Sonntag, 26. November 2017

Asozialticket in schwarzgelb


25,77 Euro pro Monat sind 2017 im Hartz-IV-Regelsatz von (noch) 409 Euro für Verkehr vorgesehen. Also für Mobilität, nicht für Verhütung. 37,80 Euro kostet momentan im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr das Sozialticket im Monat. Damit kann man im ganzen Stadtgebiet bzw. Kreisgebiet einen Monat lang fahren. Noch. Denn die CDU-/FDP-geführte Landesregierung will das Ticket in Nordrhein-Westfalen ab 2018 abschaffen. Die geschätzten 40 Millionen Euro, die man sich dadurch einzusparen erhofft, sollen in den Straßenbau fließen. Soso. Aha. Ein Kilometer Autobahn kostet zwischen sechs und 20 Millionen Euro. 40 Millionen will man einsparen, indem man das Sozialticket streicht. Davon kann man, so die obigen Zahlen korrekt sind, also zwischen zwei und sechs Kilometer Autobahn bauen bzw. instand halten. Wer schon einmal per Auto in NRW unterwegs war, der weiß: Wenn das die Verkehrssituation im Lande nicht schlagartig verbessern wird, dann hilft gar nix mehr.

Wovon reden wir? Anstatt sein Mobilitätsbudget mit 12,03 Euro zu überlasten, wird die billigstmögliche Monatskarte, im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr das 'Ticket 1000' im Abonnement, ab 2018 mit ca. 60 Euro im Monat zu Buche schlagen. Also über 30 Euro mehr. Für Solala- und Halbwegsnormalverdiener mag das vielleicht ärgerlich, aber noch machbar sein, für Menschen, die mit jedem Cent rechnen müssen, ist das eine Hiobsbotschaft. Das Geschrei, das losgegangen wäre, wenn etwa eine rot-grüne Landesregierung angekündigt hätte, sich das Geld für die kaputtgesparten Straßen irgendwie von anderen zu holen, etwa von welchen, die sich's problemlos leisten könnten und die auf überhaupt nichts verzichten müssten, mag man sich gar nicht ausmalen. Nur geht es überhaupt nicht um Einsparungen. Kann es bei Lichte besehen gar nicht. Es geht um anderes.

Eine der zentralen Änderungen, die Hartz IV mit sich gebracht hat, wird eher wenig beachtet: Die 'alte' Arbeitslosenhilfe war eine Leistung, die aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung bestritten wurde. Den Leistungen standen also zuvor geleistete Zahlungen gegenüber. Nur die von den Kommunen geleistete Sozialhilfe, früher auch 'Fürsorge' oder 'Armenfürsorge' genannt, war keine Versicherungsleistung. Das ALG2 hingegen, das damals als 'Zusammenlegen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe' verbrämt wurde, machte auf einen Schlag Millionen von Versicherungsnehmen zu gegenleistungslosen Fürsorgebeziehern und damit zu Bittstellern. Das hat eine Menge verändert im Verhältnis des Staates zu den Schwächsten. Und zwar zu deren Ungunsten. Aber es funktioniert offenbar.

Damit das funktioniert, mussten zwei Narrative in der Öffentlichkeit etabliert und sie müssen unbedingt aufrecht erhalten werden: Erstens, dass eigentlich genug Arbeit für alle da ist, man halt nur ein wenig flexibel sein muss. (Ableitung: Wer keinen Job hat, ist wohl wirklich ein fauler Sack.) Zweitens, dass Hartz IV trotz der einen oder anderen Härte im internationalen Vergleich immer noch der pure Luxus ist. Beim breiten Volke muss die unterschwellige Botschaft verfangen: Deren Leben ist ein einziger Sonntag, während ihr jeden Morgen früh aufstehen und diese Bande mit eurem Hart Erarbeiteten GeldTM durchfüttern müsst. (Ableitung: Sie bekommen es auch noch vorn und hinten reingeschoben, etwa, indem sie billiger Bus fahren als ihr.) Und wenn es etwas gibt, was den kniepigen Klischeemichel zuverlässig in Rage bringt, dann, wenn welche was einfach so bekommen, für das er Hart ArbeitenTM muss und denen das seiner Meinung nach - will heißen: seinem Empfinden nach - daher nicht zusteht.

Wundert es eigentlich jemanden, wieso in diesem Zusammenhang fast immer nur von Hartz-IV-Empfängern die Rede ist (wobei 'Empfänger' bereits eine verräterische Wortwahl ist)? Das Ticket steht nämlich auch Leistungsberechtigten nach SGB XII (Sozialhilfe bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt) und SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) zu. Weiterhin Beziehern von Wohngeld nach WoGG sowie Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem Bundesversorgungsgesetz. Es werden in Zukunft also auch unter anderem eine Menge Rentner und Geringverdiener, die jetzt schon mit jedem Euro rechnen müssen, Probleme bekommen. Das wird mal eben so mitabgeschafft, ohne dass das Lärm machte. Der Popanz vom faulen, gepamperten Hartzer eignet sich offenbar immer noch hervorragend dazu, weiterreichende soziale Grausamkeiten durchzuschmuggeln, da Dieter Durchschnittsdödel vollauf damit beschäftigt ist zu finden, denen geschehe es recht.

