Freitag, 2. Dezember 2022

WM-Katarrh (3) - Aus! Aus! Das Spiel ist aus!

 
"Jeder einzelne deutsche Mallorca-Assi, der in seinem Leben mal in die Schinkenstraße gekotzt hat, sollte sich aber ganz schleunigst hinterfragen. Und zwar schonungslos." (11 Freunde)

Es gibt zwei gute Nachrichten: Die erste ist, dass alle Gewissenskonflikte nunmehr ein Ende haben. Keine quälendes "Soll man sich das korrupte Spektakel übehaupt angucken? Kannmandenn? Darfmandenn? Ich weiß, ich sollte nicht, aber..." Dafür und dafür, angesichts des fragwürdigen Spektakels in Katar Haltung gezeigt und die Sache bei der ersten Gelegenheit beendet zu haben, gebührt Hansi Flick und der deutschen Fußball-Nationalmannschaft Dank und Respekt. Nicht ganz so konsequent wie die österreichische Mannschaft, aber das wird schon noch.
 
Die zweite gute: Fußball wird in Deutschland nach dem Hype seit 2006 (der sich streng genommen schon seit 1990 stetig gesteigert hatte) endgültig zurechtgestutzt auf das, was er vorher einmal war. Eine nette Nebensache, die Fans sich antun, die allenfalls zu Großturnieren erhöhte Aufmerksamkeit erzeugt und bei der das Leben trotzdem weitergeht. Es zeigt sich zunehmend, dass der partypatriotische Rausch eine Blase war, die meisten in Nationalfarben aufgeputzen "Fans" in Wahrheit bloß Mitläufer und Glory hunter waren.

Tatsächlich habe ich auch ein kleines bisschen Mitleid. Und zwar für Jamal Musiala. Was für ein Talent! Und was für eine Vergeudung von Talent! Der Junge hat sich als einer der wenigen echt den Arsch aufgerissen. In einem besseren Umfeld hätte er die Chance gehabt, richtig zu glänzen. Und für Niclas Füllkrug. Der entspricht so gar nicht dem Klischee des kickenden Multimillionärs und hätte vielleicht der Toto Schilacci dieses Turniers werden können. Nun, da er sich bereits einem für Stürmer biblischen Alter annähert, hat er vielleicht bei der EM noch ein letztes Mal die Gelegenheit zu zeigen, was er kann.

Erledigt hat sich hoffentlich endgültig auch das Gelaber von der "Turniermannschaft". Wer es nicht schafft, gegen einen Gegner wie Japan ein 1:0 über die Zeit zu spielen und sich statt dessen von den Japanern und Costa Ricanern, beides unangenehme Gegner, gewiss, aber wiederum keine Großmächte, vor denen die Fußballwelt erzittert, in der zweiten Halbzeit zwei Mal das Spiel aus der Hand nehmen lässt, ist meinetwegen irgendwas, für das mir spontan kein Fachbegriff einfällt, aber definitiv keine "Turniermannschaft". Und völlig zu recht raus.

Stopp, es gibt noch eine dritte gute Nachricht: Wir haben bei dieser WM schon öfter genau das gesehen, was den Reiz des Fußballs ausmacht. Dass auf dem Papier unterlegene Mannschaften mit Leidenschaft, Willen, Köpfchen und Einsatz über sich hinauswachsen und auch deutlich stärkere Gegner schlagen können. Die deutsche Mannschaft hat 2002 zuletzt so was gezeigt.

Apropos Leidenschaft: Bin ich der einzige, dem die komplett leidenschaftslose Reaktion des DFB und seiner diversen Angestellten nach dem Ausscheiden auffällt? Keiner ist stinksauer, keiner will irgendein Maskottchen umkicken, niemand schreit "Scheiße!!!". Statt dessen reden alle wie die Aktienanalysten und analysieren auf Abruf routiniert und kühl ihre Defizite, die sie abstellen werden und Versäumnisse, über die geredet werden müsse. Wie soll da ein Funke überspringen und Leidenschaft bei den Fans aufkommen?

Und bitte aufzuhören mit Gehirnpfürtzen wie: "Aber sie haben doch gut gespielt, es hat doch nicht viel gefehlt, sie hatten doch auch Pech!" Nö. Gut spielen bedeutet auch effektiv spielen. Wenn ich in jedem Spiel 35-50 hochkarätige Torchancen habe, aber keine Tore mache, mein Gegner hingegen aus drei Chancen zwei Tore macht, unter anderem, weil meine Abwehr Fehler in die Kolonne knallt, die kein Kreisligatrainer der B-Jugend durchgehen ließe, und das mehrmals hintereinander, dann habe ich nicht gut gespielt. Ach ja, und ohne Manuel Neuer wäre es noch viel schlimmer ausgegangen.

Wo wir gerade beim Aufhören sind: Das Gequackel, da bollerten 26 gelangweilte, übersättigte Jungmillionäre doof herum, die eh alles bloß nur für Geld tun, ist Unfug. Ja, im Fußball gibt es viel zu kassieren, so what? Für einen Ronaldo, einen Messi sind die Siegprämien bei großen Turnieren ein Witz. Anders herum glaube ich kaum, dass die Heldentruppe von Rio, die Brasilien 7 zu eins aus deren Heimstadion geschossen und hernach gegen Argentinien den Welt=Pokal errungen hat, ehrenamtlich unterwegs war.

