"Die 'närrische Zeit' beginnt traditionell am 11.11. um 11 Uhr 11. Was in seiner Pünktlichkeit zum deutschen Wesen zu passen scheint. Um 11 Uhr 10 noch eben eine afghanische Familie abgeschoben - zack! - jetzt Frohsinn mit der Stechuhr. Das ist verbeamtete Fröhlichkeit, wie man sie nur noch Sonntag morgens in der ARD findet. Klasse!" (Micky Beisenherz)
Lustigkeit kennt keine Grenzen, Humor ist eine ernste Sache und - tatäh! - lachen auf Kommando. Zwischen diesen Eckpfeilern torkelt zu Karneval das deutsche Feiervolk herum und sorgt damit dafür, dass ich mich rosenmontags mit ein paar Berlinern bewaffnet zu Hause verbarrikadiere. Da lasse ich den lieben Gott dann einen guten Mann sein und bin meinem geliebten Arbeitgeber dankbar, dass er mir den halben Tag freigibt und mir dieses Fluchtverhalten ermöglicht. Und natürlich meinem Schicksal dafür, dass es mich gnädigerweise nicht ins Rheinland oder eine andere der so genannten Karnevalshochburgen verschlagen hat.
Alljährliche Höhepunkte des Gröl-, Sauf-, Schunkel- und Fremdvögelmarathons sind die Rosenmontagszüge. Die sind ja dieses Jahr vielerorts ausgefallen wegen Sturmwarnung. Schade um die schönen Wagen, denn diese "... kunstvoll gestalteten Gefährte bestechen durch die unterschiedlichsten Mottos, bannen Zeitgeschehen in Pappmaché und überzeugen nicht selten mit feinen Spitzen gegen die Politik. Meistens steckt eine modellierte Angela Merkel im Hintern von Erdogan oder ähnlich Feinsinniges." (ebd.)
Glücklicherweise haben zahlreiche Umzüge bereits am Wochenende vor dem Sturm stattgefunden. In diesem Jahr scheint sich ein neuer Trend abzuzeichnen: Witze auf Kosten von Flüchtlingen sind voll okay, Nazichic ist wieder salonfähig. An einigen Orten legten die Narren einen derart unverkrampften Umgang mit der deutschen Vergangenheit an den Tag, dass ich mich spontan entschieden habe, diesen kreativen Köpfen den Ronny des Monats zu widmen. Und weil ich mich gar nicht entscheiden kann, welches der folgenden Paradebeispiele deutschen Humors ich am ulkigsten finden soll, gibt es dieses Mal auch keine Platzierungen, ein jeder möge seinen Favoriten selbst rauspicken.
Der Tiger von Ilmtal
Das hat mittlerweile einigermaßen die Runde gemacht. Im bayerischen Ilmtal hatte der OCV Steinkirchen eine reizende Idee für den diesjährigen Umzug, der dort freilich 'Gaudiwurm' geheißen wird (Gaudiwurm! Der Wahnsinn! Ich krieg' keine Luft mehr!). Für die 'Ilmtaler Asylabwehr' gleich mal einen täuschend echten PzKW VI aus der Garage geholt. Und damit es keiner falsch versteht: Den Buam, die das Teil gebaut haben, ging es einzig und allein um die Gaudi, und wer was anderes behauptet, ist a Miesmacher, a humorloser, a hundsmiserabeliger! Hobts mi?
Sachsen, wehrt euch!
Oder es wird euch dasselbe Schicksal ereilen wie die Indianer damals. So warnt man im sächischen Altenberg. Immer noch das Paradox: Das Bundesland mit dem niedrigsten Anteil an Migranten hat am gewaltigsten die Hosen voll deswegen. Karl May war ja auch Sachse. Und dazu ein begnadeter Geschichtenerfinder mit blühender Phantasie.
Solingen - das muss das volle Boot abkönnen!
In Solingen werden nicht nur Messer gewetzt, auch in Puncto Humor gehen sie heuer auf Tauchstation und erreichen dabei ungeahnte Tiefen. Nur echt mit Herrn Kaleu auf der Brücke und ungelenkem Reim auf dem Rumpf (grabschen mit der Hand - jemand ne Idee, womit sonst?).
Wasungen - der Zoch kütt!
Auch in Wasungen bei Erfurt haben sie eine entzückende Idee gehabt. Sie haben das mit dem Karnevals-Zug wörtlich genommen und einen ihrer Wagen als Dampflok gestaltet. Karnevals-Zug! Hamm sie’s gecheckt? Kracher, oder? Die Lok trägt den Namen 'Balkan-Express', vorn drauf der Schriftzug "Die Plage kommt!", dazu trugen die lustigen Jecken auf dem Wagen - na? Heuschreckenkostüme. Heuschrecken! Genial, ich hau' mich weg! Luft! Wo ist mein Beatmungsgerät? Muss einer erst mal drauf kommen. Die Heuschrecken sind unser Unglück, immer gib ihnen!
