Meinethalben können in Zukunft alle Fußballwelt- und Europameisterschaften so ablaufen wie diese EM. Erinnerte an früher, als so was eine weitgehend privat oder in der Kneipe konsumierte Nettigkeit des Lebens war, die es nicht rechtfertigte, die Innenstädte mit sich vollzumachen und Mitmenschen zu behelligen. Zumal ich die fußballerischen Bemühungen Der MannschaftTM in den letzten Jahren mit stetig abnehmender Anteilnahme verfolgt habe, während die meist geräuschvollen Begleiterscheinungen diverser Turniere mir parallel dazu mehr und mehr auf die Eier gingen. Auch die türkische Mannschaft, deren Anhänger immer gut sind für einen ordentlichen Radau, hat sich freundlicherweise einigermaßen zeitig aus dem Geschehen verabschiedet.
Wie auch die anderen Teams aus von Unsympathen regierten Ländern übrigens. Wofür die Mannschaften natürlich nichts können, doch sind der Welt damit vermutlich einiges an propagandistischem Getröte und weiteres Wirken von Organisationen wie der Carpathian Brigade erspart geblieben.
Natürlich ist die Klage über den Kommerz im Fußball älter als ich. Doch wäre vieles leichter zu ertragen gewesen, wenn die veranstaltende UEFA nicht so penetrant wie verlogen von irgendwelchen Werten gefaselt oder auf ihre angebliche politische Neutralität verwiesen hätte. Oder fröhlich das Märchen vom unpolitischen Sport verbreitet hätte, das man im 21. Jahrhundert vielleicht noch Dreijährigen erzählen kann, ohne schallend ausgelacht zu werden.
Der Laden muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sein profitables Turnier um jeden Preis durchgezogen zu haben. Und dabei nicht nur mit zweifelhaften Regimes gemeinsame Sache gemacht, sondern auch mit der Gesundheit vieler Menschen gespielt zu haben. Indem man zuließ, dass in Pandemiezeiten Stadien vollgepackt wurden als sei nichts weiter. Die nächsten Wochen werden zeigen, inwieweit entsprechende Befürchtungen und Warnungen berechtigt waren. Mir schwant jedenfalls nichts Gutes.
"Soll das Ergebnis dieses Mega-Events nun, im Jahr 2021, tatsächlich bloß lauten, dass Italien gewinnt und England Elfmeter verschießt? Dafür hat der europäische Fußballverband Uefa nationale Regierungen erpresst, mehr Leute ins Stadion zu lassen, als gesundheitspolitisch vertretbar ist? […] Diese Europameisterschaft markiert auch deswegen einen traurigen Tiefpunkt in der Geschichte dieses schönen Sports, weil von Uefa über Sponsoren bis hin zu assistierenden nationalen Regierungen alle daran gearbeitet haben, dem Fußball seinen guten, sozialen, demokratischen und auch subversiven Sinn zu nehmen." (Martin Krauss)
Auch der DFB sorgt übrigens dafür, dass sich an meiner stetig abnehmenden Anteilnahme auch weiterhin nichts ändert, meine Liste mit den Argumenten für einen WM-Boykott täglich länger wird. Man wird in Zukunft mit der Staatsfluglinie Qatar Air kooperieren, verlautete es. Was aller fotogenen Hinknierei, dem Eintreten für Menschenrechte im Allgemeinen und LGBTQ-Rechte im Besonderen noch einmal ein ganz eigenes Geschmäckle verleiht, wie ich finde.
Die italienische Mannschaft, man kann sie mögen oder nicht, hat sich dieses Mal, von einigen Ausnahmen abgesehen, zurückgehalten mit allzu krassen Schauspieleinlagen sowie Beton anrühren und auf 1:0 spielen. Insgesamt hat sie beim Turnier vom ersten Spiel an den mit Abstand überzeugendsten Auftritt von allen hingelegt und sich keineswegs ins Finale gemogelt. Der Finalsieg geht also völlig in Ordnung. Zumal man so ein Spiel, bei dem man nach knapp zwei Minuten 0:1 zurückliegt und fast das ganze Stadion gegen sich hat, auch erst einmal drehen muss.
