Montag, 20. Februar 2017

Hengasch ist überall


Über das Leben in der Provinz nebst einer (viel zu späten) Huldigung an die Serie 'Mord mit Aussicht'

Eine Mode, meinte Jens Jessen einst, sei dann zu Ende, wenn sie bei den Bankangestellten angekommen sei. Anders gesagt, spätestens wenn ein Karl-Theodor zu Guttenberg öffentlich im AC/DC-Shirt herumgeistert, dann kann's mit der rebellischen Attitüde, die härterer Rockmusik irgendwann einmal eigen war, nicht mehr allzu weit her sein. In der Provinz, wo angeblich Deutschlands Herz schlägt, dauert das mit den Moden ja gern etwas länger. Ich weiß das, ich lebe dort. Da die Stammkneipe eine geschlossene Gesellschaft beherbergte, saß ich die Tage nach langer Zeit mal wieder in einem systemgastronomischen Filialbetrieb, der auf Kneipe macht. Dort haben sie jetzt eine eigene Gin-Karte. Richtig mit Sommelier-Lyrik und Empfehlung für das passende Tonic Water. Wer etwa seinen Tanqueray, den bei weitem billigsten Schabau auf der Karte, mit Schweppes süffelt anstatt mit Fentiman's, macht das Licht noch mit dem Hammer aus und kann gleich duschen gehen, so die unterschwellige Botschaft.

In der Provinz zu leben kann bedeuten, immer im Hinterkopf zu haben, dass das wahre, wirkliche Leben woanders stattfindet und an einem vorbeigeht. Vielleicht erkennt man deswegen die Provinz daran, dass sie immer mehr zu sein begehrt als sie ist. So wie die DDR einst verzweifelt um 'Weltniveau' bemüht war, ist man in Provinzstädten beispielsweise oft erpicht darauf, Anschluss zu halten an das, was die Hipster in den richtigen Großstädten so machen, und immer wirkt es bemüht. In den Kneipen, Bars und Clubs der Metropolen ist das Gin-Gesüffel längst schon wieder am Abebben. Und seitdem auch der örtliche Provinz-Getränkemarkt mehr oder weniger teures Craft Beer im Sortiment hat, ist auch dessen Distinktionspotenzial im Schwinden begriffen. Jetzt soll der gute alte Doppelkorn, den Oppa sich immer als Durchlauferhitzer zum Pilsken in die Öse zieht, der nächste ganz heiße Scheiß sein, so ist zu hören.

Oder Fernsehserien. Fernsehserien sind ja schon lange vor der Reinkarnation des braven Kornbrands als Edelspirituose schwer angesagt gewesen. Lineares Erzählen, so heißt das unter Wichtigmenschen. Der wahre Serienjunkie gibt sich seinen Stoff nicht folgenweise, sondern streamt sich ganze Staffeln auf einmal rein, wodurch er dann montags immer mit rotgeränderten Augen und bestenfalls halb zurechnungsfähig auf Arbeit sitzt. Fernsehserien entdecke ich normalerweise immer erst dann, wenn sie quasi schon wieder zu Ende sind. Liegt vermutlich daran, dass alles, was irgendwie das Etikett 'Hype' draufkleben hat, mir zutiefst suspekt ist. Oder daran, dass alles, was als Vorabendserie' bezeichnet wird, mir nicht minder suspekt ist. Oder es ist mein eigenes provinzielles Herkommen, das mich so handeln macht, wer weiß. So jedenfalls ging es mir auch mit der ARD-Serie 'Mord mit Aussicht', die nach drei Staffeln und einem Neunzigminüter wohl zu Ende ist. Was eine gute Nachricht ist. Denn das wird dieses kleine Juwel davor bewahren, auf peinliche Weise zu Tode geritten zu werden.

Viel Gutes gibt es über 'Mord mit Aussicht' zu vermelden. Ein schönes Beispiel dafür, was auch in Deutschland möglich ist, wenn mal konsequent auf Qualität gesetzt wird. Klasse Drehbücher, 1A-Schauspieler, allesamt mit Theaterhintergrund, eine akribische Regie, die immer auch die Kleinigkeiten im Blick hat. Es geht um die Erlebnisse der Kriminalhauptkommissarin Sophie Haas (Caroline Peters), in denen die Autorin Marie Reiners ihre eigenen Erfahrungen als in die Eifel zugezogene verarbeitet. Haas wäre gern eine coole, abgebrühte Kölner Großstadt-Copette, wegen ihres Übereifers wird sie aber ins (fiktive) Eifeldorf Hengasch im (fiktiven) Kreis Liebernich versetzt.

