Montag, 8. August 2016

Reiseimpressionen (6)


Eine Busfahrt, die ist lustig

"Erleben... Erfahren... Genießen", so steht es auf der Seite des doppelstöckigen Trucks, der uns herüberkarren soll. Lustig. Niemand bucht eine Busreise, weil's so viel Spaß macht, sondern einzig und allein, weil sie meist die günstigste Alternative überhaupt ist. Gegen meine Gewohnheiten habe ich dieses mal also eine Busreise auf die Insel gebucht. Normalerweise nehme ich ja den Billigflieger, weil ich mir dank der dortigen Verwandtschaft keinen Kopf um eine Unterkunft machen muss. Nur ist die gerade verhindert. eine Unterkunft aber ist das Problem. Dort hin- und rumzukommen ist einigermaßen günstig machbar. Ein Dach über dem Kopf schon weniger, sofern man nicht mit 20 besoffenen Australiern einen Schlafsaal im Hostel teilen will. Also Busfahren. Nun gut, mal wieder mit dem Schiff und mit Blick auf die Klippen von Dover anzureisen, hat auch was. Lockert zudem die ewige Sitzerei ein wenig auf.


Als Kind und Jugendlicher habe ich Reisebusfahrer immer als alte autoritäre Säcke erlebt, die Willi oder Heinz hießen, eine Glatze hatten und einem verboten, das Klo zu benutzen. Weil sie darin immer die Getränkedosen gestapelt hatte, die sie während der Reise dann schwarz an die Fahrgäste vertickten und einen schönen Schnitt nebenbei machten.

Unser Fahrer hat zwar auch eine Glatze, ist aber, wie heutzutage üblich, ganz auf Dienstleistung und Zuvorkommenheit getrimmt. Klar, die Konkurrenz wird nicht weniger, soziale Netze machen beschwerdefreudig. Dann und wann aber vereimert er seine Fahrgäste mit leicht lustvollem Unterton in der Stimme. Die Konsequenzen, die jenen armen Seelen blühen, die es wagen sollten, sich nicht korrekt in die Ausweisliste für die Zollkontrolle in Calais einzutragen, malt er in den grausigsten Farben aus. Und seine Ankündigung, im Hotel gäbe es ausschließlich englisches Frühstück, sorgt bei einigen für verspannte Gesichter. Der Mann macht den Job halt schon länger und kennt seine Pappenheimer, wie sich herausstellen sollte. Anders wird man in der Branche vermutlich nicht alt.

Nur der Musikgeschmack älterer Buskutscher scheint sich nicht geändert zu haben. Aus den Boxen quillt, zum Glück dezent, Volkstümliches.


Funktioniert halt irgendwie

Interessant, wie Wahrnehmungen sich nach kurzer Zeit im Ausland ändern können. Zwar ist London die größte, quirligste, multikulturellste Ansiedlung Westeuropas, andererseits vom Gefühl her ziemlich sicher. Zumindest da, wo das Gros sich so bewegt. Kann daran liegen, dass diese Stadt schlicht nicht schläft. Nachts ist fast so viel los wie am Tage, da gibt es weniger verschwiegene Ecken (ich sollte noch erwähnen, dass ich keineswegs in einer der feineren Gegenden abgestiegen bin, sondern im arg abgeranzten Croydon). Außerdem herrschen CCTV und eine riesige Präsenz an Sicherheitskräften. Die wiederum sehen alle fast so aus wie Polizisten bzw. sind aus der Ferne leicht mit welchen zu verwechseln (vermutlich ist das Karomuster der Polizeiuniformen nicht geschützt). Wirklich unwohl gefühlt habe ich mich eigentlich nur einmal: Als ich daheim am Busbahnhof meiner heimatlichen RMR (Randständige Mittelgroße Ruhrgebietsstadt) auf den Bus wartete und eine Truppe alkoholisierter Spaßbacken derart aggressiv Spaß hatte, dass ich mich lieber unsichtbar machte. Witzig.


Das Haus nebenan. Nomen est omen
Was fällt sonst auf? Die Kommerzialisierung schreitet Jahr für Jahr weiter voran. Was im Mutterland des Kapitalismus auch nicht wirklich verwundern kann. Immer neue, immer monströsere Glaspaläste werden in die Landschaft gepimmelt, das Stadtpanorama an der Tower Bridge ist nicht mehr wiederzuerkennen. Das Britische Museum erinnert zunehmend an eine Einkaufsmeile mit angeschlossenem Museum. Man sollte nicht zu sehr meckern. Weil der Eintritt in den staatlichen Museen (British Museum, Imperial War Museum, Tate, National Gallery, V & A etc., private Museen wie Madame Tussaud und alles, was der Krone gehört, rufen happige Preise auf) frei ist, die Kosten aber bleiben, muss eben anders Geld hereinkommen. Der Deal geht folgendermaßen: Der Eintritt in eine der großartigsten, wenn nicht die großartigste archäologische Universalsammlung der Welt ist gratis, dafür halten wir, Fremder, die Kralle auf, wo wir nur können. Im Science Museum wird man am Eingang neuerdings direkt um 5 Pfund Spende angehauen.

