Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Samstag, 8. Februar 2020
Gespalten und verhöhnt
Sieben Thesen zu Thüringen
Da der ganze Qualm nun langsam sich verzieht, kann man sich vielleicht an einer nüchternen Analyse versuchen. Was genau ist da am Mittwoch in Erfurt eigentlich genau passiert? Passiert ist folgendes: CDU und FDP wollten in Thüringen um jeden Preis einen Ministerpräsidenten Ramelow verhindern, der im Land allgemein beliebt ist. Weil die eigenen Stimmen der Thüringer Knackwürste dazu nicht reichten, haben sie die AfD ins Boot geholt. Vermutlich von langer Hand geplant. Das hat allgemein zu so großer Empörung geführt, dass Union und Liberale hastig zurückruderten. Jetzt hat eine Forsa-Umfrage ergeben, dass der geniale Coup komplett nach hinten losgegangen ist. Satte Gewinne für die Linke (+ 10), leichte für SPD (+1) und Grüne (+2), Klatsche für CDU (-10) und FDP (-1, < 5%), nur plus 1 für die AfD. Ein Versuch der Einordnung in sieben Akten.
1. Der Coup von Mittwoch ist ein Symptom des offenen Machtkampfs in der CDU.
Die größte Stärke der CDU war immer ihre Geschlossenheit. Egal, was kam, man war in der Lage, sich hinter einem/r Kandidaten/in zu versammeln, wenn auch zähneknirschend, solange er/sie nur Aussicht auf Kanzlerschaft und Mehrheiten bot. Das war vielleicht nicht basisdemokratisch, schaffte aber stabile Verhältnisse, was in Deutschland von sehr vielen meist sehr goutiert wurde. Diese Zeiten sind vorbei. Was unter anderem daran liegt, dass Angela Merkel, wie weiland Helmut Kohl und Konrad Adenauer, es versäumt hat, den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören zu finden und auch, beizeiten eine/geeignete/n Nachfolger aufzubauen.
Mehr noch: Merkels Kurs, die Partei bei 'weichen' Themen zur Mitte bis ins Terrain von Sozialdemokraten und Grünen (bei gleichzeitigem Beibehalten des harten neoliberalen Kurses in Wirtschaftsfragen) zu öffnen, war sicher nicht alternativlos, das ist im Zweifel gar nichts, aber in Anbetracht demographischer Entwicklungen (Landflucht, massive Verluste in allen Großstädten) vielleicht die einzig gangbare Möglichkeit. Der Preis dafür war eine offene Flanke rechts, der jetzt von der 'Werteunion' besetzt wird, die sich punktuelle Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen kann. Zur Gretchenfrage in der CDU wird immer mehr, wie man‘s mit der AfD hält. Die Aktion am Mittwoch ist auch als klare Kampfansage der Werteunion um Merz und Maaßen an Merkel/AKK/Ziemiak/Laschet et al. zu verstehen.
2. Die FDP war, ist und bleibt eine Umfallerpartei.
Die FDP ist so einiges: Zahnärzte- und Hotelierspartei, einstiges Sammelbecken von Altnazis und Ermächtigungsgesetzzustimmern, im 'Guidomobil' herumkarrende Partei der 'Besserverdienenden' und selbst ernannten 'Leistungsträger'. Vor allem aber haftet ihr der Ruf der rückgrat- und prizipienlosen Opportunisten- und Umfallerpartei an, die ihr Fähnchen nach Bedarf in den Wind hängt. 2017 die Verhandlungen für eine 'Jamaika-Koalition' auf Bundesebene platzen zu lassen ("Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."), war ein Versuch Lindners, Profil zu demonstrieren und diesen Ruf ein wenig zu korrigieren. Der Mittwoch hat gezeigt: Alles heiße Luft (als ob es dieses Beweises noch bedurft hätte). Als sich am Nachmittag herausstellte, dass die Kemmerich-Nummer vielleicht doch keine so gute Idee war, vollzog der ursprünglich wohlwollende Lindner eine weitere Kehrwendung um 180 Grad.
3. Linkenhass ist ungesund.
Antikommunismus hat in der CDU lange Tradition, von Adenauers "Soffjetts" bis zu Kohls unsäglicher 'Rote Socken'-Kampagne. Dass angesichts der Thüringischen Wahl die Kommunistenfresserei wieder so fröhliche Urständ' feierte, dass sogar ein mehr als biederer Sozialdemokrat wie Bodo Ramelow absurderweise zum molliwerfenden Revoluzzer aufgeblasen wurde, hat, siehe 1., seinen Grund auch in der unklaren Haltung der Union zur AfD. Durchlässigkeit nach rechts soll durch extraklare Kante nach links ausgeglichen und dem braven Bürger als Profil und Position verkauft werden. Hat offenbar nicht funktioniert und wird in Zukunft immer weniger funktionieren. Zumal das penetrante Insistieren auf 'alte SED-Kader' ein wenig unglaubwürdig rüberkommt, wenn man selbst vor nicht allzulanger Zeit noch die letzten Altnazis aus den eigenen Reihen beerdigt hat.