(Nicht-Westdeutsche, also nicht nur Nicht-Ex-BRD-Bürger, sondern alle, denen die westlichste Ecke Deutschlands nicht sonderlich vertraut ist, seien an dieser Stelle in Kenntnis gesetzt, dass 'Eifel' für lebenslustige Rheinländer gleichbedeutend ist mit 'hinter den sieben Bergen, kurz vor Belgien, wo absolut nichts los ist, dafür aber alle miteinander verwandt sind'.)

Vielleicht hat diese erste Inhaltsangabe mich damals zurückschrecken lassen, denn eine solche Konstellation lässt im deutschen Fernsehen in der Regel nichts Gutes ahnen.

"Deutsche Frauen im Idealtraum des deutschen Fernsehens erben sehr regelmäßig irgendwo in wuuuunderschöner Landschaft ein feines, kleines Unternehmen, verlieben sich dort in pflegeleichten, arbeitstüchtigen Naturburschen oder finden zurück zur wahren, zur Jugendliebe. Bei der sexualökonomischen Lebensplanung zeigen sie, dass sie aus den Fehlern mit den Loser-Schnarchsäcken daheim gelernt haben, und verbinden perfekt und patent guten Sex mit sozialem Aufstieg. Zwischendurch darf geheult und gelacht werden. Aber nicht zu viel." (Georg Seeßlen)

'Mord mit Aussicht' umschifft solche Klischees recht konsequent. Sophie Haas ist bzw. wird weder vernünftig noch patent und mutiert erst recht nicht zur Dörflerin. Sie trinkt zu viel und fällt mit ihrem teils arroganten Gehabe der urbanen Karrierefrau ein ums andere Mal auf die Nase. Insgesamt wird also nicht die xte Variante der Geschichte 'Stadtpflanze verschlägt's auf's Dorf, wo sie nach anfänglichen Schwierigkeiten das Landei in sich entdeckt und am Ende sind alle happy' aufgetischt. Nein, Sophie ist im Dorf ein Fremdkörper und bleibt es. Sichtbar wird das unter anderem an ihrer immer einen Tick zu modischen Kleidung, mit der sie überall heraussticht. Zumindest bleibt es ein ewiger Kampf. Die Hochzeit mit dem freundlichen Hengascher Tierarzt Jochen Kauth (Arnd Klawitter) lässt sie platzen, weil sie Angst hat, das ganze Dorf mitzuheiraten und aufgesogen zu werden von ihm.

So souverän Burgschauspielerin Peters ihre Sache macht, ist die Besetzung der Nebenrollen, vor allem der übrigen Hengascher Ordnungshüter, die wahre Offenbarung. Bjarne Mädel, bekannt aus 'Stromberg' und 'Der Tatortreiniger', als gemütlich-tapsiger Dietmar 'Bär' Schäffer und Meike Droste als patent-burschikose Landgendarmin Bärbel Schmied zeigen ganz großes Können. Virtuos, wie Droste und Mädel in Timing, Sprechtempo und Körpersprache immer ein klein wenig hinterher oder neben der Spur sind, immer einen Hauch zu viel oder zu wenig. Hohe Komik! Auch Petra Kleinert als Schäffers Ehefrau Heike ist fabelhaft. Wenn man mal wieder kurz davor ist, diesen, dominanten, grotteneifersüchtigen Hausdrachen zum Mars schießen zu wollen, überwältigt sie einen geradezu mit ihren nicht minder ausgeprägten guten Seiten. Und immer, wenn man den Kopf schütteln will, über das zutiefst kleinbürgerliche, kitschige Einfamilienhausidyll der Schäffers, wird im nächsten Moment deutlich dass sie gar nichts anderes sein wollen und sich auf eine Weise, die sich vielleicht nicht erschließt, innig lieben und glücklich sind in ihrer kleinen Welt. Haters gonna hate.

Als Laie kann ich nur spekulieren, doch ich vermute, es wäre sehr einfach gewesen, die Figuren als platte Landeierkarikaturen anzulegen. Einfach wäre es wahrscheinlich auch gewesen, das Leben in Hengasch als spießigen, engen Alptraum zu zeigen, aber auch da halten die Macher sich klug zurück zugunsten eines differenzierten Bildes. Natürlich kommen die Macken und Schrullen der Dörfler nicht zu kurz. Ihre Überempfindlichkeit gegenüber dem leisesten Verdacht, für provinziell gehalten zu werden etwa (auch das ein sicheres Anzeichen für Provinzialiät). Oder die das Absurde streifende Planerei mehrtägiger Feste aufgrund irgendwelcher Traditionen. Ihr Hang, dem Heimatkaff mithilfe angeblich historisch verbürgter Episoden mit weltgeschichtlicher Bedeutung aufzuladen. So nimmt man in Hengasch (dessen Aussprache durch die Einheimischen immer ein wenig an 'Häng-Arsch' erinnert, sicher bloß Zufall) für sich in Anspruch, dass mutige Bauern sich sogar Napoleon persönlich in den Weg gestellt haben sollen und führt dies alle paar Jahre szenisch auf.

