Dienstag, 2. Februar 2016

Hoffen und Glauben


Sie hatten schlecht begonnen. Die Idee, das so genannte Chlorhühnchen gleichsam zur Chiffre gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP aufzubauen, war, gelinde gesagt, nicht die beste. Denn viel zu leicht konnte sie von TTIP-Befürwortern entkräftet werden und drohte damit, die Glaubwürdigkeit des Protestes gleich zu Beginn nachhaltig zu untergraben. Ehrlich, wenn das so genannte Chlorhühnchen die schlimmste Zumutung sein sollte, die das TTIP-Abkommen mit sich brächte, dann würde ich kaum einen Gedanken daran verschwenden. Und beunruhigt wäre ich erst recht nicht.

Nein, Angst vor dem Chlorhühnchen ist Mumpitz. Wer sich davor in die Hose macht, sollte nach Möglichkeit auch kein Freibad mehr aufsuchen. Des Rätsels Lösung ist, dass Schlachtgeflügel in den USA mit Trinkwasser abgespült wird, um es zu entkeimen. Weil man dort gern möglichst keimfreies Trinkwasser hat, wird es deutlich stärker gechlort als bei uns. Dadurch kann es passieren, dass ein paar Spuren chemischer Abbauprodukte am Fleisch haften bleiben. Etwa wie im Freibad eben. Davor muss man nicht mehr Angst haben als vor der Keimbelastung einheimischer Flattermänner.

Es ist ja interessant. Nun, die Aussicht, TTIP würde massig Arbeitsplätze schaffen, gilt inzwischen weitgehend als widerlegt. Ferner hat man herausgefunden, dass der Zugewinn an Wirtschaftswachstum, entgegen sonniger Versprechungen, bestenfalls marginal ausfallen wird. Und jetzt gerät eines der letzten Argumente der Befürworter ins Wanken, wenn nicht das Letzte: Dass vereinheitlichte Industriestandards zwischen EU und USA für Erleichterungen im wechselseitigen Exportgeschäft sorgen würden. Vor allem Der Deutsche MittelstandTM werde profitieren, heißt es. Nun hat man eine Vertreterin eben dieses Mittelstandes einfach mal gefragt und ihre Antwort hat in ihrer Klarheit sogar mich überrascht:

"Diese Prognosen sind leider mehr im Bereich 'Hoffen und Glauben' angesiedelt. Es gibt keine sektor-spezifischen Untersuchungen darüber, wie sich TTIP auf den Mittelstand auswirkt. Ich hatte 2015 den Eindruck, dass der Mittelstand als Werbeträger für TTIP genutzt wird."

Zumal die US-amerikanischen Standards gar nicht so leicht zu vereinheitlichen sein dürften:

"Aber die USA haben bereits in den Vorverhandlungen angekündigt, dass es auch mit TTIP in den USA keine einheitlich geregelte Übernahme von Normen geben wird, weil die nämlich oftmals Angelegenheiten der US-Bundesstaaten sind." (ebd.)

Allen Versuchen, Kritiker als naive Bauchmenschen und Kryptonazis zu diskreditieren zum Trotze, existiert inzwischen sogar eine Initiative namens KMU gegen TTIP. Und als ob das immer noch nicht genug wäre, beginnen auch Teile der CDU zu kapieren, dass sie mit TTIP ihre eigene Entmachtung ins Werk setzen würden. Also, was bleibt dann noch übrig? Wenn es weder der großen Masse der Bevölkerung etwas nützt noch nennenswert Arbeitsplätze bringt und auch die deutschen mittelständischen Unternehmen ihre erheblichen Zweifel haben, was soll der Zinnober, der nach wie vor weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird, dann noch?

Es gibt da eine interessante Hypothese. Es mag eine Unterstellung sein, aber es könnte sein, dass die multinationalen Konzerne, und nur sie profitieren von TTIP, langsam ihre Felle davonschwimmen sehen und um ihre Macht fürchten. Das Volk muckt in immer mehr Ländern auf, linke Positionen gewinnen langsam aber sicher wieder an Relevanz. Also versuchen die Multis, ihre Position zu sichern, indem sie unter dem Deckmantel von Freihandelsabkommen nationale Regierungen entmachten und, quasi als U-Boot, ein Parallelregime aus Schiedsgerichten installieren. Daher die Geheimhaltung und das trotzige Beharren auf bestenfalls wolkig zu nennenden Versprechungen.

In Deutschland ist Bertelsmann der maßgebliche Strippenzieher. Nach außen tritt man für die "'Förderung der Demokratie' und mehr Transparenz in  den Entscheidungsprozessen" ein und veröffentlichen "zweckgerichtete 'repräsentative' Umfragen [...], wonach die Bürgerinnen und Bürger sich angeblich mehr transatlantische Kooperation wünschen." Sicher doch.




4 Kommentare :

  1. Das Grundproblem ist doch, dass der Wachstum eben immer größer, schneller und expotentialer werden muss, damit es so bleiben kann, wie es jetzt ist. In diesem Dilemma und völlig absurden Wirtschaftssystem leben wir gerade. Also wird mit allen Mitteln versucht, dieses "Idiotenspiel" (Hartmut Rosa) bis zum bitteren Ende weiter zu spielen. TTIP gehört zweifelsfrei dazu.

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  2. Hallo Herr Rose,

    ich denke bei Multinationalen Konzernen nur noch an mitspracheberechtigte Shareholder aus dem Asset-Management-Bereich.

    11 dieser "Vermögensverwalter für institutionelle Anleger" verwalteten in 2013 ca. 22.600 Mrd Dollar, der größte heißt Black Stone, der seinerzeit 11.-größte "Deutsche Bank". Dann gibt es noch die 15 größten Asset-Management-Gangster für private Anleger. Die brachten in 2014 auch noch schlappe 11.071 Mrd. Dollar auf die Waage.

    Die Multis aus der Realwirtschaft werden mittlerweile durch die "Vermögensverwalter" dirigiert, als Halter von Aktienpaketen, die ein Mitspracherecht generieren, somit Aufsichtsräte und Vorstände einsetzen, die genau das tun müssen, was höhere Dividenden zeitigt.

    Laut "goldreporter.de" sollen 2011 um die 200 Billionen Dollar Vermögen auf diesem Planeten verfügbar gewesen sein.
    Und die wollen alle Zinsen und Dividenden, durch "Wachstum". Jedes Jahr ein bisschen mehr, weil das Kapital immer weiter anwächst.

    Die wirklichen Herren dieser Welt müssen und wollen dieses Spiel um Zinsen und Dividenden gewinnen, dafür ist jede Idee willkommen, die das "Wachstum" unterstützt.

    Dabei helfen Politiker, Militärs (wie D. Petraeus), Wissenschaftler, Medien, jeder wird durch ein "anderes Stück Zucker geködert".

    Zu "insitutionellen Anlegern zählen auch Staaten, deren Regierungen, deren Finanzminister.
    Auf Steuerzahlungen der Vermögenden kann dann verzichtet werden, wenn Dividenen von Black Rock und anderen die Ausfälle ganz oder teilweise kompensieren.

    Auf wessen Kosten, ist bekannt.

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    1. Interessant jedenfalls, dass auch die so genannte 'bürgerliche Presse' langsam auf den Trichter zu kommen scheint, wer profitiert.

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