Mit Argumenten wie dem, dass es herzlich wenig Sinn ergibt, wenn nicht völlig gaga ist, es einerseits als oberstes Ziel auszugeben, dass Langzeitarbeitslose möglichst bald wieder eine Arbeit aufnehmen, ihnen zu diesem Zweck eine gewisse Mobilität abzuverlangen und ihnen dann exakt jene Mobilität empfindlich einzuschränken, braucht man Ideologen eh nicht zu kommen. Es hätte ja alles sogar noch eine gewisse, wenn auch perfide Logik, wenn durch diese Maßnahme tatsächlich öffentliche Haushalte entlastet würden. Werden sie aber wohl kaum:

"Der Investitionsstau ist auf der Schiene ebenso groß wie auf der Straße. Weitere Verlierer werden die Kommunen sein. Im schlimmsten Fall wird der positive Fahrgastzuwachs im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) gestoppt, Einnahmen brechen weg, und die Defizite der Verkehrsbetriebe bleiben an den Kommunen hängen." (Philipp Kosok)

Zumal das ganze noch aus einem anderen Grund ein Nullsummenspiel ist. Im Gegenteil steht zu befürchten, dass dem Land NRW zusätzliche Kosten entstehen, da viele bis jetzt Leistungsberechtigte sich ab 2018 möglicherweise gezwungen sehen werden, schwarz zu fahren, wenn es gegen Ende des Monats nicht mehr für eine Fahrkarte reicht. Es geht schließlich nicht nur um Vergnügungsfahrten, sondern auch um Arztbesuche, Behördentermine etc. Darum müssten sich dann die eh schon überlasteten Polizei- und Justizbehörden kümmern, die bekanntlich auch nicht für Gotteslohn tätig werden. Gut, könnte man sagen, Volkswirtschaft war noch nie die Stärke kleinbürgerlicher Kniesköppe, deren Horizont höchstens bis zum eigenen Sparschwein reicht. Oder aber, und das ist wahrscheinlicher: Sie wissen es. Sie wissen es ganz genau, dass der Spareffekt bestenfalls gegen Null gehen wird. Das wiederum kann nur eines bedeuten: Es geht um Schikane. Geld scheint nämlich nicht so sehr das Problem zu sein, wie ein Blick nach Hessen zeigt.

Dort können ab Januar 2018 145.000 Landesbedienstete, also Beamte des Landes und Angestellte des Öffentlichen Dienstes, den ÖPNV komplett gratis nutzen. Und zwar auch am Wochenende und feiertags. Nicht nur ein ermäßigtes Ticket, sondern ganz für umme. Dem Land Hessen entstehen dadurch Mehrkosten in Höhe von 51 Millionen Euro. Es handele sich dabei in den Worten des zuständigen Innenministers Beuth jedoch um eine sinnvolle Investition zugunsten der Umwelt, da man weniger Emissionen erwarte. Hessen hat übrigens mit knapp 6,2 Millionen Einwohnern gerade einmal ein knappes Drittel der Einwohner Nordrhein-Westfalens, hochgerechnet bedeutet das also... Ach, das schaffen Sie schon selbst.

Am Timing der nordrhein-westfälischen Landesregierung jedenfalls gibt es nichts auszusetzen. Auch vom Sozialstaat Abhängige freuen sich schließlich über eine Weihnachtsüberraschung.

Nachtrag, 28.11.2017: Die einhellige Kritik aus vielen Richtungen an der Entscheidung hat die Regierung offenbar dazu bewogen, das wieder rückgängig zu machen. Erfreulich.




11 Kommentare :

  1. Bei schwarzgeld muß es einen wohl nicht wirklich wundern, daß die das sozialticket für den ÖPNV für »unnötigen firlefanz« halten.

    In Berlin war es jedoch der rot-rote senat, der 2004 das sozialticket für 20€40 abschaffte und stattdessen das 10-uhr-ticket für ca. 52€ einführte. Erst nach protesten wurde das ticket-s 2005 wieder eingeführt, allerdings für 33€50 und kostete im juni 2017 36€ - im juli wurde der preis auf 27,50 gesenkt. Da hat die GRÜNpartei wenigstens einmal im leben etwas vernünftiges getan.

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  2. Sicherlich, ist es ist ein Aufreger, was Du beschreibst.

    Aber es ist nur deshalb ein Aufreger, weil Hartz IV an sich das mittlerweile nicht mehr ist. Du magst sicherlich mitbekommen haben, dass erbettelte Einkünfte angerechnet und vom SGB II Bezug abgezogen werden.

    Und auch die Verteilung von unten nach oben wird seit langer Zeit schulterzuckend akzeptiert.

    Das, was Du beschreibst, ist lediglich ein Symptom der gegenwärtigen menschenverachtenden Verhältnisse.
    Sicher, das ist schreiende Ungerechtigkeit. Aber letztendlich ist es einer von vielen Puzzlesteinen.
    Und nur, wenn man das gesamte Puzzle zusammengesetzt hat, sieht man das gesamte Ausmaß der Ausbeutung der Armen und Abgehängten.