Jaja, schon klar, hab verstanden. Meinungsfreiheit. Das ist kein Rassismus, das sind bloß unbequeme Wahrheiten. Satire darf alles, auch Hetze. Wir sind alle Charlie. Mutiges Statement. Wider den politisch korrekten Mainstream. Ich weiß schon, warum das organisierte Lustigsein, zumindest Teile davon, mir immer ein wenig suspekt gewesen ist.
Sorry, aber Deutsche und Humor, das klappt meist nicht, allen verzweifelten Bemühungen zum Trotze. Allzu oft mangelt's schlicht an Haltung, Lockerheit, Coolness, Selbstironie und auch dem nötigen Selbstbewusstsein. Statt dessen hüftsteifes, verkrampftes, schadenfrohes Gegröle, gruppenbezogene Häme. Immer schön auf die Minderheiten. Alle gegen einen und nach unten getreten. Wen fertig gemacht, gedemütigt. Wenns satirisch werden soll, neuerdings auch mal kreuzdoof "Merkel muss weg!" gebölkt - das gilt inzwischen für subversiv und mutig. Für das meiste andere braucht's im Zweifel viel Alkohol.
Den Panzer könnte man m.E. wirklich noch als Überspitzung/Übertreibung ansehen, wenn man es mit den Schweinereien im Asylpaket II vergleicht (und mit den dummen Äußerungen der AfD)... Aber in der heutigen aufgeheizten Stimmung kann es gerne auch von rechten Idioten missverstanden ( und für ernsthaft genomment) werden, so dass man darauf hätte verzichten sollen...
AntwortenLöschenDie anderen Wagen sind einfach nur geschmacklos...
@Stefan Rose
AntwortenLöschenVolltreffer.
Übrigens, ich feiere schon lange kein Fasching mehr seit ich weiß, dass es den Jecken und Narren eigentlich auch nur um eines geht:
Kohle, grüne Scheine bzw. Euro.
Wie? Stimmt nicht?
Na ja, die Diskussion ist uralt, aber es war mal - beim 1. Golfkrieg so.
Hier mal ein etwas älterer Link dazu im Netz (den ich zufällig heute gefunden habe):
http://www.wz.de/lokales/kreis-viersen/niederrhein/vor-20-jahren-fielen-die-karnevalsumzuege-wegen-des-golfkriegs-aus-1.565946
Übrigens, der damalige "Schmutzige Dunstig" (wie es im allemannischen so schön heißt) ist mir, trotz der langen Zeit, immer noch gut in Erinnerung, ebenso wie die Diskussion darum. Dort hatten die Mitmenschen hier noch soetwas wie Moral - es durfte noch diskutiert werden. Heute wird stur weiter gefeiert obwohl weltweit die Bundeswehr im Einsatz ist, Soldaten "fallen", Fremdenhass wieder salonfähig ist in manchen Kreisen der BRD usw. usf.
Tja, schade, aber es ist halt so, und läßt sich übrigens nicht mehr ändern.
Als ich noch Fastnächtler war widerte mich übrigens auch die organisierte Fastnacht an, die du hier so treffend auf's Korn nimmst - damals gab es auch noch eine urtümliche, andere Version - in manchen Schwarzwald-Dörfern. Die unorganisierte, spontane Narrenfreiheit aus dem Bauch heraus - keine Ausländerhasser dabei, aber dafür Frohsinn der von einem selbst heraus kam - auch dies ist ein Grund warum ich die organisierte Fastnacht, die hier bei uns gang und gäbe ist so verachte.
Gruß
Bernie
Kleine Ergänzung:
LöschenFremdschäm: Sollte vielleicht noch erwähnen, dass der damalige "Schmutzige Dunnstig" der einzige Tag in dem damaligen Jahr war an dem Fastnacht "gefeiert" werden durfte - einen Tag später war alles vorbei, da man "im Krieg" keine Fastnacht feiert, und die Diskussion darum warum überhaupt absagen (durch die Narrenvereine angestoßen) fing erst an - Die haben sich durchgesetzt, es darf, wie eben erwähnt, dank Kohle, Euro und grünen Scheinen, wieder gefeiert werden - soviel zum "Brauchtum" in Zeiten des (neoliberalen) Kapitalismus....
Zynischer Gruß
Bernie
Wir brauchen dringend eine Zensurbehörde für den guten Geschmack!
AntwortenLöschenBaaah, Zensur! Gibt doch wieder nur den selbst ernannten Opfern des Mainstreams recht. Karnevalsvereine und Organisatoren mit einem Gespür, für das, was sich gehört und was nicht, wären schon eine große Hilfe.
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