"Schlecht kochen ist keine Kunst, das kann jeder. Aber auch noch stolz darauf sein, das bringen nur deutsche und englische Hausfrauen fertig." (Siebeck)
Die Achtziger seien schon geil gewesen, lautet das Motto von 'Glotzbuster' Stefan Ahlers. Dazu habe ich bekanntlich eine differenzierte Meinung. In einem Punkt bin ich allerdings recht undifferenziert: Das Essen war größtenteils schon arg scheiße (jedenfalls hier im Westen, über das spätere Beitrittsgebiet bin ich uninfomiert). Sofern man nicht jemanden des Kochens Mächtige:n in der Familie hatte oder in der gerade sich entwickelnden Sternegastronomie verkehrte. Glücklich, wer einen guten Italiener am Ort hatte. In den Siebzigern war es teilweise wohl noch schlimmer, aber daran erinnere ich mich nur mehr sehr dunkel.
Wer in den Achtzigern großzuwerden die Aufgabe hatte und zu einer Festivität eingeladen wurde, konnte in der Arbeiterklasse im weitesten Sinne darauf hoffen, was handfestes Bewährtes, aufgetischt zu bekommen wie Nudel- und/oder Kartoffelsalat mit Frikadellen und/oder Würstchen. Lecker. In so genannten 'besseren Kreisen' konnte es passieren, dass man Wohlstand demonstriert bekam in Form sauteurer Viktualien wie Roastbeef oder 'echtem' Lachs. Und Schnittchen hießen 'Canapés'. Wer aber beim mittelschichtigen Kleinbürgertum zu einer Feier mit Imbiss geladen war, musste damit rechnen, an eine so genannte Partysuppe zu geraten. Und diese nicht selten aus Einweg-Plastiknäpfen löffeln zu dürfen. Wegen praktisch.
In diesem Milieu grassierte damals die Idee, so ein Partyessen müsse vor allem schnell gemacht und unkompliziert sein. Wogegen ja zunächst überhaupt nichts zu sagen ist. Genauso wenig wie dagegen, liebe Gäste mit einer kräftigen und wärmenden Suppe zu bewirten. Das Problem war, dass die das machten, meinten, unbedingt etwas 'Originelles' servieren zu müssen. Und so kursierten unter den Hausfrauen, denen die Kocherei meist oblag, zahllose Rezepte für schnell gemachte Suppen.
Unter denen war Käse-Lauch-Suppe noch die bei weitem erträglichste. Und gehaltvollste. Zu angebratenem Hackfleisch und Lauch kam dann der Inhalt mehrerer Packungen Schmierkäse und einige Becher Sahne. Das ergibt zwar einen hochkalorischen Brummer von Suppe, aber immerhin ist das ausbaufähig, denn die Kombination Lauch und Käse hat Potenzial. Ferner gab es Hexensuppe, Gyrossuppe, Pizzasuppe oder arg fleischlastigen 'Pfundstopf'. (Vegetarier waren damals eh die ganz große Ausnahme und hatten ein schweres Leben.)
Nun kann man bekanntlich alles gut oder schlecht machen, alles lässt sich tunen und auch so eine Partysuppe aus weitgehend frischen Zutaten sich bereiten. (Wie käme ich etwa dazu, hier Kollege Kurbjuhns gute Curryrahm-Suppe zu diskreditieren!) Doch eine unangefochtete Krönung des geschmacklichen Grusels gab es, einen garstigen Gipfel des Grauens, wo alles Wohlwollen endet und Toleranz auf Selbstverleugnung hinausliefe: Reitersuppe. Die dafür nötigen Kochkenntnisse und -fertigkeiten beschränken sich auf Hackfleisch anbraten sowie das erfolgreiche Öffnen diverser Dosen und Gläser. Zum mit Zwiebeln angebratenen Gehackten wird eine perfide Mischung aus Dosenchampignons, Dosenananas, Paprika aus dem Glas (alles mitsamt der mumpigen Plörre), Ketchup und mehreren Dosen Ochsenschwanzsuppe geschüttet, umgerührt und das ganze einmal kurz aufgekocht.
Warum das 'Reitersuppe' hieß? Keine Ahnung. Vermutlich, weil die Kavallerie da auch nicht mehr helfen konnte.
Nun war ich in kulinarischer Hinsicht eher ein Spätentwickler und meine Geschmacksnerven waren damals weiß Gott leicht zufriedenzustellen. Miràcoli fand ich so geil wie Currywurst, vor Dosenravioli machte ich mich nicht bange und der Gipfel der exotischen Genüsse war Pizza beim Italiener, Grillteller beim Griechen oder im Balkanrestaurant. Oder Schweinefleisch süß-sauer beim Chinesen. Aber wie Menschen dieses unsägliche süßlich-säuerliche Gewaltgebräu mit sichtlichem Hochgenuss wegspachteln und die Gastgeberin dafür auch noch feiern konnten, war mir schon damals ein Rätsel.
Denn gefeiert zu werden für ihre Zumutung als habe sie soeben Miraculix' Zaubertrank erfolgreich zusammengemischt, das erwartete die stolze Köchin. Immer. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals eine gesagt hätte, naja, ich kann halt so gar nicht kochen und die Suppe befreit mich da aus einer Verlegenheit oder so. Nein, stets wurde das Gelumpe, und mochten die Nasen darob auch noch so lang wachsen, über den grünen Klee gelobt. Also, Frau Kokoschinski, Ihre Reitersuppe mal wieder! Ein Gedicht! Sie müssen meiner Frau uuunbedingt das Rezept... Ich behalf mir irgendwann mit abnormen Mengen Maggi und einer Miniflasche Tabasco in der Tasche, die ich gegebenenfalls diskret zum Einsatz brachte.