    Und man darf nicht vergessen, dass nicht schwarz-gelb Hartz IV verbrochen hat, sondern jene, die sich 'Sozialdemokraten' nennen. Jene, die seit Jahr und Tag sich nicht davon distanzieren, obwohl es ihnen unzählige Wählerstimmen gekostet hat. Von der Moral und der Ethik mal ganz abgesehen.

    Man muss sich vielmehr die Frage stellen, ob unsere parlamentarische Demokratie (gleich, ob auf Landes- oder Bundesebene) überhaupt in dem Sinne funktioniert, die Interessen der Mehrheit zu vertreten. Der Sozialstaat erodiert immer weiter - demokratisch legitimiert.

    Und dabei ist es letztendlich unerheblich, welche Koalition uns in Zukunft regiert.

    Das zumindest, ist die Erfahrung die ich mache.
    Sicher ist es lobenswert, exemplarisch die Symptome bestehender Zustände aufzuzeigen.
    Dazu gehört es aber auch, das Umfeld mit einzubeziehen.

    Es ist schließlich nicht nur eine Verfehlung die eine schwarz-gelbe Landesregierung verbrochen hat.

    Es ist vielmehr ein Symptom unter vielen, in einem System was in sich ungerecht, ja inhuman ist.

    Was Du beschreibst, ist keine Ausnahme, sondern die Regel.

    Es ist wichtig, dass man das klar stellt.
    Denn, wenn man sich über dieses aufregt, dann man muss man sich gleichzeitig über sehr, sehr viel mehr aufregen, was dieses überhaupt möglich macht.

    Wie immer, ist das ein sehr guter Text von Dir.
    Einzig, mir fehlt da der Kontext zu dem großen Ganzen.
    Die Systemkritik.

    Denn man könnte Deinen Beitrag auch lesen, als schwarz-gelbe Verfehlung einer Landesregierung.
    Das aber, würde darüber hinwegtäuschen, dass dies keine Ausnahme, sondern die Regel ist.
    Den Armen wird genommen - und den Reichen wird gegeben.

    DARAN muss die Kritik ansetzen. Wenn man denn Symptome davon beschreibt, sollte man es vermeiden, den Eindruck zu erwecken, als wäre dies etwas besonderes.
    Es ist schließlich nicht so, dass es uns eigentlich gut geht (Merkel), und ausnahmsweise verschiedene Landesregierungen eine verfehlte Politik betreiben.
    Vielmehr sind die gesamten Verhältnisse ausbeuterisch (national und global).

    Diesen Kontext sollte man immer erwähnen.

    Denn es ist die Regel, und nicht die Ausnahme, die man kritisiert.

    Liebe Grüße
    Duderich

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    1. Dazu passend:
      https://www.youtube.com/watch?v=aK1eUnfcK4Q

      Aber auch unabhängig von dem Thema finde ich, dass das jeder kritisch Denkende mal gesehen haben sollte.

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    2. Auwei, und wenn ich hier meine Meinung zu Prof Mausfeldt zum Besten gäbe, dann wäre hier wieder tagelang Stress in der Bude...

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    3. Prof. Mausfeld ist nur wenig schlimmer als Ken Jebsen.

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    4. @Stefan Rose, Anonym – ihr seid schon ein faszinierendes Volk.

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  3. Leider kommt von der Linken in diesem Fall auch nur heiße Luft. Christian Leye, seines Zeichens Co-Chef der NRW-Linken sagt dazu: "Wo es zu Protesten gegen die geplante Kürzung des Sozialtickets in NRW kommt, wird sich DIE LINKE daran beteiligen." aber mehr auch nicht. Nicht dass die mal auf die Idee kommen selbst Protest anzuschmeissen. Das sollen andere machen, aber ich wette 20€, dass im nächsten Wahlprogramm die Wiedereinführung des Sozialtickets steht.

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  4. Die FDP in NRW war schon immer ein wenig hardcore, selbst für freidemokratische Verhältnisse (ist das nicht das Heimatrevier von Lindner?).
    Die hatten schon beigetragen zur besonders scharfen Umsetzung der Bolognareform.

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  5. Schnee von gestern, marxseidank. Die Kürzung ist erst mal aufgeschoben. Die LINKE schwadroniert gerne von zivilem Ungehorsam, hat aber selbst ihre Kampagnenfähigkeit verloren.

    Ach Mausfeld, der Binsenbrenner. Das Thema gäb wirklich Qualm in der Hütte. Zustimm.

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  6. Nicht für die Verhütung?Kein Geld für Verhütungsmöglichkeiten von Hartz 4 Empfänger/innen?Eine grosse Dummheit.BillGates hat es auf den Punkt gebracht.Ein Dollar für Verhütung spart 6 Dollar Sozialausgaben.Ein kluger Mann im Gegensatz zu unseren Familien/Sozialpolitikernn.

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