"England mag das Mutterland des Fußballs sein, Italien aber ist das Mutterland der Fußballtaktik." (Christian Spiller)
Der englische Gegner hingegen entpuppte sich auch nach 55 trophäenlosen Jahren einmal mehr als der FC Schalke 04 unter den Nationalmannschaften: Sich an alten Zeiten berauschend, sich groß auftrumpfend schon als quasi sicherer Sieger sehend und wenn’s drauf ankommt, ins Klo greifend. Im Elfmeterschießen. Trainiert von Gareth Southgate. Obwohl die Italiener gleich zwei versemmelten. Gewisse Dinge ändern sich wohl nie.
Apropos versemmeln: Das haben vor allem unüberhörbar große Teile der englischen Fans, indem sie jede Erinnerung daran, dass die Insel einst als Heimat des Fair Play galt, vergessen ließen. So kann‘s gehen in einer Gesellschaft, die seit 40 Jahren unter brutalst neoliberalen Vorzeichen lebt, in der sich eine kleine Minderheit die Taschen immer voller stopft, die durch eine rechtspopulistische Kampagne der mit dieser Minderheit kumpelnden Murdoch-Medien seit 2015 aufgepeitscht wird. Da werden dann eben Schuldige gesucht und gefunden. Die EU steht ja nicht mehr zur Verfügung. Und die UEFA begleitet das alles mit ihren Sponsoren aus Russland, Katar und China. Wahrlich, ein trostloses Gesamtbild.
In englischen Pubs habe ich aus erster Hand erfahren, dass englische Fußballfans zwar geräuschvoll und einschüchternd sein, sich aber als überaus faire Sportsleute und gute Verlierer erweisen können, sobald der Abpfiff ertönt. Die EM scheint in etlichen die schlechtesten Seiten zum Vorschein gebracht zu haben (wofür Southgate und der Mannschaft kein Vorwurf zu machen ist): Zwar ist das alberne Ritual mit den Hymnen, schlimmstenfalls noch mit Mitsingzwang, mir maximal egal, aber die andere Hymne niederzubuhen, zeugt von Mangel an Selbstbewusstsein, Respekt und Sportsgeist. Ebenso wie den gegnerischen Torwart mit Laserpointern zu stören, eine weinende Neunjährige zu molestieren und, wie gesagt, gescheiterte Elfmeterschützen rassistisch zu bepöbeln.
Zwar werden's auch hier wieder bloß die zwei Prozent sein, die den Saft zum Essig machen - mein Mitleid hält sich echt in Grenzen.
....man kann nur hoffen, dass sich immer mehr Menschen von diesen überbezahlten und gleichzeitig geistig sehr limitierten Typen auf dem grünen Rasen abwenden...
AntwortenLöschenDie Spieler sind m.E. nach noch das geringste Problem. Eher so Spitze des Eisbergs.
LöschenIch war als Zehnjähriger 1966 während der WM in England. Wie das Land und die Menschen sich seitdem verändert haben, ist einigermaßen unfassbar.
AntwortenLöschenWie lange wohl noch, bis man das auch von uns sagt?
AntwortenLöschenIn einer Gesellschaft, die seit der Kohl-Ära unter deutlich neoliberalen Vorzeichen lebt, in der sich eine kleine Minderheit die Taschen immer voller stopft, die durch eine 16 Jahre dauernde Kanzlerschaft erfolgreich immer wieder betäubt wurde, und deren rechte Seite in Richtung pöbelnde Nationalfaschisten weggebröckelt ist und deren neue Bundesländer jedem neuen Naziblödsinn hinterherlaufen — habe mir erlaubt den Ursprungstext zu England auf Deutschland umzutexten (gebaerbrockt — sozusagen)
AntwortenLöschenGruß
Jens
Das kann man selbstverständlich tun und durchaus zu recht. Macht aber den Befund über England nicht falsch.
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