Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Sonntag, 28. April 2019
Neu gegen Alt
Mit dem Print-Journalismus verhält es sich im Prinzip nicht viel anders als mit dem stationären Einzelhandel, der Privatkundenbank oder dem Taxigewerbe: Allen ist irgendwie klar, dass da gerade was zu Ende geht. Dass es Kassiererinnen bald wohl nicht mehr geben, das Bargeld an Bedeutung verlieren wird. Und dass die gute alte Kraftdroschke wie wir sie kennen noch während der Lebenszeit meiner Post-Babyboomer-Generation, von Nischen einmal abgesehen, wohl auch verschwinden wird. Selbst wenn es gelingt, Fahrdienste wie uber per Gesetz einzudämmen, spätestens wenn das autonome Fahren kommt, wird sich das erledigen. Wie gesagt, allen scheint es irgendwie klar zu sein, aber richtig wahrhaben will man es noch nicht. Man glaubt, sich mit Durchlavieren retten zu können. Und macht damit alles noch schlimmer.
Verglichen mit heute muss den aktiv Beteiligten der Journalismus klassischer Prägung, wie er bis vor 15, 20 Jahren noch ausschließlich praktiziert wurde, geradezu als ein Arkadien vorkommen, als Insel der Seligen. Der Herr Redaktör/die Frau Schriftleiterin entschied in Zusammenarbeit mit der Chef=Redaction, was gedruckt wurde und was nicht. Kritik war der geneigten Leser/innenschaft allein in Form des Leserbriefs gestattet, über deren Erscheinen im Blatt ebenfalls der Herr Schriftleiter/die Frau Redaktörin huldvollst entschied. Bis in die Neunziger soll ein Ressortleiter der Süddeutschen auf den Bewirtungsquittungen für seine ausgiebigen Arbeitsessen unter 'Verwendungszweck' immer vermerkt haben: "Planung und Vorbereitung eines Angriffskrieges". Hei, was wird das immer ein Spaß in der Rechnungsabteilung gewesen sein!
'Meinungsbildner' wurden Journalisten einst genannt. Tempi passati. Meinung wird heute auf Twitter gebildet. Das musste jetzt auch eine Könnerin ihres Fachs wie Anja Rützel von 'Spiegel Online' erfahren.
Enissa Amani ist unter anderem 'Influencerin' und legt offenbar großen Wert darauf, als 'Stand Up' bezeichnet zu werden, auf gar keinen Fall aber als 'Komikerin'. Sie war Jurorin bei den 'About You'-Awards, wo sie, wie die Tage zu erfahren war, eine Ansprache gehalten hat, die sich nicht sofort jedem erschloss. Unter anderem das brachte die Veranstaltung in den Focus von Frau Rützel. Deren Spezialität ist es, noch im übelsten Sediment des Privatfernsehens etwas Interessantes zu finden und hochgradig unterhaltsam und spitz darüber zu schreiben, ohne dabei je wirklich bösartig zu werden. Amani hatte damit gedroht, sofort nach Nicaragua zu emigrieren und fürderhin vom Papaya-Anbau leben zu wollen, sollte sie noch einmal jemand als 'Komikerin' bezeichnen. Rützel tat ihr den Gefallen und nannte sie so.
Nun ist es nicht ganz falsch anzumerken, dass mit dem hierzulande gern so monstranzhaft vor sich hergetragenen Tucholsky-Bonmot von der alles dürfenden Satire unterschwellig vor allem deutsche Satire gemeint ist bzw. Satire von Deutschen (was immer das im einzelnen ist). Da wird das satirisch gemeinte Gedicht eines Jan Böhmermann in hochfahrendem Tonfall als schützenswert verteidigt. Migrantische Satire und Comedy sind hingegen meist nur dann gelitten, wenn die Betreffenden artig auf doofer Kanake machen und dankbar sind für die Gnade, hier in Superduper-Schland leben zu dürfen. Wenn aber eine Sibel Schick, mit deren Arbeit ich auch so meine Probleme habe, einen Tweet raushaut von wegen, Almans sollten mal nicht so die Fresse aufreißen, dann heißt es schnell: Geh doch wieder dahin, wo du her bist, wenns dir hier nicht passt! Wirst schon sehen, was Erdogan mit dir macht, wenn du da auch so deine freche Klappe aufreißt.
Amani sah sich offenbar auf dieser Schiene angesprochen und keilte zurück, indem sie ihre Follower mobilisierte, einen Shitstorm gegen Anja Rützel zu veranstalten, der zeitweise so heftig wurde, dass Frau Rützel ihr Twitter-Account stilllegen musste und sich als Opfer eine unverhältnismäßigen Hetzkampagne sah.
In Rützels Ausführungen Rassismus zu finden, ist zwar nicht unmöglich, bedarf aber schon einiges an Arbeit und den festen Vorsatz, welchen zu finden. (Wenn eine rassistisch Diskriminierte droht, zu emigrieren und ihrerseits Plantagenbesitzerin zu werden, einst Inbegriff kolonialherrischer Ausbeuterei, ist das schließlich auch nicht ganz ohne Ironie.) Es ist immer schwierig, als Nichtbetroffener zu entscheiden, ob etwas als rassistisch oder diskriminierend empfunden wird oder nicht. Ich lehne mich in diesem Fall mal aus dem Fenster und wage die Behauptung: Es gab schon Schlimmeres. Interessant in diesem Zusammenhang sind nämlich diverse Reaktionen. Leo Fischer (kein erkennbarer Migrationshintergrund, abgesehen vom bayerischen) meint: ganz klar rassistisch. Mely Kiyak (Migrationshintergrund) hingegen: halb so wild, wer austeilt, sollte auch einstecken können ("Empörio Amani" - hinreißende Headline nebenbei).
"Es gibt von Zeit zu Zeit Tage, da träume ich ganz fest, dass das ganze Gerede von Migrationshintergründen und Hautfarben ein Ende hat [...]. Doch wenn ich die Augen wieder öffne, die Ohren nicht mehr verschließe, dann ist dieses Gerede immer noch da, ohne Hoffnung auf Fortschritte, und man schilt mich und andere, die diesen Traum teilen, sogar der naiven, falschen und heimtückischen Farbenblindheit. Aber ich gebe diesen Traum trotzdem nicht auf." (Bernd Rheinberg)
Vielleicht ist es sinnvoller, die Sache als Ausdruck einer Zeitenwende zu begreifen: Es geht weniger um Rassismus oder nicht, sondern vielmehr um alte Medienwelt gegen neue. Es gab Zeiten, in denen eine 'Spiegel'-Redakteurin im öffentlichen Diskurs kaum angreifbar war. Wie gründlich das inzwischen geändert hat, das lässt sich an dieser Episode studieren. Der oben erwähnte, geordnete Verkündigungs- und Gatekeeper-Journalismus klassischer Prägung, der sich noch im weitesten Sinne entlang bürgerlicher Codes bewegt und zu dem auch Rützels ironisch funkelnde Texte gehören, ist mittendrin, so abgelöst zu werden wie das geregelte Taxigewerbe, Privatkundenbanken und große Teile des stationären Einzelhandels.
Was danach kommt, ist noch nicht klar. Auf jeden Fall wird es wilder, härter, brutaler und ungemütlicher werden. Aber nicht langweilig. Beim Gedanken aber, dass Beleidigungen und Morddrohungen über Menschen zu kübeln das neue, gefälligst als normal zu akzeptierende Mittel der Wahl sein sollen, Meinungen zu bilden, komme ich mir steinalt und ignorant vor.
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