, dass ich in der Peergroup eventuell einer Minderheit angehöre, komme ich klar; habe ich Übung drin.) Andererseits muss ich mir immer dringender die Frage stellen, inwieweit dieses System noch reformierbar ist.







4 Kommentare :

  1. "Willkommen in der Welt, in der nur mehr BWLer das Sagen haben."
    ... BWLer haben meistens keine Ahnung, was in Unternehmen auf einer Subebene vor sich geht. Wenn ein Unternehmen erstmal eine Unternehmensberatung durch den Laden getrieben hat, um Einsparpotenzial zu ermitteln (Boni für den GF ...) ists eigentlich wie Rasenmähen statt Unkratrupfen — danach befindet sich die Firma ggf. in einer Abwärtsspirale: Diejenigen, die was von ihrem Job verstehen verlassen das Unternehmen und die Luschen schrauben sich am Arbeitsplatz fest. (17 Jahre im multinationalen Konzern).
    In dem Zusammenhang sei mir überdies gestattet das Buch "Gestatten Elite" von Julia Friedrichs zu empfehlen. Die Frau hat sehr schön die Mechanismen dokumentiert. Sehr aufschlußreich. Danach weiß man, warum man es selber zu nix Gebracht hat ...

    Gruß
    Jens

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  2. es wird immer besser:

    Am 10. August wurde die bisherige Hauptabteilungsleiterin und Personalchefin Sylvie Deléglise zur kommissarischen Verwaltungsdirektorin ernannt, um Hagen Brandstäter auf diesem Posten zu ersetzen. Die 58 Jahre alte, in Nordfrankreich geborene Juristin ist verheiratet mit der unverändert amtierenden Juristischen Direktorin Susann Lange...Sicher ist aber, wer die beiden Frauen seinerzeit getraut hat: Friederike von Kirchbach, von 2012 bis zu ihrem Ruhestand 2021 Pfarrerin in der Kirchengemeinde St. Thomas in Berlin-Kreuzberg, seit 2007 Mitglied und seit 2013 Vorsitzende des RBB-Rundfunkrates. Für die Entscheidung, sich ausgerechnet vor Frau von Kirchbach das Ja-Wort zu geben, gab es laut Deléglise „alleine private Gründe“, die sie nicht darlegen wolle...Sylvie Deléglise (gilt als) Erfinderin des Bonus-Systems, speziell dessen Ausweitung auch auf Intendantin und Direktoren, die es unter der Ex-Intendantin und Schlesinger-Vorgängerin Dagmar Reim nach allen vorliegenden Informationen noch nicht gab...

    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/rbb-vetternwirtschaft-immer-bizarrer-fuehrungskraefte-sind-miteinander-verheiratet-li.258246

    (via fefe)

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  3. ... für solche Dinge wäre man bei meinem Arbeitgeber (internationaler Großkonzern mit funktionierender Compliance-Abteilung) sofort freigestellt worden. Diese Konzerne haben nämlich zu viel Angst, daß solche Mechanismen sich "breitmachen" und den Unternehmensgewinn schmälern und dass dies evtl. den Aktionären zugetragen wird — extrem blöd, wenn die dann zu der Einsicht kommen, dass da "ihr" Geld verballert wird.
    Ist wie auf der Wiese: Unkraut sofort und nachhaltig entfernen, sonst hat man nur noch Löwenzahn drin. (oder Giersch).

    Gruß
    Jens

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    1. Exakt da liegt das Problem bei Strukturen wie dem ÖRR: Man will Bezahlung wie in der Privatwirtschaft, für die unteren Chargen hingegen Einsparungen und Hire and fire wie in der Privatwirtschaft, aber oben ist öffentlicher Dienst.

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