Mittwoch, 27. Januar 2021

Lest we forget (4)

 
"Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen." (Primo Levi)

Heute vor 76 Jahren, am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Truppen der 322. Infanteriedivision das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Knapp 6.000 entkräftete, unterernährte und kranke Häftlinge fand man noch vor, von denen trotz sofortiger medizinischer Hilfe noch mehrere Hundert starben. 30.000 waren ein paar Tage zuvor 'evakuiert' worden, wie es hieß. Was bedeutete: Auf einen der 'Todesmärsche' quer durch das Reichsgebiet getrieben. Ferner fanden die Soldaten vor: über 40.000 Paar Schuhe, hunderttausende Kleidungsstücke und sieben Tonnen Haare.

Die Dinge ändern sich. Langsam kommt in Sicht, dass bald niemand der Überlebenden mehr am Leben sein wird, uns Nachgeborenen zu berichten. Dann ist es an uns. Es ist völlig offen, ob wir uns würdig erweisen werden. Vor über fünf Jahren schrieb ich nach einem Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau:

"Es wird ordentlich und ohne Rührseligkeit oder Betroffenheitsgehuber dokumentiert, es wird nicht schamvoll verschwiegen oder sonstwie herumgemuckert. [...] Sicher, man kann kritisieren [...]. Etwa, dass es zwar viel zu lernen gibt über vergangene Verbrechen, aber nichts über damit zusammenhängende Fragen, die keineswegs vergangen sind. Zum Beispiel, wie simpel es sein kann, Menschen dazu zu kriegen, Menschen so etwas anzutun.

[Befremdlich] ist die Aura des Gelackten und Routinierten, die das ganze Gelände heute verströmt. Es ist wohl eine Generationenfrage, dass hier eine Atmosphäre kühler Professionalität herrscht. Nicht geschäftsmäßig zwar, aber nüchtern. Hier bricht niemand mehr zusammen unter der Last des Ortes. Die meisten haken das, scheint's, betretenen Gesichtes ab und fahren fort mit ihrem touristischen Programm."

(Joe Biden scheint das interessanterweise ähnlich erlebt zu haben wie ich).

Es galt und es gilt:

"Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert
Und handelt, statt zu reden noch und noch.
So was hätt einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Daß keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!"
(Bertolt Brecht: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui)

Übrigens: Michael Ballweg, Gründer der 'Querdenker'-Bewegung, hat für den heutigen 27. Januar zu einem Autokorso in Stuttgart gegen die Corona-Auflagen aufgerufen. Mein Tipp: Das ist kein Zufall. Man mache sich keinerlei Illusionen: Diese Leute, die sich schon nicht entblödeten, ihre Demos nach Riefenstahl-Filmen zu benennen, wissen ganz genau, was sie da tun und wen sie damit ansprechen.






1 Kommentar :

  1. Siewurdengelesen31. Januar 2021 um 15:05

    "Mein Tipp: Das ist kein Zufall. Man mache sich keinerlei Illusionen: Diese Leute, die sich schon nicht entblödeten, ihre Demos nach Riefenstahl-Filmen zu benennen, wissen ganz genau, was sie da tun und wen sie damit ansprechen."

    Es gibt auch vom VVN-BdA einen lesenswerten Beitrag zu diesen Bezügen.

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