Es gab mal Zeiten, in denen ein Vorrundenaus einer deutschen Nationalmannschaft zwangsläufig dazu geführt hätte, dass der Trainer seinen Hut nehmen und zur Strafe im 'Tatort' mitspielen musste. Heutzutage redet der Trainer, der konsequent einen überforderten Mittelfeldspieler in die Mittelstürmerposition gesetzt hat, wo er absolut nichts reißt (aber beim FC Bayern ist), der in zwei von drei Fällen durch fragwürdige Einwechslungen die Mannschaft vercoacht hat, die zudem unter seiner Verantwortung über weite Phasen orientierungs- und ratlos über den Platz stocherte, davon, wie er sich aufs Weitermachen freue. Und niemand lacht ihn aus.

Eine konsequente Weiterentwicklung übrigens. Schon nach dem blamablen Aus bei der WM 2018 fuhr Joachim Löw erstmal in Urlaub und meinte, er geruhe danach zu verkünden, ob und wie er weitermachen werde. Wer wünscht sich nicht so einen Arbeitgeber, wo Angestellte sagen können: "Ok, Chef, ich habe das wichtigste Projekt der letzten Jahre volles Rohr gegen die Wand gefahren, jetzt mache ich erstmal Urlaub, und danach schaue ich, ob und wie ich für Sie weiterarbeite." Das sollte wirklich Schule machen in der Arbeitswelt.

"Die Kinder müssen abspielen, sie dürfen sich nicht mehr im Dribbeln ausprobieren. Sie bekommen auch nicht mehr die richtigen Hinweise, warum ein Pass oder ein Dribbling nicht gelingt. Stattdessen können sie 18 Systeme rückwärts laufen und furzen." (Mehmet Scholl)

Apropos DFB: Seit dem rückblickend gar nicht mal so schlimmen Tiefpunkt 2000 höre ich andauernd von der tollen Jugend- und Nachwuchsförderung des größten Einzelsportverbandes des Universums. Kommt es eigentlich nur mir so vor, dass es bei der Jugend- und Nachwuchsförderung von Innenverteidigern und Stürmern seit längerem ein wenig zu hapern scheint? Frag ja nur.

Und zum Schluss:

Ja, diese hinterhältigen Spanier! Haben aus purer Heimtücke gegen Japan verloren und somit Superdeutschland schmählich aus dem Turnier geworfen! Ja und? Selbst wenn. Wenn Luis Enrique und sein Trainerstab zu der Auffassung gekommen sein sollten, dass Marokko der leichtere Achtelfinalgegner ist als Kroatien, dann ist es komplett legitim, das Turnierreglement dazu zu nutzen, sich in eine entsprechende Position zu bringen. Wäre die deutsche Mannschaft vor dem letzten Spiel sicher weiter, das Ergebnis egal gewesen und wäre man mit einer B-Elf angetreten, hätte verloren und dadurch wäre nicht Gegner 1, sondern Gegner 2 ausgeschieden, wäre das ebenso legitim und niemand hätte sich beschweren können.






5 Kommentare :

  1. Die Offensive spielte dilettantisch, die Defensive katastrophal und über das Mittelfeld will ich mich gar nicht äußern. Wer Spanien kritisiert, der sei an die Schande von Gijon 1982 erinnert.

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    1. Das Problem ist ja, dass es im Ggs. zu 2000 nicht an Talenten mangelt. Es geht darum, das Talent auf den Platz zu bringen. Das ist der Job des Trainers. In anderen "großen Fußballnationen" wären der und sein halber Stab jetzt gefeuert. Beim DFB darf er noch mindestens vier Jahre weiterwursteln und das nächste Turnier an die Wand fahren. Keinem Filialleiter einer Sparkasse ließe man das durchgehen.

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    2. Mir hat sich beim gelegentlichen Zuschauen des Untergangs im TV der Vergleich mit dem DFB-Frauen-Team aufgedrängt. Dagegen sind die Männer eine bemitleidenswerte Truppe. Dieses aggressive Brüllen und Anspringen des Torschützen nach einem Tor, das öffentliche Eiergekraule und Gerotze auf dem Rasen und dem Kickboxen vergleichbare Treten in die Knochen des Gegners, kaum lachende Gesichter, nur verbissene Mienen.

      PS: Musiala ist volljährig und sollte nicht paternalistisch als männliches Kind (Junge, in den USA als respektlose Bezeichnung von Männern) bezeichnet wersen.

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    3. @ Stefan Rose

      Beim letzten Spiel standen nur Top-Leute auf dem Platz: sieben Stammspieler des FCB, der Kapitän von ManCity, der Abwehrchef von Real Madrid und der Stürmer des aktuellen CL-Siegers Chelsea. Und dann liegst du gegen elf No-Name-Spieler aus Mittelamerika 1:2 hinten. Könnte eventuell am Trainer liegen. An der These ist was dran ;o)

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  2. ... endlich volle Konzentration aufs Weihnachtsfest!

    Gruß
    Jens

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