Montag, 2. August 2021

Sommerloch: Glück durch Arbeit


2., durchgesehene Auflage

Über die Maßen nervig ist diese kreuzdämliche Leier vom Glück durch Erwerbsarbeit. Dieser von Karriereberatern bzw. -coaches gern gepredigte Humbug, mit ein bisschen gutem Willen und ein wenig (kostenpflichtigem) Coaching sei es quasi jedem möglich, eine erfüllende, den eigenen Neigungen und Stärken entsprechende Arbeit zu finden. Die Ratgeberliteratur ist voll von inspirierenden Geschichten über glückliche Strahlefressen, die öden Job gekickt haben, ihrem Herzen gefolgt sind und nunmehr als kernzufriedene Spaßbacken ihr Restdasein verbringen. Und der Restwelt damit nicht selten gehörig auf die Eier gehen. Das Problem ist ja nicht, dass es solche Menschen gibt, sondern dass suggeriert wird, jeder, bei dem das nicht so sei, mache gewaltig etwas falsch.

Vorsicht geboten ist übrigens auch, wenn es erstrebenswert erscheint, ein Hobby zum Beruf zu machen, wenn man Hobby als etwas begreift, das man privat tut, um einen Ausgleich zu finden zur (Erwerbs-)Arbeit. Hat man also sein Hobby zum Beruf gemacht, dann ist das streng genommen kein Hobby mehr und man braucht ein neues. Überhaupt ist es seltsam, wie wenige auf den Gedanken kommen, ihren Beruf zum Hobby zu machen. Bei alten Handwerkern ist das manchmal noch zu beobachten. Aber sonst? (Diese Umkehrprobe wird noch wichtig.)

Sicher, es gibt mehr als genug Jobs, in denen die, die sie ausüben, maximal ausgebeutet werden, auf Dauer krank werden daran und für die ein Jobwechsel, so überhaupt möglich, wirklich die einzig gangbare Option ist. Natürlich gibt es Menschen, die in ihrem Traumberuf arbeiten und darin aufgehen bzw. welche, denen noch im fortgeschrittenen Alter der Wechsel dorthin gelingt. Nur handelt es sich bei so was eher um die Ausnahme als die Regel. Die allermeisten sehen ihre Arbeit nicht als Lebensinhalt, für den sie brennen, sondern als Mittel zum Zweck, als Geschäft auf Gegenseitigkeit, Zeit gegen Geld, um an die für den Lebensunterhalt nötigen Flocken zu kommen. Was auch gesünder ist, denn viele Arbeitgeber betrachten ihre Angestellten schließlich auch primär aus betriebswirtschaftlicher Perspektive. Warum sollte es auf der anderen Seite des Schreibtisches anders sein?

Manchmal finden auch blinde Hühner Körner. So wie manchmal auf 'Spiegel online' Brauchbares steht. Und ganz manchmal findet sich sogar in der Zunft der Karriere-/Bewerbungs- und Jobcoaches jemand, der nicht wirkt wie ein Duracellhase mit Uranstab im Arsch und der auch nicht den Eindruck macht, jeden Morgen vom Pfleger die extragroße Happyspritze verpasst zu kriegen. Der sogar halbwegs Vernünftiges schreibt, das etwas mit dem Leben durchschnittlicher Menschen zu tun hat. Volker Kitz scheint so jemand zu sein und wir wollen seinen Beitrag daher lobend hervorheben. Vielleicht ist's ein Ausrutscher, doch Ehre, wem Ehre gebührt.

Kitz schildert, wie auf einer Tagung sein Vorredner das anrührende Einzelbeispiel eines Zürcher Mittfünfzigers ausbreitete, der als Gehirnchirurg ein ödes, kärgliches Dasein fristete. Obwohl er Chef einer Privatklinik war und auch sonst alles hatte, Geld, Haus, Familie, schicke Autos und Urlaube, war er unglücklich. Der Job füllte ihn nicht recht aus, denn insgeheim träumte er von einem Leben als Trucker. So schmiss er mit 56 Jahren alles hin und gurkte fortan mit schwerer Last durch die Gegend. Moral von der Geschicht: Lebe deinen Traum! Es ist nie zu spät.

Doch, ist es mitunter sehr wohl. Kitz ließ bei seinem Vortrag dem Zinnober mit einem einzigen Gedanken komplett die Luft heraus: Man stelle sich vor, die Sache sei umgekehrt verlaufen. Ein Lkw-Fahrer habe mit Mitte fünfzig plötzlich sein Faible für Gehirnchirurgie entdeckt. Der Rest soll in allgemeinem Gelächter untergegangen sein. Wenn's nicht stimmt, dann ist es gut erfunden. Tatsache ist, dass es zig Branchen und Berufe gibt, in denen irgendwann der Zug abgefahren ist bzw. in die nicht jeder hineinkommt, ganz gleich wie dolle er träumt oder wie hart er im einzelnen arbeitet an sich.