4. CDU und FDP haben ihre Wähler getäuscht und verhöhnt.
Die Vorwürfe der 'Wählertäuschung' bzw. des 'Wahlbetrugs' werden zwar oft und gern im Munde geführt, sind aber so wenig justiziable Größen wie 'Kanzlerkandidat' ein Verfassungsorgan ist. Der Grund ist einfach: Niemand kann in die Zukunft sehen. Auch die honorigste Partei/die integerste Regierung kann durch unvorhergesehene Ereignisse gezwungen sein, ihr Wahlprogramm von heute auf morgen in die Tonne zu treten. (Weswegen, nebenbei, auch Verweisen von AfDlern und AfD-Sympathisanten auf das Parteiprogramm nicht für fünf Cent zu trauen ist.) Anders liegt der Fall, wenn Aussagen gemacht werden, mit wem man nach der Wahl wie zusammenzuarbeiten gedenkt und mit wem nicht. Das hat man sehr wohl in der Hand. Sowohl CDU als auch FDP in Thüringen haben sich letzten Herbst klar positioniert: Keine, wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD. Davon haben sie bei der Wahl vermutlich auch profitiert. Jetzt stellte sich schon am Mittwoch heraus, dass die Ministerpräsidentenwahl keineswegs überraschend ("übermannt") kam, sondern dass es bereits im November Absprachen mit der AfD gegeben hat, worüber strenges Stillschweigen bewahrt wurde. Das ist eine unfassbar dreiste Verhöhnung des ansonsten gern im Munde geführten 'Wählerwillens', die hoffentlich noch Folgen haben wird.
5. 'Undemokratisch'? Nö!
Als sich abzeichnete, dass Kemmerich nach nur einem Tag wieder abtreten und neu gewählt werden würde, entweder der Ministerpräsident oder der Landtag, jaulten die getroffenen Hunde von der AfD auf, das sei undemokratisch, eine Missachtung des Wählerwillens. Wie es überhaupt undemokratisch sei, die zweitstärkste Fraktion so schnöde zu übergehen. Nun ja. Vieles deutet darauf hin, dass die AfD, sollte sie jemals in Regierungsverantwortung kommen, sich von Tag eins an daran machen würde, das politische System in faschistisch-illberaler Weise a'la Orban/PIS/Erdoğan tiefgreifend und möglichst unumkehrbar in ihrem Sinne umzukrempeln. Wenn eine Demokratie das mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern versucht, ist das eben nicht undemokratisch. Undemokratisch ist eher, einen Ministerpräsidenten zu wählen, dessen Fraktion gerade einmal fünf Prozent der Wähler hinter sich hat. Ob dauerndes Neuwählen allerdings besonders klug ist, steht auf einem anderen Blatt. Historische Erfahrung (Weimar) legt nahe: Eher nicht so. Ruft auch beim bravsten Bürger irgendwann Wahlmüdigkeit hervor, wovon dann meist Extreme profitieren.
6. Die AfD kann von ihrem Manöver nicht profitieren.
Alles sah danach aus, dass die Wahl am Mittwoch eine Win-win-Situation für Höcke und seine Fraktion sein würde: Man hatte sich erfolgreich ins 'bürgerliche' Lager gedrängelt, CDU und FDP am Nasenring durch die Arena geschleift. Der erschrockene Versuch, Kemmerich wieder loszuwerden, so sah es weiterhin aus, könnte dann immer noch genutzt werden, an der unendlichen Opfererzählung der AfD weiterzustricken. Und über allem hätte Gauland sich wieder ins Fäustchen gelacht wie einst der Imperator bei Star Wars. Das scheint, sollte die Forsa-Umfrage sich als tragfähig erweisen, so weit nicht eingetreten zu sein. Keine nennenswerten Zugewinne. Das Hinterzimmer-Gemauschel, das Höcke angezettelt hatte, schien jenseits der eigenen Kernmilieus niemanden zu beeindrucken. Das ist aber nur scheinbar eine gute Nachricht.
