Samstag, 23. Juni 2018

Einer von uns


Mesut Özil ist in Gelsenkirchen quasi auf dem Aschenplatz groß geworden. Als wie er im Ruhrgebiet Sozialisierter weiß ich ungefähr, was das heißen kann. Fußball hat hier schon immer und immer noch mehr mit Maloche zu tun als mit Spiel, noch einen Tick mehr mit Eierhaben (Kahn) und Dreck fressen als anderswo. Auf zahlreichen Plätzen beschränkt sich das Standardrepertoire taktischer Anweisungen noch immer auf: "Tu ihn angehön!", "Los, tretn'umm!", "Lass domma datt Fummeln, ey!", "Lauf, du Sack!" und "Getz spieldo'ab, Mann!". In dieser Welt ist der Ruf, ein 'Schönspieler' zu sein, mitunter fatal. Wer ihn anpappen hat, muss doppelt so gut sein wie jeder rustikale Gegnerumhauer. Wem noch das verwandte Etikett, eine 'Schwuchtel' zu sein anhaftet, dreimal so gut. Wenn überhaupt.

Wiewohl aus proletarischem Verhältnissen stammend, ist Özil sowohl von der Statur als auch vom Verhalten und der Körpersprache her nicht nur das Gegenbild zur ruhrpöttischen Idealvorstellung vom eisenfüßigen Fußballarbeiter mit Blei im Schuh, sondern auch der leibhaftige Gegenentwurf zum Klischee des breitschultrigen und bullenklötigen osmanischen Machos. Sich in so einem Umfeld als türkisches Gastarbeiterkind zu behaupten, ist keine Kleinigkeit. So einer muss entweder Gewaltpotenzial ausstrahlen, Mitglied einer Gang sein oder viermal so gut sein wie die anderen.

Zumal er auf dem Platz nicht selten selbstlos agiert um des schönen Spiels willen. Ein feiner Assist ist ihm wichtiger als jede Torjägerkanone. Anstatt in Podolski-Manier draufzuplauzen, macht er lieber noch eine Körpertäuschung, bedient gern mit einem weiteren Querpass vor dem Tor einen minimal besser stehenden Mitspieler. Oft geht das schief und dann ist es ennervierend. Klappt es aber, kann pure Magie entstehen. Sein schon jetzt legendäres Tor für Arsenal im Champions League-Spiel gegen Ludogorez Rasgrad ließ auch den Commissioner Of Football, den raubeinigen aber weisen Eric Cantona, von einem Kunstwerk schwärmen.

Dass ihm wirklich nicht bewusst war, was er mit seinem Shakehands mit Erdogan anrichtet, ist durchaus glaubwürdig. Die ihn von früher kennen, beschreiben Özil als stillen, eher weichen, sensiblen Menschen, der lieber nichts sagt, aus Angst, etwas Falsches zu sagen. In Zeiten, da die größten Lallbacken und verbalen Güllepumpen Fame einsacken, kein wirklich unsympathischer Zug. Alle, die ihm das vorwerfen, mögen sich die gesammelten Werke eines Loddar Maddäus zu Gemüte führen und dann noch mal entscheiden, ob es wirklich so viel besser ist, wenn Fußballer andauernd reden. Özil, heißt es, habe schon damals auf dem Bolzplatz immer nur Fußball spielen wollen, schaffte sich bis spätabends Tricks und Skills drauf, wollte immer Perfektion, Schwerelosigkeit, die Gegner körperlos austanzen statt niederringen. Lieber unsichtbar sein als unelegant herumstochern. Eine Künstlerseele.

Das aber ist im Fußball nicht wohlgelitten. Der Vorwurf, ein Schönspieler zu sein, kann, wie gesagt, den talentiertesten Ballzauberer zum Verhängnis werden. Der nicht selten mitschwingende Anwurf, es gern gleichgeschlechtlich zu haben, ist da nie weit. Wenn die Baslers, Effenbergs und Matthäussens dieser Welt jetzt verbal über Özil herfallen, dann trieft ihnen unter anderem die Homophobie aus allen Knopflöchern. Homophobie, jenes Machtinstrument von Schulhoftyrannen und anderen, die es aus irgendwelchen Gründen gewaltig nötig haben, trifft ja nie nur tatsächlich homophil Veranlagte, sondern auch all jene, die in bestimmten Milieus nicht ins Bild vom harten Kerl passen wollen. Die Stillen, die Sensiblen, die Schöngeister.

Dass alle Statistiken gegen sie sprechen, ist irrelevant. Özils Passquote mag auch im Spiel gegen Mexiko, wie fast immer, die höchste von allen gewesen sein, das zählt nicht. Mit Fakten braucht man um ihre Deutungshoheit bangenden Torfköppen, die immer ein Opfer zum Bestrafen brauchen, eh nicht zu kommen. Wenn Toni Kroos nichts zum Spiel beiträgt, dann hat der Ärmste einen schlechten Tag gehabt oder wurde von seinen Mitspielern nicht gut in Szene gesetzt. Wenn Mesut Özil nichts Rechtes zuwege bringt, dann ist er der Dreckstürke mit den Glupschaugen, der Vaterlandsverräter, den man gefälligst rausschmeißen möge.

Dass der Pöbel nun, da es für die deutsche Mannschaft mal nicht so super läuft, Özil als Hauptschuldigen ausgemacht hat, und sich nicht entblödet, ihm vorzuwerfen, der mangelnde Erfolg liege in seiner Weigerung begründet, die doofe Hymne mitzusingen oder dass er sich nicht eindeutig genug zum Deutschsein bekennt, hat mit Fußball nur noch sehr am Rande zu tun. Das ist bloß ein weiteres armseliges Beispiel, wie jene, die sich und anderen immer eingeredet haben, total offen und progressiv zu sein, beim kleinsten Gegenwind die Maske fallen lassen und sich als jene niederträchtigen, autoritären Kleinbürger entpuppen, die sie schon immer waren.

Es sind vermutlich dieselben, die die Ehre der deutschen Frau gegen nordafrikanische Horden verteidigen, sich aber vollauf berechtigt fühlen, deutsche Frauen wie Claudia Roth, Renate Künast oder Claudia Neumann, deren Stimme sie nervt, mit ehrabschneidenden Mord- und Vergewaltigungsdrohungen wegzumobben. Das sind keine harmlosen Dummejungenstreiche, da steckt Methode hinter. Sie sollten lieber nicht durchkommen damit.

Mesut Özil ist einer, der einen geschützten Raum braucht, um seine Talente voll zu entfalten. Er, der für vieles steht, was in den letzten Jahren gut, richtig und zeitgemäß war am DFB und am Land, hatte das Glück, dass es immer welche gab, die das erkannt und ihn vor den Arschgeigen abgeschirmt haben. Sein Jugendtrainer in Gelsenkirchen war so jemand. Jogi Löw ist so einer. Dass auch Oliver Kahn, dem es als Aktivem an Verbissenheit und Einsatz weiß Gott nie gemangelt hat, so einer ist, sollte immerhin zu denken geben.



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