Man sollte bedenken, dass das wirkliche Landleben nur selten etwas mit den Wunschbildern von Städtern zu tun und auch ein Format wie 'Bauer sucht Frau' sehr wohl einen ernsten Hintergrund hat: Die allgemeine Landflucht lässt die Dörfer nach und nach veröden. Auch diese und andere Härten des Landlebens werden keinesfalls ausgeklammert. Der Überlebenskampf der Bauern und Kleingewerbetreibenden etwa, der sie fast schon dazu zwingt, am Rande der Legalität zu handeln. Als Bärbels Milchvieh haltender Bruder krankheitsbedingt länger ausfällt, muss sie vor, während nach der Arbeit im Stall anpacken, so ist es eben, so war's schon immer. Dass sie darunter beinahe zusammenbricht, kümmert niemanden wirklich. Nicht nur gute Unterhaltung, sondern nebenbei ein Sittenbild. Einen Gastauftritt der Band Fraktus im Stil der Drei Stooges gibt es auch. Was will man mehr?

Nun ja. Da ist doch noch was. Ein Wermutstropfen. Ich kann nicht anders.

Sobald meine Begeisterung über die hervorragenden Bücher und die grandiosen Schauspieler ein wenig abgeklungen war, da machte sich ein schwer definierbares, unwohles Gefühl breit bei mir. Ist es womöglich, so fragte ich mich, kein Zufall, dass der Erfolg von 'Mord mit Aussicht' exakt in jene Postfinanzkrisenzeit 2008ff. fällt, in der auch, ebenfalls wohl nicht ganz zufällig, ein ganz altmodisch auf Papier gedrucktes Magazin wie 'Landlust' seine Auflage verachtfachen konnte?

Könnte es sein, frug ich mich weiters, dass die Serie nicht nur deshalb so erfolgreich ist, weil sie in vieler Hinsicht fraglos hervorragend gemacht ist, sondern auch, weil sie klammheimlich durchaus Sehnsüchte bedient, auch wenn dies gar nicht beabsichtigt ist? Weil viele ihr Deutschland vielleicht ganz gern so hätten wie dieses Hengasch? Eine kleine, zutiefst geordnete, fast monokulturelle Welt, deren einzige multikulturelle Zumutung eine Dönerbude ist, in der, allen Mordfällen zu Trotze, alles seinen Gang geht, kleine Normabweichungen achselzuckend hingenommen werden, solange es Eskapaden bleiben, und in der die Frauen größtenteils noch wissen, wo ihr Platz ist und was ihre Aufgaben sind: Tratschen, putzen, dem Gatten das Lieblingsessen kochen. Und hat doch einmal eine Frau das Sagen, wie die Frau Haas bei der Polizei, dann gendert sie wenigstens nicht doof herum und nimmt keinen Anstoß daran, mit 'Chef' angeredet zu werden.

Sie machen es sich eben nicht einfach. Und dem Zuschauer auch nicht. Das erste Mal, dass Satire ernst genommen wird, wäre es jedenfalls nicht.



6 Kommentare :

  1. Toll geschrieben.

    Chapeau,

    mein Schiebermützchen gerne lüftend, mit tiefer Verbeugung und keine Notwendigkeit sehend, eigenen Senf beisteuern zu müssen, sondern nur "einwirken lassen".

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  2. Die Vorberichterstattung hatte mich auch erstmal abgeschreckt, aber nach drei, vier Bögen drumherum, war ich dann doch soweit. War mir eine Freude. Ob da eine Sehnsucht in mir bedient wurde? Als Rheinländer kenne ich die Eifel zumindest ein bißchen und da hausen allerlei gut mit Drogen versorgte Eigengewächse. Da hat der Eifeler wenig Problem mit, wenn die Leute denn schaffen tun. Nur Müßiggang ist nämlich des Teufels.

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    1. Das mag schon sein. Es gibt ja Leute, die behaupten, der wahre Irrsin gönge auf dem Land ab, da treffe man Freaks, die in der Stadt längst von den Behörden außer Gefecht gesetzt worden wären.

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  3. Geniale Analyse einer tollen Fernsehserie, Stefan. Spiessigkeit trifft Stadtkultur. Nie überzeichnet. Charaktere die passen. Vielleicht hätte ein bisschen Dialekt der Eifelbewohner dem Ganzen noch das berühmte I-Tüpfelchen aufgesetzt.

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  4. Hengasch ist eine kleine Ortschaft, in der sich jede Woche ein Mord ereignet. Die Einwohnerzahl sinkt rapide. Aber es gibt Hoffnung denn Sophie, Dietmar und Bärbel ermitteln.

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