Dienstag, 21. Juni 2016

Willkommen zurück im Neandertal


Die momentan so heftig sich ereignende Fußball-EM wirft schon die eine oder andere Frage auf. Nicht selten handelt es sich um die, was in einigen Menschen eigentlich vorgeht. Da hat es das ZDF doch tatsächlich gewagt, zwei Vorrundenspiele von einer Frau kommentieren zu lassen, und schon geht mit nicht wenigen offenbar der behaarte Neandertaler durch. Es geht in Ordnung, Frau Neumanns Art des Kommentierens nicht zu mögen, man mag ihr gern mangelnde Sachkenntnis nachweisen, so man das schafft, was aber geht in Menschen vor, die ihr allen Ernstes Vergewaltigungen androhen? Mit welchem Recht begehren solche Menschen noch Ernst genommen zu werden? Wer es für den Untergang der Fußballwelt as we know it hält, wenn eine Frau zwei Spiele kommentiert, muss sich fragen lassen, in welchem Erdloch er die Jahrzehnte zugebracht hat, in denen Sabine Töpperwien Samstag für Samstag 'Sport und Musik' im Radio kommentiert hat.

Trotzdem, was sind das für Leute? Vermutlich sind es, wie Herr Beisenherz nicht ganz zu Unrecht spekuliert, dieselben, die nach der Silvesternacht von Köln so vehement die Ehre der deutschen Frau verteidigt haben. Ahnung vom Fußball haben sie jedenfalls keine, denn dann wüssten sie, dass Frauen mittlerweile nicht nur Fußballspiele kommentieren, sondern auch selbst Fußball spielen. Echt jetzt.


Dann wäre da die Rückkehr der Hooligans. Von der zu hoffen ist, dass sie sich auf einzelne Spiele der Vorrunde beschränkt hat und nunmehr erledigt sein müsste. Die britischen Fans haben beim glanzvollen 0:0 ihrer Mannschaft gegen Slowenien ja gezeigt, dass sie sich halbwegs benehmen können. Mir hat sich das Prinzip des Hooliganismus nie erschlossen. Warum sich völlig ohne jede Not gegenseitig vermöbeln? Aus Langeweile? Schön, aber warum machen Leute, denen so grottenlangweilig ist und die so viel überschüssige Energie haben, dann nichts Sinnvolles? Steine kloppen etwa. Oder Rasen mähen. Häuser und Straßen bauen. Eine Kreuzfahrt im Maschinenraum einer Galeere. 48 Stunden Umpf!-Umpf!-Umpf!-Dauergezappel in irgendwelchen Clubs. Oder warum sich nicht einfach an jedem Spieltag ein paar Stunden selbst mit dem Gummihammer was vor die Murmel geben, wenn man so auf Schläge steht? DIY! Ist unter dem Strich auch nicht ungesünder. Und man kommt sogar völlig ohne illegale Substanzen aus. Es gäbe so viele Möglichkeiten.

Oft ist zu hören, Hooligans seien mitnichten gesellschaftlich abgehängte Prolls und Unterschichtler, es fänden sich alle Schichten unter ihnen, etwa brave Bankangestellte mit Einfamilienhaus und dazugehöriger Familie, die am Wochenende eben die Sau rausließen. Soso, aha. Das verstehe ich noch weniger. Ich meine, da hat man sich ein gediegenes, nettes Dasein aufgebaut und muss dann jedes Mal, wenn man mit zerbeulter Visage, Veilchen und ausgehauenen Zähnen im Büro erscheint, doof herumlügen ("Äh, ich habe versucht, meine Schildkröte einzufangen und bin vor den Schrank gelaufen."). Was soll das? Das ist ungefähr so, als würde man seinen Neuwagen mutwillig mit dem Vorschlaghammer verbeulen und hinterher erzählen, das sei der Hund vom Nachbarn gewesen, na der könne was erleben. Ja, ja, Zivilisation kann echt nerven! Was machen solche Geistesgrößen eigentlich als nächstes? Das Rad erfinden? Aufrecht gehen?

