Freitag, 6. September 2019

Schmähkritik des Tages (31)


Heute: Mely Kiyak über öffentlich-rechtliche Berichterstattung am Abend des 1. September 2019

"Fünfzehn Minuten Wahlabend im ZDF begannen damit, dass Bettina Schausten den Countdown runterzählte […]. Und als wenig später Jörg Meuthen von der AfD an Schaustens Tresen lehnte, sagte sie nicht etwa: »Ein schwarzer Tag für Deutschland, heute hat die Demagogie gesiegt, wie lange, Herr Meuthen wird es meinen Sender hier noch geben, wie lange die Pressefreiheit?« Nein, sie sagte, natürlich seine Sicht der Dinge meinend: »Ein erfolgreicher Abend.« Na, bitte. Hier wird schon antizipierend koreferiert. Dann: »Sind Sie zufrieden?« Ja klar, ist er zufrieden, der Meuthen […].


Man darf, man muss die Beschwichtigungsversuche satthaben. Man hat die Kommentare jener Kollegen satt, die einem schon vor der Wahl diktieren, was sie nach der Wahl nicht mehr hören wollen. Man diktiert zurück: Hört auf damit! Hört auf, zu beschwichtigen. Ihr wollt euch doch nur selber beschwichtigen. Es geht hier 70 Jahre nach einer Diktatur (und für manche 30 Jahre nach einer zweiten) erneut um eine tiefe Sehnsucht nach einem starken Führer. […] Im April schrieb [Wilhelm Heitmeyer], dass es sich bei der Ideologie der AfD um einen autoritären Nationalradikalismus handelt, der den Systemwechsel in Institutionen, Theatern, Schulen, Polizei und Parlamenten anstrebt. Das gelinge durch die Normalisierung autoritärer, nationalistischer und menschenfeindlicher Haltungen.

Das alles wählen die Bürger mit, und das wissen sie auch. Und das meinen sie auch mit Protest. Jede Stimme für die AfD ist ein Einspruch gegen die westdeutsch geprägte Demokratie mit ihrem Pluralismus und ihrem Streben nach Minderheitenrechten. AfD-Wähler wollen Macht über alle diejenigen, die sie als Zumutung empfinden. […] Wenn man von der AfD nicht gemeint ist, ist es sicher leichter, die Ruhe wegzuhaben. Vielleicht wollen sich die Kollegen in Print und Fernsehen auch schützend vor ihre Eltern, Schwestern, Onkel stellen. Man könnte es verstehen. Jedenfalls besser als die Erfindungen darüber, dass die Wähler der AfD allein aus Notwehr nach einer (weiteren) Diktatur streben. 

[…] Wenn man von der AfD gemeint ist, hat man es in besonderer Weise satt, dass im deutschen Fernsehen die Faschisten auftreten und reden und dass keiner den Mumm und die Kenntnis hat, an einem solch wichtigen Abend diesem Deutschland auf der Grundlage von historischem Bewusstsein und demokratischer Sensibilität ein schlechtes Gewissen für den Scheiß zu machen, den es anrichtet. Ja, aber Deutschland ist doch nur ein Puzzleteil in einer weltweiten Entwicklung, heißt es manchmal. Und man denkt, das ist lasch gedacht, denn die ganze Welt kann machen, was sie will. Es waren aber schließlich Deutsche, die Menschen in Öfen steckten und keine Kinder anderer Nationen. Allein diese Tatsache verbietet es, sich hinter den neofaschistischen Fantasien anderer Länder zu verstecken. [...]" (DIE ZEIT, 3. September 2019)


Anmerkung(en): Eigentlich müsste man Kiyaks Kolumne in Gänze zitieren, denn sie ist zur Gänze lesenswert. Die Frage, wieso nicht unerfahrene Journalisten, allesamt top ausgebildet, einer notorisch als 'rechtspopulistisch' verharmlosten, in Wahrheit autoritären und nationalradikalen, in Teilen rechtsextremen Partei wie der AfD (deren Mitglieder und Anhänger zur Weinerlichkeit neigen, wenn sie kritisiert werden), geradezu servil den roten Teppich ausrollen, vermag einen in der Tat nachhaltig umzutreiben.