Irgendwann traf eine der damaligen Gastgeberinnen wieder, eine notorische Reitersuppen-Rührerin, und wir kamen ein wenig ins Plauschen über dies und das. Sie hatte als Rentnerin die Reize der guten Küche und der Gourmandise entdeckt. Und dann sagte sie folgendes:
"Weißt du noch die Reitersuppe damals? Die fandest du nicht so lecker, oder?"
"Na ja, ich meine, es waren auch andere Zeiten, weißt du, und..."
"Du kannst ruhig ehrlich sein, das Zeug war absolut furchtbar!"
"Pfff, ich..."
"Und damit hast du völlig recht. Du glaubst nicht, wie oft ich mich schon dafür geschämt habe, das damals meinen Gästen vorgesetzt zu haben."
Da sagte ich nichts mehr. Aber ich hätte sie am liebsten auf offener Straße geherzt und geküsst. Wir verabschiedeten uns und ich ging meiner Wege mit dem schönen Gefühl, soeben einen dieser raren Momente erlebt zu haben, die einem zumindest kurz den Glauben an so etwas wie Gerechtigkeit zurückgeben.
Ich erinnere mich noch gut an die "Pizza Mafiosi":
AntwortenLöschenMit Spiegelei, Spahetti, Bratwurst, die restliche Zutaten habe ich verdrängt.
Am Imbiss nahe des Bahnhofs.
ich hatte das Glück eine Mutter zu haben, die Schwäbin war. Sehr Mehl lastig, aber auch wenig Fleisch lastig.(Sauerkrautwickel, Pfannkuchen mit selbst gesammelten Schwammerln/Hackfleisch und Käse/Apfel oder frischen Heidelbeeren, Dampfnudeln, Käsespätzle mit Unmengen an Zwiebeln. Später kam noch italienische Einflüsse dazu. Bandnudelauflauf mit frischen Tomaten. Aber auch selbstgemachte Pizza. Zwei ganze Bleche für 2 Erwachsene und 3 Kinder. Und wir machten keine Gefangenen. Wenn mein Vater auf Dienstreise war, gab es statt Pausenbrot ein Stück dieser Pizza mit in die Schule. Die schmeckte auch kalt so geil. Zum Kindergeburtstag gab es Toast Hawaii,oder mit Toast gemachte Cheeseburger. Dafür ließ sie sich extra aus dem Allgäu Allgäuer Bergkäse schicken. Zum Dessert gab es Apfelküchle mit Sahne und Quarkspeise mit dem Dosenfruchtsalat von Libbyes.Einfach nur herrlich. Fleisch gab es nicht viel,aber wenn,dann mit Fettrand und ganz viel Sauce und die selbstgemachten Knödel
AntwortenLöschenAn eine Partysuppe kann ich mich gar nicht mehr erinnern, womöglich blieben die rheinhessischen Gefilde von ihr verschont. Aber der gefürchtete "Pichelsteiner Eintopf" als Dosensuppe ist mir in traumatischer Erinnerung geblieben. Bei schönem Wetter wurde in den 70ern an der DLRG-Station gegrillt, Würstchen, Steaks und ganze Spanferkel, dazu gab es Brötchen, Kartoffelsalat und hinterher selbstgebackenen Kuchen.
AntwortenLöschenDosen-Pichelsteiner ist ein Verbrechen gegen die Würde des Menschen. Es gibt eine Pichelsteiner-Variante von Siebeck, die es auch Küchen-Grobmotorikern ermöglicht, eine herausragende Delikatesse zu erzeugen: Möhren, Kartoffeln, Sellerie und Lauch sehr dünn schneiden, in viel (essentiell!) Butter mit Lorbeer dünsten, bestes kleingeschnittenes Rinderfilet dazu, kurz durchschwenken, und dann dazu den besten Pinot Noir, den man sich leisten kann, ins Glas kippen, das ist das reinste Manna! Das Originalrezept haben die Leichenfledderer von der ZEIT-Redaktion hinter einer Bezahlschranke versteckt, aber irgendwo wird es sich auftreiben lassen. Es stand, glaube ich, in "Nicht nur Kraut und Rüben". Ich weiß jetzt, was ich nächstes Wochenende kochen werde.
LöschenIch bin schon auf das Bild und den Erlebnisbericht in deinem Blog gespannt.
LöschenPichelstein gibt es übrigens nicht, aber Büchelstein im Bayerischen Wald. In dieser Gegend erfand, der Sage und Wikipedia nach, eine Wirtin namens Auguste Winkler den Eintopf vor fast zweihundert Jahren.
@Bonetti: Schwein gehabt.
LöschenVon Ex-Kanzler Ludwig Erhard ist bekannt, dass er durchaus ein Feinschmecker war und die feine Küche liebte. Weil er aber wohl niemanden in Verlegenheit bringen wollte, ließ er durchsickern, sein Leibgericht sei Pichelsteiner. Was dazu führte, dass der arme Mann das bei jeder Gelegenheit vorgesetzt bekam.
Immerhin sehe ich die Dosen nicht mehr im Supermarkt.
Das hier könnte das angesprochene Rezept sein.
@ Stefan
LöschenVon Erasco gibt es noch den "Pichelsteiner Topf" als Konserve. Ansonsten hat sich in unserer Generation natürlich der Texas Feuerzauber durchgesetzt, heute als Texastopf bekannt ;o)
Und der Genosse Honecker liebte Kassler mit Sauerkraut. Gibt's noch heute als Konserve. Wieso eigentlich? Diktatorenleibgerichte gehören verboten!
AntwortenLöschen"Reitersuppe"
AntwortenLöschen... mein Beileid, Jens
Dank an alle, bin jetzt satt.
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