7. Entwarnung kann und darf nicht gegeben werden.
Dass die AfD in Thüringen kein Kapital aus ihrem Coup schlagen konnte, ist zunächst eine gute Nachricht. Nach wie vor aber bekommt ausgerechnet die AfD-Fraktion, die von Höcke angeführt wird und die damit die größte Nähe zum organisierten Rechtsextremismus aufweist, ein knappes Viertel der Wählerstimmen. Das ist und bleibt höchst beunruhigend.
5 Kommentare :
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Danke für die wohltemperierte Analyse. Entscheidend in diesem Jahr wird die Machtfrage in der CDU sein (Punkt 1). AKK ist nach dem inszenierten Chaos in Erfurt angeschlagen, die Hamburg-Wahl ist ihr nächstes Fiasko. Merz hat nicht zufällig in dieser Woche seine Heuschreckentätigkeit aufgegeben, um sich voll der Politik zu widmen. Das ist eine Drohung und eine Kampfansage an AKK.
AntwortenLöschenWer am Ende des Jahres als Kanzlerkandidat für die Union ins Rennen geht, stellt die Weichen für die 20er in Deutschland. Mit Merz ist eine "bürgerliche" Koalition aus Union, FDP und AfD möglich (Orban-Variante), mit AKK oder Laschet eine lagerübergreifende Koalition Schwarz-Grün (Kurz-Variante).
Ich vermute, dass AKK wird bis Jahresende genauso Geschichte sein wird wie das undynamische Duo der SPD. 2021 haben wir das Superwahljahr (Bundestagswahl, fünf Landtagswahlen) und niemand weiß zur Zeit, wohin die Reise gehen wird.
Keiner der klugen Blogger von Pantoufle über den Podcast mit Wellbrock und Berger bis hier zu den Fliegenden... hat bisher auch nur nachweisen können, welche Normen des Grundgesetzes bzw. der Landesverfasssung Thüringens verletzt wurden. Ausnahme: Der Fraktionszwang, den man als selbstverändlichen Verfassungsbruch stillschwiegend seit jeher praktiziert und im Einzelfall gelegentlich die Dreistigkeit besitzt, dessen Aufhebung zu verkünden und nur das Gewissen des Einzelnen entscheiden zu lassen. Verfassungspatriotismus hilf jetzt nicht weiter.
AntwortenLöschenDas war ein Schmierenstück innerhalb der rechtsstaatlichen Regeln und Teil des europäischen Rechtstrends..
Genau das ist ja das Problem: Dass formell alles mit rechten Dingen zugegangen ist bzw. nicht gegen geltendes Recht verstoßen wurde. Was die momentane Situation so gefährlich macht ist ja, dass an vielen Orten momentan ein unausgesprochener Konsens einseitig aufgekündigt wird (vgl. 'Böckenföde-Diktum') und die (ehemalige) 'bürgerliche Mitte' zu kippen droht.
LöschenLeider habe ich nichts gefunden, worüber ich mich aufregen sollte. Das ist bürgerliche demokratie. Man kann durchaus in eine totalitäre form des kapitalismus abgleiten - aber keinen fußbreit den kommunisten! Und sei es bloß die sozialdemokratie eines Bodo Ramelow.
AntwortenLöschenLangsam wird mir angst und bange, denn auch ich gehöre zu den menschen, die nicht von sich behaupten dürfen, daß sie nicht gewußt hätten, was passiert. Ich gehöre zu den arschlöchern, die nicht gewußt haben, was sie hätten machen können.
"Leider wird mir angst und bange, ...".
LöschenMir leider nicht, weil ich in dem oft merkwürdig verkniffenen, nicht mit der Staatsgewalt aneckendem Widerstand, dem friedlichen Protest mit seinen Lichterketten und den medientauglich aufbereiteten Events nur systemkonformen Protest erkennen kann.
Vielleicht hat ein sog. Antideutscher damit nicht unbedingt falsch gelegen wenn er behauptet hat, dass es in der deutschen Gesellschaft eine Art "Urvertrauen in die Faschismusfähigkeit" des deutschen Staates geben würde.
Zumal dann, wenn es in einer schweren ökonomischen Krise und der permanenten Umverteilung der Krisenlasten nach Unten zu keinen Aufständen in der Bevölkerung kommt.
Was wohl kaum zu bestreiten ist, dass es in der deutschen Gesellschaft einen ziemlich breiten Konsens gibt, Kommunisten als Staatsfeinde zu betrachten.
Obwohl die allein von der Zahl her kaum noch auffindbar sind, ebenso wie die Juden in Deutschland (140.000), wird damit ganz berechnend Politik gemacht, um die Gesellschaft beständig breit zu klopfen für verschiedene autoritäre Optionen.