Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Freitag, 10. Februar 2017
Zeugnis für J.G.
Jetzt, da am Sonntag ein neuer Frühstücksdirektor in einem Akt gelebter Demokratie alternativlos auf den Schild gehoben wird, ist es vielleicht eine gute Gelegenheit, dem scheidenden Präsi noch schnell ein Arbeitszeugnis auszustellen. Es ist hierzu nicht ganz unwichtig, sich klarzumachen, dass ein Bundespräsident zwar formell die Funktion hat, das Land nach innen und nach außen zu repräsentieren, ansonsten aber vor allem gewählt wird, damit alles beim Alten bleibt und die Geschäfte ungestört weiter laufen können. Will heißen, sich um Himmels Willen nicht mit denen anzulegen, die es wirklich zu sagen haben und erst recht nicht die herrschenden (Besitz-) Verhältnisse infrage zu stellen. Allzuviel an Kontroverse im Sinne konträrer Gesellschaftsentwürfe ist hierzulande eh nicht allzu beliebt.
Blödsinn ist natürlich das Geraune, Gauck habe die durch den vorzeitigen Rücktritt Köhlers und die springerseits betrommelte Tapsigkeit Wulffs angeblich nahezu irreparabel beschädigte, ominöse 'Würde des Amtes'TM wiederhergestellt. Gauck hat gar nichts wiederhergestellt, sondern im Gegenteil aufgerissene Gräben weiter verbreitert. Zudem hat Das AmtTM auch zuvor schon etliche Peinsäcke überlebt. Jasager (Heuss), Dorfdimpfel (Lübke), Troubadixe (Scheel), notorische Wandersmänner (Carstens), ehemalige Chemiemanager und Wehrmachtsoffiziere, die nie von etwas gewusst haben (v. Weizsäcker), Altnazi-Protegés (Herzog), Frömmler (Rau) und andere Ausfälle. Dass Das AmtTM bzw. dessen WürdeTM all das überstanden hat, kann nur eines bedeuten: Es ist längst nicht so wichtig wie's gern hingestellt wird.
Bundespräsidenten geben seit einiger Zeit bei Amtsantritt gern vor, 'unbequem' sein zu wollen. Auch Joachim Gauck bildete da keine Ausnahme. Und die Journaille sekundierte brav. Denn einen auf unbequem zu machen, so hat sich's gezeigt, das kommt an beim Volke. Spätestens seit der alles andere als rebellische Richard von Weizsäcker seiner zähneknirschenden konservativen Peergroup seinerzeit einschenkte, der 8. Mai 1945 sei mitnichten ein Tag der Niederlage gewesen, sondern vielmehr einer der Befreiung. Dass er damit lediglich das aussprach, was damals jenseits furzkonservativer und revisionistischer Kreise eh längst Konsens war - geschenkt. Einen vergleichbaren Ausrutscher eines Amtsträgers hat es seither meines Wissens nicht mehr gegeben. Hotte Köhler, der ewige Sparkassenonkel, ist vielleicht gerade noch rechtzeitig zurückgetreten.
Was unbequem zu sein für einen Bundespräsidenten konkret bedeutet, dafür hat von Weizsäckers kürzlich verstorbener Amtsvorgänger Roman Herzog den bis heute gültigen Standard gesetzt: Ein unbequemer Präsident interpretiert unbequem zu sein dergestalt, vor allem für diejenigen im Lande unbequem zu sein, die sich am wenigsten wehren können. Ihnen streng ins Stammbuch zu predigen, nun sei aber mal Schluss mit Faulenzen, üppigen Löhnen und sozialer Hängematte. Sie auf harte Zeiten und eng geschnallte Gürtel einzustimmen. Gauck lag völlig auf dieser Linie, als er den Deutschen mahlenden Unterkiefers den Zuchtmeister machte und ihnen was von Genusssucht reintat, von mangelnder Bereitschaft fürs Vaterland zu leiden und zu sterben. Auch sonst reüssierte der "eitle Zonenpfaffe" (Deniz Yücel, 2012) schon als Frischgewählter beträchtlich:
"So mag der künftige Bundespräsident keine Stadtviertel mit "allzu vielen Zugewanderten und allzu wenigen Altdeutschen", will das "normale Gefühl" des Stolzes aufs deutsche Vaterland "nicht den Bekloppten" überlassen, missbilligt es, "wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird", besteht darauf, dass der Kommunismus "mit ausdrücklichem Bezug auf die DDR als ebenso totalitär eingestuft werden muss wie der Nationalsozialismus", trägt es den SED-Kommunisten nach, das "Unrecht" der Vertreibung "zementiert" zu haben, indem "sie die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten", und fragt – nicht ohne die Antwort zu kennen –, "ob Solidarität und Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen." (Yücel a.a.O.)
Legt man das eingangs umrissene Anforderungsprofil zugrunde, dann kann man nicht anders als Joachim Gauck sehr gute Arbeit zu bescheinigen. Brav gemacht. Und Frank-Walter Steineimers Vergangenheit als einer der maßgeblichen Mitarchitekten der Agenda 2010 lässt diesbezüglich für die Zukunft einiges erhoffen.
1 Kommentar :
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Kommentare zum Post
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... Das Amt hat zuviel mit dem Begriff "Apanage" zu tun, als das da jemals jemand anderes zumZuge kommt, als das, was man manchmal als "bewährter Parteisoldat" bezeichnet. Das sind - ungeachtet der dezenten Persönlichketsunterschiede - immer "verdiente Mitglieder" mit allen Eigenschaften von "verdienten Mitgliedern". Und die Schnittmenge dieser Eigenschaften ist bestimmt größer als die Unterschiede der jeweiligen Person.
AntwortenLöschenGruß
Jens