Tjaaa, heißt es dann, das seien eben die Urtriebe. Der Höhlenmensch in uns. Das Adrenalin, das einst uns durchblubberte auf Mammutjagd. Oder als wir in der Schlacht Mann gegen Mann noch das Weiße im Auge des Gegners sahen. Also ganz so wie damals, als unsere Vorfahren ihre verschwitzten, eingeölten, muskulösen Heldenkörper aneinanderpressten, um mit circa 300 anderen mehr oder minder latent Homophilen die Thermopylen gegen die Perser zu verteidigen? Okay, das war nicht mehr ganz Steinzeit, aber ich denke, ich verstehe.

Sicher, man kann darüber reden, dass dem Fußball mit zunehmender Professionalisierung in den letzten Jahrzehnten alles Rohe, Atavistische ausgetrieben wurde und ein Stadionbesuch mehr und mehr zum rundum sorglosen, fröhlichen, familientauglichen, kunterbunten Party-Event geworden ist. Man kann beklagen, dass nicht mehr der kleine Mann, der Arbeiter, der die Woche über auf den Spieltag hinlebte, das erwünschte Stammpublikum ist, sondern der zahlungskräftige Angestellte, der sich ein sky-Abo leisten kann, jedes Jahr brav das aktuelle Trikot und andere möglichst teure Fanartikel kauft, am besten für die ganze Familie, und lieber teure Sitzplatz- anstatt billige Stehplatzkarten abnimmt. Man kann weiterhin gern darüber diskutieren, dass der moderne Fußballprofi eher ein stromlinienförmiger Leistungserbringer ist anstatt ein individualistischer Querkopf. Und schließlich kann man noch anführen, beim Fußball ginge es eben nicht immer politisch korrekt zu, wie man schon an den Fangesängen hören könnte.

Kann man alles gern tun, aber, sorry, bei Gewalt hört der Spaß nun einmal auf. Warum müssen, wenn ein paar hundert Deppen ihren Spaß haben wollen, massenhaft Menschen ernsthaft gefährdet werden, die damit nichts am Hut haben und statt dessen lieber zivilisatorisch deformierte Weicheier bleiben würden? Immer wenn Hooligans aufeinandertrafen, war mein erster Gedanke nie: Na ja, eigentlich geht das nicht, aber das hat schon irgendwie was, hihi... Archaisches. Ich geb's ungern zu, aber es übt eine gewisse Faszination aus. Nein, ich habe von jeher, und zwar auch in deutlich jüngeren Jahren, gedacht: Warum treffen die sich nicht einfach in einem eingezäunten Gehege irgendwo außerhalb der Stadt? Da können sie sich dann nach Herzenslust so lange gegenseitig die Fressen polieren und auf die Glocke geben, bis sie alle aussehen wie Hacksteaks, und niemanden würde es stören. Es würde im Übrigen auch immer die richtigen treffen. Um Fußball geht es ihnen, scheint's, eh nicht.

Wenn es angeblich so toll ist, regelmäßig den Fred Feuerstein in uns zuzulassen, wieso fahren diese Typen dann mit Autos, Bussen, Zügen und Fahrrädern, anstatt zu Fuß zu gehen (jede Wette, wenn diese Gelangweilten, wie einst die Altvorderen, auch nur eine ihrer ruhmreichen Schlachten komplett per pedes aufsuchen müssten, dann wären die so kaputt, dass sie garantiert nicht mehr die Idee kämen, sich zu prügeln). Warum nehmen sie Streichhölzer und Feuerzeuge zum Feuer machen? Wieso kaufen sie ihr von anderen erlegtes und geerntetes Essen im Laden, anstatt selbst zu jagen und zu sammeln, wie's der steinzeitliche Brauch ist? Oder laden die Frau ihres Herzens zum Essen ein, überreichen geköpfte Zierpflanzen und Geschmeide, anstatt kurz und bündig mit der Keule für klare Verhältnisse zu sorgen?

Gut, ja, vieles von dem ist aufgrund der Zwänge, denen wir so ausgesetzt sind, nicht immer ohne weiteres machbar, schon klar. Einiges gäbe auch Ärger mit Justiz und Krankenkassen. Aber eine Idee hätte ich dann doch für alle Möchtegern-Neandertaler. Einfach mal einen Monat lang alles barfuß erledigen und nur auf der Arbeit Schuhe tragen. Wer das durchgehalten hat, der darf mir danach auch gern was vom Höhlenmenschen in uns allen erzählen.


