Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft (27)

 
Es dürfte kaum einen Landstrich in West-/Mitteleuropa geben, über den in den letzten 150 Jahren so viele Gebietsreformen und -neuordnungen oder Eingemeindungen hinweggegangen sind wie das Ruhrgebiet. Die Stadt, die wir heute Oberhausen nennen, ist entstanden, indem man die vormals eigenständigen Gemeinden Alt-Oberhausen, Sterkrade und Osterfeld zusammenlegte. So wie man später im Bergischen die Städte Elberfeld und Barmen zusammenlegte und dem Ganzen den Namen Wuppertal gab. Mit den Städten Gladbeck, Bottrop und Kirchhellen hatte man das auch vor, hat es dann aber wieder gelassen. Schade. Der örtliche Volksmund hatte sich für das Gebilde bereits den Namen 'Glabotki' zurechtgelegt.

Herne und Wanne-Eickel wurden dann auch noch zusammengelötet, Wanne-Eickel, bald auch 'Herne 2' genannt, wurde zu Herne-Wanne und Herne-Eickel (der Bahnhof Wanne-Eickel blieb aber unter diesem Namen erhalten, was verstehe, wer will). Wirklich abgefunden haben die Wanne-Eickeler sich nie damit. Seit einigen Jahren kann man sein Auto wieder mit dem Kennzeichen 'WAN' zulassen. Man kann noch endlos weitermachen. Werden und Kettwig kamen zu Essen, Wattenscheid kam zu Bochum, Buer zu Gelsenkirchen. Viele alte Werdener und Kettwiger sehen sich aber nicht als Essener, Wattenscheider nicht als Bochumer, Buerer nicht als Gelsenkirchener und so weiter.

Übrigens gibt es nicht nur das Kennzeichen 'WAN' wieder, sondern auch 'CAS' (Castrop-Rauxel), 'DIN' (Dinslaken), 'MO' (Moers) und 'WAT' (Wattenscheid). Alles ehemals kreisfreie Städte bzw. Ämter, jetzt Kreis Recklinghausen (RE), Kreis Wesel (WES) und Stadt Bochum (BO). Ein Zugeständnis.

Zurück nach Oberhausen. Weil es keine wirkliche Stadtmitte gab, bestand die geografische Mitte der Stadt im Wesentlichen aus Industrieanlagen und sich kreuzenden Hauptstraßen. Ab den Achtzigern dann aus aufgelassenen, verrottenden Industriebrachen bzw. -ruinen und sich kreuzenden Hauptstraßen. Wer apokalyptische Bilder brauchte für einen Weltuntergangsfilm oder ein Trash Metal-Video, fand sie zuverlässig hier. Jene jungen Menschen, die einst von der ZVS aus schöneren Ecken Deutschlands an eine der Ruhr-Universitäten kommandiert worden waren, bekamen von ihren neuen Kommilitonen gern als eine der ersten Amtshandlungen die inmitten von Ruinen in einer Schuttwüste gelegene Turbinenhalle gezeigt. Damit sie gleich wussten, wo sie hier gelandet waren.

Dann kamen die Neunziger. Und mit ihnen der Glaube, Dienstleistung und private Investoren würden es schon richten. Shopping! Fun! Neue Jobs! Natürlich schlechter bezahlt und prekärer als die alten in der Montanindustrie, aber egal, Jobs, Jobs, Jobs! Die Konsequenz daraus hieß 'Neue Mitte'. Mit einem Einkaufszentrum als Zentrum. Das größte Westdeutschlands sollte es werden. Und 'CentrO' heißen. Und so geschah es. Ich kann von mir sagen, dass zum Abzählen meiner bisherigen Besuche dort die Finger meiner beiden Hände ausreichen. Nicht aus Prinzip, sondern weil ich es langweilig finde. Die Tage war ich mal wieder da.

 

Studienfreundin H., die in Oberhausen-Mitte lebt, also dort, wo bloß Hauptstraßen sich kreuzen, meinte mal, sie habe das CentrO notgedrungen akzeptiert. Zumindest die Rückseite. Die Promenade sei das Einzige weit und breit, was einer Flaniermeile halbwegs nahe käme.

Gepflegt ist es hier, auch nach 25 Jahren noch. Kann man nicht meckern. Nur gibt es, gepflegt oder nicht, kaum was Trostloseres als eine weitgehend leere Shopping Mall. Konnten ja nicht ahnen, die Planer, dass heute immer mehr im Internet bestellt wird.

 

Oder es liegt an dem C & A-Calida-Calvin Klein-Camp David-Deichmann-Deiter-Diesel-Esprit-Footlocker-Galeria Karstadt/Kaufhof-Görtz-Gerry Weber-G-Star-Guess-H & M-Hallhuber-Hema-Hollister-Hunkemöller-Jack &Jones-Jack Wolfskin-Levi’s-Lacoste-Mango-New Yorker-Only-Orsay-Pandora-Paprika-Pimkie-P & C-Rüschenbeck-Scotch & Soda-Sergent Major-Sidestep-Sinn-Snipes-Street One-Swarovski-Tamaris-TK Maxx-Tommy-Hilfiger-Vero Moda-Wellenstein-Wormland-Zara-Einerlei, das hier feilgeboten wird, und das man in jeder anderen Innenstadt auch irgendwie bekommt, wenn auch nicht so geballt? Keine Ahnung.

Seit im defizitären 'Metronom Theater' keine Musicals mehr gegeben werden, sieht es auch hier eher trostlos aus. Die Neunziger sind halt vorbei.