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Mittwoch, 24. Mai 2017
Spargel ist so gesund!
"Geschmacklich sind die heute zu über 95 Prozent angebauten Hybrid-Laborzüchtungen den Oldies jedenfalls derart unterlegen, dass sie im Direktvergleich fast wie eine komplett andere Gemüseart wirken. [...] [Was] 'moderne' Spargelbauern von ihren Pflanzen erwarten: unauffälliger Geschmack, Folienverträglichkeit, gerader Wuchs mit möglichst gleichen Dicken, Kopffestigkeit, zartfasrige Textur, Schädlingsresistenz und natürlich maximaler Ertrag. Der erfordert aber neben Folien und Beetheizungen auch den flächendeckenden und massiven Einsatz von Kunstdüngern. Während früher der Spargel am liebsten auf ordentlich verrottetem Mistboden gedieh, kicken heute Hochleistungsmineraldünger die Stangen nach oben - die wegen ihres raschen Wachstums dummerweise haufenweise Moleküle aus diesem Chemiebaukasten in ihre Zellen einbauen und auf dem kurzen Weg zum Konsumententeller auch so schnell nicht wieder abbauen." (Peter Wagner)
Fragt sich natürlich, ob die Rückstände aus den ordentlich verrotteten Mistböden, die die Spargelstangen demnach früher angereichert haben müssen, so viel besser waren. So eine E. coli-Infektion ist auch kein Spaß. Trotzdem, ich wusste schon immer, wieso der Kult um den wässrigen Urinstinker mir suspekt ist.
Zumal das oben Zitierte auch sehr schön erklärt, wieso ich, obwohl meine tiefsitzende, einem Kindheitstrauma geschuldete Spargelaversion längst überwunden ist, geschmacklich ums Verrecken nichts Besonderes an den labbrigen, phallischen Glitschprügeln zu finden vermag. Schmecken halt irgendwie mild. Gar nicht mal unangenehm, aber auch nicht weiter bemerkenswert. Gibt zig interessantere Gemüse, wenn man mich fragt. Viele scheinen ein Spargelessen eh nur als Vorwand zu nehmen, Berge silikoniger, jegliche Restfinesse zuverlässig verkleisternden Fertighollandaise in sich reinzuschaufeln. Denn die und die Kartoffeln sind es, die den Spargelesser satt machen. Königlich war Spargel nicht allein wegen seines feinen Geschmacks, sondern wegen seiner Seltenheit. Weil der Anbau einfach nicht lohnte.
Angeblich sollen, woran Rainer Balcerowiak erinnert, auch die NS-Machthaber versucht haben, den Anbau des 'königlichen Gemüses' zu unterbinden. Wie auch in der DDR der Großteil des Beelitzer Spargels in den Export gegangen sein soll. Nun ist Demokratisierung einstmals königlicher Privilegien mir grundsätzlich so sympathisch wie etliches Schöne, das die Nazis qua Weltbild verbieten wollten, schon aus Prinzip, aber im Fall des Spargels waren die Gründe weniger ideologischer Natur. Spargelanbau liefert, gemessen am Flächenbedarf, sehr wenig Nährstoffe und Spargelfelder können für nichts anderes genutzt werden. Weil sowohl das NS-Regime als auch später die DDR-Führung vor dem Problem standen, die Bevölkerung mit den vorhandenen Ressourcen zunächst mal satt zu bekommen, hatten auf den begrenzten Flächen bei den damals deutlich niedrigeren Erträgen nahrhaftere Pflanzen Vorrang.
Das hat sich weitgehend erledigt, weil dank der viel höheren Erträge und der besseren Flächenausnutzung der heutigen industrialisierten Landwirtschaft niemand mehr hungern muss oder zu wenig zu essen hat, weil Spargel angebaut wird. Man kann aber durchaus erwähnen, dass der Zinnober trotzdem eine Ressourcenverschwendung allererster Güte ist, ohne sich deswegen zum NS-Sympathisanten zu machen. Das Zeug hat ungefähr den Nährwert von Papiertaschentüchern und eine Ökobilanz, gegen die sich diejenige argentinischer Filetsteaks geradezu lächerlich ausnimmt.
"Es heißt, je mehr Gemüse auf den Teller käme und je weniger Fleisch wir äßen, desto mehr Menschen würden satt. Dummerweise braucht Spargel reichlich Fläche bei wenig Ertrag. Nicht umsonst ist er sündteuer. In den ersten zwei Anbaujahren erntet man noch nichts. Erst ab dem dritten Jahr kann ein paar Monate lang Spargel gestochen werden. Dazu kommt ein erklecklicher Energieverbrauch: Spargelbeete verfügen heute über eine spezielle Fußbodenheizung, die im Acker verlegt wurde, damit die Pflanze schneller treibt. Die frühen Triebe bringen das meiste Geld." (Udo Pollmer)
Ach ja, und irre gesund soll das saisonale Liliengemüse auch noch sein, ein wahrer "Alleskönner". Ein Kilo mindestens so heilkräftig wie der Warenbestand einer halben Apotheke, wenn man den Propagandisten glauben darf. Hilft für und gegen alles und beugt allem vor, von Arschkrebs bis Zehennagel, eingewachsener. Aber sicher doch. Kunden, die so was glauben, kauften auch Schlangenöl, MMS und Akasha-Säulen.
Fassen wir zusammen: Spargel schmeckt, vor allem in seinen heutigen stromlinienförmigen Zuchtformen, eher unaufdringlich, ist weder sonderlich nahrhaft noch übermäßig gesund (wenn man von einer leicht harntreibenden Wirkung einmal absieht). Zudem enthält er neben Wasser zumeist jede Menge Düngerrückstände und der Anbau funktioniert nur, weil wir aufgrund unserer hoch effizienten Landwirtschaft genügend Freiflächen für Luxusvergnügen wie Spargelfelder und Golfplätze übrig haben. Wer das Zeug gern mag, soll's halt tun und es mit Genuss verputzen, aber für kultische Verehrung gibt es so wenig Gründe wie für quasireligiöse Heilserwartungen an seine segensreiche Wirkung.
In kulinarischer Hinsicht wäre eine der alten, nicht wuchs-, geschmacks- und formoptimierten Sorten sicher mal einen Versuch wert. Nur kommen die kaum in den Handel, weil sich meist die Sterneköche den Großteil der bescheidenen Ernte sichern.
1 Kommentar :
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Endlich sagt's mal einer.
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