Hereinspaziert! Massig Kunst, ...
... Raubkunst...
... und Kommerz
Andererseits ist man wieder sehr pragmatisch. In den Neunzigern wurde der Londoner Nahverkehr privatisiert. Als das nach einigen Jahren im Chaos endete, rekommunalisierte man Transport For London und bezuschusst das alltägliche Wunder der Tube seitdem wieder mit Steuermitteln. Klappt nicht? Nicht gut? Schön, dann eben nicht. Weil ich jeden Tag von Thornton Heath mit der Bahn zur Victoria Station gefahren bin, kann ich sagen, dass zumindest die Dienste der privaten Eisenbahngesellschaft Southern Railways nach London Victoria weitgehend reibungslos zu laufen scheinen. Es gibt ein einheitliches Tarifsystem für alle Gesellschaften und die Infrastruktur wird von einer staatlichen Firma instand gehalten. Die Züge sind nicht die neuesten, ausgefeiltesten, sie rappeln und schaukeln ein wenig, dafür funktionieren sie. Das Anzeigesystem ist fexibel, die Züge halten an dem Bahnsteig, der kurz vorher angezeigt wird. Man muss eben die Augen offenhalten.

Überhaupt, die öffentliche Infrastruktur. 2012, anlässlich der Olympischen Spiele, haben sie hier den eisernen Besen in die Hand genommen. Und Geld, viel Geld. Sichtlich. Die meisten Bahnhöfe und U-Bahnhöfe wurden renoviert, neue Linien werden gebaut und man hält die Straßen sauber. Kippen wegwerfen wird seitdem streng bestraft (man sieht eh kaum noch jemanden irgendwo rauchen). Nun sollte man vorsichtig sein mit seiner Schwärmerei und nicht von der Millionenmetropole London auf das ganze Land schließen. Hierhin geht alles, hier ist Kaufkraft und Nachfrage, hier lohnen sich Investitionen. Hier gibt es zwei kostenlose Tageszeitungen pro Tag, weil die Werbekunden da sind. Mit voller Hose ist eben gut stinken. Wer sich hingegen in die Provinz begibt und sich die Ödnis kleinerer und mittelgroßer Städte ansieht, in denen ein tristes, veraltetes Einkaufszentrum die zentrale und einzige Attraktion ist, kommt von seinem Hype schnell herunter. Über die Mieten und Immobilienpreise reden wir besser gar nicht erst.

Dennoch faszinierend zu sehen, wie diese chaotische Stadt trotz allem irgendwie funktioniert. Vor allem, weil die meisten hier gelernt haben, sich auch mal zu entspannen und sich nicht so wichtig zu nehmen, immer noch. Gerade für Deutsche unvorstellbar. Die waren beim Frühstück oftmals an ihren bräsigen, ratlosen Gesichtern zu erkennen, wenn irgendwas mal nicht so lief. Gut, natürlich nicht alle, aber wann immer jemand diesen töffeligen "Ei Hilde, des gehd doch ned, mer han doch schlieslisch bezahlt"-Ausdruck drauf hatte, konnte man einigermaßen sicher davon ausgehen, es mit einem deutschen Muttersprachler zu tun zu haben.


Heißlaufende Unterhaltungsindustrie

Das Londoner West End ist seit jeher ein Amüsierviertel mit hoher Theaterdichte. Dass hier in der Regel keine rasend anspruchsvolle, künstlerisch subventionierte Stadttheaterware gegeben wird, sondern Stücke, die halt laufen, am besten täglich ausverkauft sein müssen, ist ebenfalls bekannt. Stört sich auch keiner dran. Buchpreisbindung kennt man ja auch nicht hier. Gerade ist Mrs. Rowlings 'Harry Potter'-Stück angelaufen. Man kann eigentlich nicht sagen, dass es so gar nichts mit Anspruch zu sehen gäbe, aber man muss es halt suchen. Alles nichts neues. Nur kommt es mir inzwischen vor, als würde mittlerweile aus wirklich allem und jedem irgendwie ein Musical gestrickt. Im Moment sind Filme dran. 'Bodyguard' zum Beispiel. Oder 'American Idiot' von Green Day.


Wer weiß, was noch kommt. Opa Erwin hat bei Tisch einen fahren lassen und alle haben herzlich gelacht? Demnächst mit Musikuntermalung in einem Theater in Ihrer Nähe!

Noch was ohne Musical?
Die alte Frage: Ist es das Alter, wenn man über einiges heftiger den Kopf schüttelt oder wird einiges wirklich immer bekloppter? Ich meine, es sollte sich herumgesprochen haben, dass Sherlock Holmes eine rein literarische Figur ist, die nie existiert, so wenig wie ein Haus Nummer 221B Baker Street je existiert hat. Weil ich ein seit langem ein Freund der Geschichten um den Meisterdetektiv bin und auch die Neubearbeitung der BBC genial finde, kam ich auf die Idee, mal zu schauen, was so ein 'Baker Street'-Straßenschild kostet. Könnte sich daheim vielleicht gut als Wandschmuck machen, dachte ich. Da ich eh gerade in der Ecke war, schaue ich mal im offiziellen Sherlock-Holmes-Fanshop vorbei, dachte ich. Womit ich nicht gerechnet hatte, war dies:



Zirka einhundert Meter Warteschlange, nur um in einen wahrscheinlich überteuerten Andenkenladen eingelassen zu werden und sich, vermutlich gegen einen horrenden Eintrittspreis, zwei nach Erzählungen hergerichtete Räume anzuschauen. Da war dann sogar ich ein wenig baff.

Fortsetzung folgt.




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