Montag, 14. April 2014

Der Soundtrack der Republik


"Downcasting people for their taste in music is close-minded. Except when their taste in music sucks."

Da ist man mal ein paar Tage nicht da (die etwas längere Sendepause in diesem Theater war übrigens einer mehrtägigen Fortbildung und einem gut gebuchten Wochenende geschuldet - sorry fürs Nichtankündigen), und schon kommen einem die lieben Kollegen zuvor. Bereits seit längerem brennt mir das Bedürfnis unter den Nägeln, ein paar Zeilen beizusteuern zu diesem gruseligen Trubel um Helene Fischer, der die Nation mehr und mehr im Würgegriff hat. Und, was passiert? Kommen einem gleich zwei Blogger mit derart wundervollen Beiträgen zum Thema um die Ecke, dass dem kaum etwas hinzuzufügen bleibt. Ein wenig Senf dazu mag ich mir allerdings dann doch nicht ganz verkneifen.

Vor zwei Jahren machte ich mir beim alljährlichen Bummel über die örtliche Kirmes einen kleinen Spaß, um nicht irgendwann durchzudrehen. Nachdem ich mir zum dritten Mal Born This Way von Lady Gaga hatte anhören müssen, beschloss ich, mich ein wenig abzulenken. Ich zählte mit, wie oft ich wohl noch mit der Nummer beschallt werden würde. Dann würde das Elend wenigstens irgendeinen Sinn haben, dachte ich. Ergebnis: Zehn mal innerhalb von neunzig Minuten. Dieses Jahr kam ich während knapp zwei Stunden auf fünf mal Atemlos von Helene Fischer.

Man verstehe mich nicht falsch. Dass es Menschen gibt, die es musikalisch, literarisch, künstlerisch, kulinarisch, architektonisch etc. gern etwas schlichter haben als man selbst, ist absolut nichts Neues. Hat es schon immer gegeben, wird es immer geben, geht in Ordnung für mich. Sich hochnäsig darüber zu erheben, artet leicht in platten bildungsbürgerlichen Dünkel aus, der niemandem gut zu Gesicht steht. Was den Helene-Hype so befremdlich macht, ist die Art und Weise, in der seine überwiegend der Pubertät längst entwachsenen Anhänger ihn zelebrieren.

Sicher, die Dame hat handwerklich was drauf, doch steht das Prinzip Helene Fischer für konsequente Abwesenheit jeglicher Ahnung von allem, was Popmusik jenseits bloßen technischen Könnens irgendwie interessant und relevant machen kann: Stil, Haltung, Coolness, Lässigkeit, Authentizität, Ironie, Kreativität sowie jeweils eine Prise Provokation und Schrägheit. Statt dessen 08/15-Mucke, zu Habmichlieb-Texten und mit Umpf!-Umpf!-Umpf!-Beats unterlegt. Wie gesagt, das muss kein Problem sein. Kirmestechno, Modern Talking und Wolle Petry sind weiß Gott keine Erscheinungen der allerjüngsten Zeit. Nein, das Problem ist, dass man inzwischen das Gefühl hat, hiesige Popmusik bestünde quasi monokulturell aus dem Wirken Frau Fischers und danach käme lange Zeit gar nichts.

Ja richtig, Musik war und ist Geschmackssache und Streit darüber konnte schon immer leicht zu Verletzungen führen. Auch das ist wahrlich nichts Neues. Neu ist aber, dass die Anhänger der blonden Sibiriakin sich mit so was wie Geschmackssachen nur noch in Ausnahmefällen aufhalten mögen und lieber das Prinzip Shitstorm für sich nutzen.

Teils erschreckend die Verbissenheit, mit der die Abgöttin mit Zähnen und Klauen gegen jede Kritik verteidigt und jeder noch so milde Kritiker mit Hass überzogen wird. Wie man da Frau Fischers technische wie optische Perfektion und ihre Disziplin für die einzig gültigen Maßstäbe hält und persönlich beleidigt ist, wenn jemand nicht einstimmen mag ins Hosianna. Differenzieren ist halt voll 1999. Wenn man hier und da mal hören würde: Ja gut, das ist schon eher einfach gestrickt, aber manchmal gebe ich mir das halt mal gern. Ein Guilty Pleasure eben. Haben alle irgendwo. Nein, jeder, der nicht mit auf die Knie fällt, ist ein hasserfüllter Miesmacher und Ignorant. Ha, ein Unerleuchteter! Auf ihn mit Gebrüll!

Das erinnert nicht zufällig an die Argumentationsmuster unangenehm zahlreicher Anhänger von Leuten wie Thilo Sarrazin, Eva Herman, Heinz Buschkowsky, Henryk M. Broder, neuerdings Akif Pirincci und anderen neokonservativen Propagandisten kleinbürgerlicher Niedertracht: Für sich selbst in einer Tour Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen, sie aber allen mit abweichenden Meinungen um jeden Preis und mit allen untergriffigen Mitteln der Polemik und Denunze abklemmen wollen.

"Music to invade Poland to", schrieb einst ein amerikanischer Musikkritiker über die ihrerzeit aus anderen Gründen umstrittenen Gitarrenverprügler und R-Roller Rammstein. Was aber ist Helene Fischer? Das personifizierte Leistungsprinzip? Der Altarengel der Selbstoptimierer? Etliche ihrer glühenden Verehrer jedenfalls liefern den passenden Soundtrack zur Merkel-Republik. Spießig, provinziell, verbiestert, allerkleinster gemeinsamer Nenner, alternativlos und wer nicht für sie ist, ist gegen sie. So hätten sie's gern. Gruselig.



8 Kommentare :

  1. Erschreckend, einzusehen, wie wenig man auf dem aktuellen Stand ist… Wer ist denn Helene Fischer??

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    1. Na, wenns mehr nicht ist - dem Manne kann geholfen werden:
      *klick*

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    2. Danke!
      Hey - die hat ja das gleiche Outfit wie ich! :)

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  2. Ich sach dann mal "FischerChöre", schallmeiende Dumpfbräsigkeit.

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  3. Offenbar Schluß mit der selbstironischen Leichtigkeit , die der Schlager zwischendrin mal hatte , aber vielleicht war das einfach eine andere Klientel.

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  4. @Rose
    Kannte ich auch noch nicht, diese Robot Barbie. (Gibt es auch als Robot Chicken ... )

    Die Philosophie erinnert mich an den Streifen «I, Robot». Dieser Film endet mit der kuscheligen Vorstellung, ein Haufen emotionsloser Robots wählte sich den Einen aus ihren Reihen, der davon ein bisschen mehr simulieren kann ...

    Die Gleichen verehren gleiches, so sie sich auf irgend eine Art und Weise identifizieren können. Je simpler die Gleichen, desto simpler das (die/der) Verehrungswerte ... Manchmal ist es halt eine Aufziehpuppe ...

    @Thomas
    Gibt es davon ein Foto ;)?

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    1. Genau - Pics or it did't happen!
      Robot Barbie. Hmmm, gefällt mir.
      @Art: Selbstironie ist anscheinend auch voll 1999

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  5. Hmh ..., interessant dazu, der Krieg zwischen den Anhängern von Helene Fischer und Andrea Berg. Kenne eine Anhängerin von Andrea Berg persönlich, und dieser Kult Ist quasi Lebensaufgabe.
    So etwas kannte ich bis dato eigentlich nur unter Teenagern.
    Dass es auch ältere Semester erfasst, die Dame ist über sechzig, das war mir in der Tat nicht bekannt.

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