Die meisten dieser Wohlfühlszenarien funktionieren nur, wenn der oder die Betreffende in einen geringer qualifizierten Job wechseln will oder über das zur Verwirklichung der Träume nötige Kleingeld verfügt. Eine Mutter von Ende vierzig, die nach dem dritten Kind noch einmal ins Berufsleben einsteigen und Flugbegleiterin werden will, wo sie davon doch immer geträumt hat? Guter Witz! Ein älterer Leiharbeiter mit kaputtem Rücken, der zwar keinerlei Rücklagen hat, dafür aber ganz tolle Visionen? Die Banker, bei denen er nach einem Darlehen fragt, dürften eine halbe Stunde brauchen, um sich von dem Lachanfall zu erholen. Wie viele Ärzte gibt es umgekehrt, die nicht glücklich sind? Die den Beruf nur haben, weil sie von Kind auf darauf getrimmt wurden, in Vaters und Großvaters Fußstapfen zu treten?

Natürlich ist es in Ordnung, einer Erwerbsarbeit nachgehen zu wollen, die man beherrscht, die man gern und mit Lust tut. Es ist nur völlig gaga, das um jeden Preis zu wollen bzw. einen allgemeingültigen Imperativ zu stricken. Das richtet sogar echten Schaden an. Wie viele, die einem Traumjob hinterherjagen, beispielsweise "was mit Medien" machen wollen, lassen sich dafür bereitwillig ausbeuten, mit Minibezahlung und prekären Jobs abspeisen? Weil man dafür doch auch mal Zugeständnisse machen muss? Solche Leute dürften bei denen, die Jobs vergeben, weit geschätzter sein als die, die ihren Arbeitseinsatz einer nüchternen Kosten-Nutzen-Analyse unterziehen und ihr Pensum nach Möglichkeit entsprechend anpassen.

Wer aber Arbeit einseitig zur einzig sinnstiftenden Verwirklichung von Lebensträumen aufplustert, stempelt damit nebenbei auch alle zu Losern und Versagern, die einfach nur tagein, tagaus einen Job machen, sondern stigmatisiert auch die noch zusätzlich, die unverschuldet keine oder keine mehr haben.

Eine Garantie auf Zufriedenheit gibt es übrigens auch im vermeintlichen Traumberuf nicht. Den schweizerischen Neu-Trucker und Ex-Gehirnchirurgen gibt es wirklich. Er heißt Markus Studer und schmiss nach gerade mal zwei Jahren auf dem Bock wieder hin. Er hatte dem Wettbewerbsdruck in der Branche nicht standhalten können. Fragen wie die, wie man die Arbeitswelt so gestalten könnte, dass auch die, die einfach nur ihren Job machen wollen, darin in Gesundheit und Würde darin alt werden können, tauchen erst gar nicht auf. Wäre auch vielleicht ein bisschen viel auf einmal verlangt.
 
 
Das obige erschien hier erstmalig am 11. Dezember 2015, hat m.E. wenig an Aktualität eingebüßt, wurde aber dennoch ein wenig überarbeitet (no pun intended!).







2 Kommentare :

  1. Empfehlung: Konstantin Faigles

    "Frohes Schaffen - Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral"

    Wird hier vorgestellt (ca 6 min)
    https://www.youtube.com/watch?v=O6IpDDqFvPY

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  2. Hinweise: Es gab ja mal die "Glücklichen Arbeitslosen", und die Gruppe KRISIS (Robert Kurz *) mit ihrem Manifest gegen die Arbeit und das Buch "Feierabend".

    These: "Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, dann liegt das auch daran, daß der einzige gesellschaftliche Wert, den er kennt, die Arbeit ist. Er hat nichts mehr zu tun, er langweilt sich, er hat keine Kontakte mehr, da ja die Arbeit oft auch einzige Kontaktmöglichkeit ist, das gleiche gilt übrigens auch für Rentner."

    Viele Arbeitslose wollen meistens keine Arbeit, sondern nur die Sicherung ihrere materiellen Eistenz (Arno Dübel). Die klassische Lohnarbeit ist auch das beste Instrument zur sozialen Kontrolle einschließlich der Funktion der Arbeitsstätte (Fabrik) als Teilzeitgefängnis. Als Hauer unter Tage war es nicht möglich, sich mal eben frei zu nehmen,weil ein Zahnarztbesuch notwendig war. Auch deer Bandarbeiter bei Opel konnte nicht mal eben mit seinem Auto zum TÜV-Termin während der Arbeitszeit. Übrigens alles Privilegien, die mir im öffentl. Dienst gegeben waren.

    Natürlich gibt es auch Erwerbsmöglichkeiten, bei denen der Widerspruch zwischen Arbeit und Vergnügen/Hobby aufgehoben und sogar eine bestimmte zeitliche Autonomie gegeben ist. Ich denke dabei an Profisportler, Schriftsteller, Schauspieler, Künstler, Artisten, auch einige TV-Lallbacken. Dass es Menschen gibt, die mit Leidenschaft, Engagement und Idealismus ihrem Broterwerb nachgehen, obwohl sie damit gerade mal das Existenzminimum absichern können, würde ich nicht prinzipiell in Abrede stellen.

    Momentan ist die Lebensmitelindustrie dabei, den Job der Supermarktkassiererinnen durch die Einführung von SB-Kassen für die Kundschaft abzuschaffen. Ob ich das gut finde, kann ich noch nicht sagen, Es kann aber nicht so prickelnd sein, stundenlang und tausendfach den Piepton zu hören, wenn die Waren über den Scanner gezogen wird.

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