7 Kommentare :

  1. Guter Text, der hoffentlich viele Leser zum Nachdenken anregen wird.
    Das immer mehr und immer häufiger die stetig wachsende Gruppe der „Blöd mit Internetzugang“ ihren justiziablen Dreck ins Netz kackt ist eigentlich nur der Untätigkeit der dt. Justiz zu verdanken.
    Die Hetze von Pegida und Afd, anderen rechtsradikalen Leuten, die eben nicht verfolgt wird, obwohl die Gesetze bei Volksverhetzung eindeutig die Staatsanwaltschaften zwingt, tätig zu werden, ermuntert eben auch andere, unterbelichtete Gestalten, zu beleidigen. Bei Beleidigungen muss man als Beleidigter allerdings Strafanzeige stellen. Nur das oftmals Beleidigungen mit Gewaltandrohungen einhergehen, wo wiederum der Staat ermitteln muss. Und zu oft unterlässt.

    Hooligans unterliegen m. M. n. Einer Gruppendynamik. Zudem sind diese Leute, durch die bank weg, extrem gewaltbereit und haben niedrigste Hemmschwellen. Die dank fehlender Intelligenz die Organisation öffentlicher Massenevents den jeweiligen Veranstaltern überlassen, die dann für Massenschlägereien genutzt werden. Das diese Gruppen überall verstärkt Zulauf haben, darf nicht verwundern.
    Ein weiteres Ergebnis der neoliberalen, asozialen und egoistisch ausgerichteten europäischen Gesellschaften. Die keine vernünftig bezahlte Arbeit bereit stellen, dafür aber soziale Ausgrenzung betreibt und Zwang durch den Staat (in Dt. z. B. durch BA, JC) ausübt. Oder sich erst gar nicht kümmert, außer mit Schlagstöcken, als Ersatz für Sozialarbeit, wie in Russland und anderen osteuropäischen Ländern.

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  2. " ihre verschwitzten, eingeölten, muskulösen Heldenkörper aneinanderpressten, um mit circa 300 anderen mehr oder minder latent Homophilen die "

    Könnte auch die Beschreibung eines Skinhead-Konzerts sein.

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  3. Obwohl ich mich für Fußball nicht interessiere, finde ich ihn gut.

    „Warum sich völlig ohne jede Not gegenseitig vermöbeln?“ – Weil es nicht geplant, sondern wie jede Wirtshausprügelei ein Ausrutsch ist. Die Aggression ist angestaut im Alltag. Der Fußball ist nur der Auslöser.

    Eigentlich hast du – in Zitatform – alle Fragen selbst beantwortet:

    „Tjaaa, heißt es dann, das seien eben die Urtriebe.“ – yep. So ist es.

    „... um mit circa 300 anderen mehr oder minder latent Homophilen die Thermopylen gegen die Perser ...“ – dicht vorbei, aber nahe dran: „Wir sind die Guten.“

    „... aber das hat schon irgendwie was, hihi ... Archaisches ...“ – genau.

    Der Mensch ist außer zivilisiert auch urtümlich, wenn man den Schlips weglässt. Die ursprünglichen Triebe suchen sich gelegentliche ihr Recht. Es wäre eine Schande, das dem Menschen vollständig auszutreiben.

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    1. No ja, ganz auszutreiben wird's ihm auch nicht sein, da würde ich mir keine Sorgen machen. Andererseits war es immer ein zentraler Aspekt von Zivilisation, solche Affekte irgendwie zu kanalisieren. Und deshalb kann ich, Wie gesagt, nichts erhaltenswertes daran finden, wenn jede Menge Dritte gefährdet. Man nenne mich darob gern eine Spaßbremse.
      @Art: Was die körperlichen Attribute angeht, nicht unbedingt, würde ich sagen.

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    2. @Stefan Rose – ist alles vernünftig, was du schreibst, aber mir geht es nicht um eine Befürchtung, sondern um ein Bekenntnis zum Untier ganz, ganz tief unten in uns, das manchmal an die frische Luft muss. Gassi, weißt schon.

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    3. Ja danke, hatte ich ursprünglich nicht so verstanden. Jetzt schon.

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  4. @Stefan

    Stimmt , "Bier formte diesen ...Körper..."

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