Wieso hakt niemand nach, wenn Köterkrawattenträger Gauland mit der grotesken Ungeheuerlichkeit, die AfD sei eine bürgerliche Partei, den nächsten Pflock einschlägt? Wieso wird einem Andreas Kalbitz nicht sein offenkundiger Neonazihintergrund unter die Nase gerieben? Ist es die breitärschige, schamlose, von keinerlei Selbstzweifeln getrübte Dreistigkeit, mit der diese Funktionäre auftreten und ihre Invektiven rausquallen als seien es Komplimente, die man dankbar entgegennimmt?

Niemand verlangt, einen Meuthen, einem Gauland, einen Kalbitz und wie sie noch alle heißen, öffentlich aggressiv anzugehen oder zu beschimpfen, ihnen aber  die programmatischen Widersprüche ihrer Partei vorzuhalten wie das bei Linken lang eingeübte Praxis ist, das kann man schon erwarten. Wieso kann sich eine Partei wie die AfD unwidersprochen als Kümmererpartei für die 'Kleinen Leute' spreizen, obwohl sie mit der FDP die heftigsten sozialen Grausamkeiten für eben jene Klientel Schwarz auf Weiß im Programm stehen hat? Weil deren Hardcore-Anhänger dann sagen würden: Eh ja, aber die anderen sind eh schlimmer? Dann kann man‘s gleich lassen mit dem Journalismus. Woran bitte eine Partei wie die AfD messen, wenn nicht an ihren Worten?

"Dass die AfD im Ersten während des Wahlabends als »bürgerlich« durchrutschte, kann passieren, zumal, wenn man zu sehr darauf fixiert ist, die selbsternannte Opferpartei nicht in die Kategorie einzuordnen, in die sie gehört. Weil sie ja gewählt ist und weil sie so gerne »bürgerlich« wäre. Damit gibt man halt seinen berufsbedingten Einordnungsauftrag bei der Maske ab." (Katja Thorwarth)

Natürlich gibt es auch die anderen, und es sind nicht wenige. Dunja Hayali hat ein paar Tage nach der Wahl versucht, Jörg Meuthen inhaltlich zu stellen. Die zitierte Katja Thorwarth hält eisern und unermüdlich dagegen. Auch Georg Restle und Anja Reschke wären unter anderem zu nennen. Warum aber diese Liebedienerei im öffentlich-rechtlichen Rundfunk am Wahlabend? Sind das am Ende gar heimliche Sympathisanten? Denken die bereits daran, sich - horribile ductu! - mit potenziellen künftigen Machthabern gut zu stellen, um ihre Karrieren nicht zu gefährden? Glaube ich nicht. Es ist eher Hilflosigkeit oder Überforderung.

Vielleicht reicht schlicht das journalistische Handwerkszeug nicht aus. Bin da kein Experte, aber ich vermute, das zu Tode zitierte Hajo Friedrichs-Zitat wird seit mindestens 20 Jahren auf Journalistenschulen rauf und runter gelehrt. Aber wohl ohne seinen Sinn näher zu diskutieren. So ist aus der an sich ehrenwerten Haltung, sich auch mit einer guten Sache nicht gemein zu machen, eine wachsweiche, unverbindliche  Freundlichkeit gegenüber allem und jeden geworden. Man verwechselt Haltung mit Parteinahme und Neutralität mit wurstiger Gleichgültigkeit, wodurch dann die Maßstäbe vollends verschwimmen.

