"Seit 2008 wird
zurück geritten!", so entfuhr es ARD-Sportkommentator Carsten Sostmeier angesichts des
Goldmedaillengewinns der deutschen Vielseitigkeitsreiter in London.
Hintergrund war, dass die deutsche Equipe 2008 in Peking durch einen
umstrittenen Protest der Gegner auf dem zweiten Platz gelandet war
und nun die verdiente Revanche bekommen hätte. Der rhetorische
Herrenreiter musste ziemliche Kritik einstecken für seinen Adolf-Rekurs und sich öffentlich
entschuldigen. In dem Trubel ist übrigens die nicht minder geschmacklose Äußerung Sostmeiers untergegangen, die heimtückischen Briten und Franzosen hätten "uns" 2008 die schöne Goldmedaille am grünen Tisch mit fiesen sportrechtlichen Winkelzügen schmählich entrissen. Zu "heimtückischen Welschen" und zum "perfiden Albion" ist es da nicht mehr weit. Man braucht Sostmeier noch nicht einmal rechtes Gedankengut zu unterstellen. Vermutlich kam er sich einfach nur irre witzig vor.
Sogleich hieß es, solche Debatten seien ein typisch deutsches Phänomen. Nur
in Deutschland, wo man immer noch am Schuldkomplex von '45 trage,
würde überhaupt über so was diskutiert. Bei uns regiere die Schere
im Kopf und gefährde die freie Rede, während woanders munter drauf
los gequatscht werde und alles kein Problem sei. Blödsinn. Und selbst wenn: Erstens muss man nicht jeden Mist mitmachen, der woanders angeblich völlig normal ist. Zu quaken: "Ich will das aber auch dürfen", zeugt nicht unbedingt von Reife. Normalerweise versucht man das Kindern noch im Vorschulalter abzugewöhnen. Und warum soll es zweitens von professionellen Reportern zu viel verlangt sein, dass ihnen bei
der Ausübung ihres Handwerks gefälligst nicht die Pferde durchgehen und bitteschön darauf zu achten, sich überhaupt nicht erst so aufs Glatteis
zu begeben?
Diese angebliche Schere
im Kopf für eine spezifisch deutsche Spezialität zu halten, ist, wie gesagt, schlicht Quatsch. Ich weiß nicht, wie das in den meisten Ländern
gehandhabt wird, weiß aber genug über die britische
Medienlandschaft, um sagen zu können, dass gerade dort sehr
strenge Regeln für Journalisten und Reporter gelten. Das liegt
unter anderem an der dortigen Gesellschaftsstruktur. Offene
Diskriminierung ethnischer Minderheiten zum Beispiel ist in großen
Teilen der Middle und Upper Class als primitives und unzivilisiertes
Benehmen geächtet. Weil in Großbritannien die Zuwanderer aus den
ehemaligen Kolonien meist hervorragend organisiert sind und seit
langem auch Journalisten und Juristen hervorbringen, wehren die sich in
solchen Fällen meist sehr effektiv. Damit ist nicht gesagt, dass auf der Insel alles zum Besten stünde, doch haben verbale Ausfälle dort teils erhebliche Konsequenzen.
Auch der Einwand,
englische Tageszeitungen brächten schließlich regelmäßig
geschmacklose antideutsche Kampagnen wie die berüchtigte Sun
anlässlich der Fußball-Europameisterschaft 1996, zieht nicht mehr wirklich. Wenn, dann sind solche Phänomene Erscheinungen der Boulevardpresse, der so genannten
Tabloids und kommen seit Jahren immer weniger vor, weil die
Pickelhauben- und Nazi-Nummer mittlerweile auch ziemlich vielen
Briten auf die Nerven geht. In den so genannten Qualitätszeitungen,
den Broadsheets, hat so etwas überhaupt keinen Platz, noch
nicht einmal bei der sehr konservativen und nicht immer zimperlichen
Times.