False Balance, so heißt der Irrglaube, der vor allem in US-Medien (aber nicht nur dort) groteske Blüten treibt, und bedeutet, man müsse um der Wahrheitsfindung und Fairness willen zu jedem Thema immer alle Seiten gleichermaßen zu Wort kommen lassen, auch wenn es noch so ein absurder Blödsinn ist. Angebliche, allein auf anekdotischer Evidenz beruhende Erfolge von Globuli sind aber nicht gleichwertig zu den in Doppelblindstudien nachgewiesenen eines wirksamen Medikaments. Zu Ende gedacht hieße das, dass man nach jedem islamistischen Anschlag auch einen salafistischen Prediger in jede Talkshow einzuladen müsste, damit auch ja alle Seiten zu Wort kämen. Passiert aber nicht, im Gegenteil. Natürlich nicht. Solch eine Forderung würden die meisten Redaktionen wahrscheinlich entrüstet zurückweisen.

Das Groteske ist ja, dass man den Eindruck nicht los wird, hier wählten dumme Kälber ihren Schlachter gleich selber. Mit der AfD hofieren diese öffentlich-rechtlichen Plauderer exakt jene, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk am liebsten abgeschafft sähen. Und das verstehe nun wirklich wer will.



5 Kommentare :

  1. Die AfD ist zwar ausländerfeindlich, rassistisch, rechtsextrem usw. Aber diese Partei will das bestehende neoliberale System nicht nur nicht "überwinden". Sie will es sogar noch ausbauen und verschärfen. Und gerade die gut bezahlten unter den Journalisten können damit leben, solange ihre Privilegien und Vermögen nicht angegriffen werden.
    Deswegen wird eine linke Alternative (wenn es nur wieder eine gäbe), die das neoliberale System in Frage stellt, viel kritischer beleuchtet als eine weitere der zahlreichen kandidierenden neoliberalen Parteien. Es dürfen sich nur die Eigentums- und Einkommensverhältnisse nicht ändern.

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  2. Anne Will hat ebenfalls gleich nachgelegt und noch am Wahlabend unter anderem Alexander Gauland in ihre Talkshow eingeladen. Hauptsache Quote. Diese Bagage von Journalisten haben vor nichts mehr Respekt, nicht mal vor ihrer eigen Courage, so sie denn eine hatten.

    Die Normalität der Anwesenheit von AfD-Granden in Talkshows hat dazu geführt, dass empörte Zuschauer in den Kommentarspalten in dreister Art und Weise die Einladung von AfD-Politikern fordern bzw. vermissen, falls eine Runde mal ohne diese Figuren angekündigt ist.

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    1. Ich zwinge mich immer öfter mit Erfolg dazu, Kommentarspalten zu ignorieren, denn die werden sofort von Rechten gekapert und geben in keiner Weise das reale Meinungsbild der Bevölkerung wider. Allein bei der FR und beim Wiener 'Standard' mache ich mal eine Ausnahme, denn da wird kräftig, teils auch mit Humor, Kontra gegeben.
      @Oddevold: Schon klar, das ist bekannt, ich frage mich aber nur, wieso öffentlich-rechtliche Journalisten (diese MDR-Trulla hatte ich noch vergessen) Bücklinge machen vor Leuten, die sie offen verachten und ihre Arbeitgeber abschaffen wollen...

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  3. Kann es sein, dass bei vielen Journalisten der "Böhme-Schock" noch nachwirkt? Vor 19 Jahren hatte Böhme Jörg Haider in seine Talksendung eingeladen und angekündigt, ihn zu entzaubern. Entzaubert wurden Böhme und die anderen Mit-Talker, denn die hatten gedacht, sie könnten Haider ohne große Vorbereitung mit einfachsten Mitteln vorführen. Haider war inhaltlich sehr gut vorbereitet, rhetorisch gut drauf und hat den Spieß umgedreht. Böhmes Riesenblamage ging wochenlang durch die Presse. Kann es sein, dass viele TV-Journalisten die AfD-Leute mit Samthandschuhen anfassen, weil sie Angst vor einer ähnlichen Blamage haben?

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    1. Gute Frage, möglich wär's. Es wäre jedenfalls eine Bombenidee und ein echtes Zeichen professionellen Arbeitens, sich einfach gründlicher vorzubereiten. Die Vorstellung, bei Rechten handele es sich bloß um ein paar tumbe Lausebengels, denen man intellektuell meilenweit überlegen ist, scheint in der bürgerlichen Journaille immer noch spürbar.

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