Bei der
öffentlich-rechtlichen BBC würde ein Ausfall wie der von Sostmeier
erst recht nicht hingenommen, weil dort äußerst strenge Regeln
gelten in Bezug auf unangemessene Wortwahl. Als der in Diensten der
BBC stehende und für sein loses Mundwerk berüchtigte
Top-Gear-Moderator Jeremy Clarkson letztes Jahr anlässlich
des Streiks im öffentlichen Dienst scherzhaft meinte, er würde die
Streikenden alle an die Wand stellen und erschießen, da war die
Empörung nicht minder groß als sie hierzulande gewesen wäre und er
musste sich kleinlaut entschuldigen. Trotz seiner Popularität wurde mehrfach seine Entlassung gefordert. Auch als er kurz
zuvor bei Top Gear die Bemerkung fallen gelassen hatte, aus
der hervorging, dass er Prostituiertenmorde für eine
Lieblingsbeschäftigung osteuropäischer LKW-Fahrer hielt, gab es
nicht minder mächtigen Wirbel. Verkrampfte, humorlose Deutsche?
Das Gejammer von der Schere im Kopf dient der Verharmlosung. Faschistische Rhetorik soll endlich wieder zum normalen Repertoire gehören dürfen und wenn überhaupt nur ein harmloses Späßchen sein, ein verbaler Dummejungenstreich. In so einem Klima können Polizeibeamte, die eine Zeit lang dem Ku-Klux-Klan angehörten, treuherzig versichern, der rassistische Hintergrund dieses Vereins sei ihnen nicht klar gewesen und weiter im Polizeidienst bleiben. Kauder schnarrt, in Europa werde wieder Deutsch parliert? Hey, kein Problem, der Onkel macht doch nur Spaß. Gott, wie kann man nur so pingelig sein! Wagt man, das trotzdem problematisch zu finden, dann greinen sie: "Bäääh, wir wollen doch nur... Nazikeule! Nazikeule!" Wenn sie freie Rede sagen, dann meinen sie Deutungshoheit, das Recht darauf, jeden immer und überall ohne Widerspruch verbal niedertrampeln zu dürfen und sich nicht mit so was wie Zivilisiertheit und Sensibiliät aufhalten zu müssen. Toleranz ist schließlich voll out.
Wie man
übrigens Sportberichterstattung im 21. Jahrhundert auch machen kann,
demonstriert täglich das Team um Dirk Thiele und Sigi Heinrich bei
Eurosport. Schon wegen der internationalen Struktur des Senders werden nationalistische Ausfälle und Nazi-Anspielungen dort nicht geduldet. Und, siehe da, die Wettbewerbe sind kein bisschen langweiliger, wenn
sie unaufgeregt kommentiert werden und sich Reporter nicht in
einer Tour patriotisch einen runterholen.
Apropos: Hat der Kommentator, der beim Finale der Ruderachter am Mikro saß, eigentlich jedes Mal einen Fünfziger extra bekommen, wenn er "Deutschland-Achter" gesagt hat? "Seit 2012 wird zurückgerudert!", das hätte Charme und Klasse gehabt.
Dieser Schlußsatz nimmt es locker mit dem Postillon auf! :)
AntwortenLöschenHätte man nicht warten können, bis alle Ruderer tot sind? An Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten. Satire hat Grenzen! ;-)
LöschenImmerhin Erster! :)
LöschenDeutschland-Achter? Die Reichs-Acht schlägt uns in ihren Bann...
AntwortenLöschenSchade, dass es sich noch nicht bis zu den Kommentatoren herumgesprochen hat, dass die Spiele im Wesentlichen Kommerz sind (s. Halbkritisches zu Olympia) und diese nationalistische Aufladung jeden Furzes aus dem olympischen Dorf nicht recht dazu passt. Warum lässt man die Athleten nicht gleich unter dem Logo ihres Hauptsponsors antreten statt unter ihren Nationalfarben? Das würde den sportlichen Leistungen kaum Abbruch tun, und es wäre ehrlicher.