Sonntag, 5. März 2023

Lokal vs. Global

 
Nachdem ich einer lieben Kollegin, mit der ich mich zuweilen über Kulturelles und schöne Dinge austausche, den ersten 'Bruno'-Band geliehen hatte mit der Gewissheit, das könnte ihr gefallen (tat es), drückte sie mir, als Revanche gleichsam, 'Teufelsfrucht' von Tom Hillenbrand in die Hand. Der erste Band einer weiteren Krimiserie, die Berührungspunkte zur Welt des Kulinarischen aufweist. Die Hauptfigur ist weder Polizist noch Detektiv noch sonst jemand, der irgendwie in Ermittlungen hineingezogen wird wie zum Beispiel ein Journalist. Xavier Kieffer ist Koch und betreibt in Luxemburg (Stadt) das Lokal 'Deux Églises', mehr ein Bistro, wo er regionale Küche wie Huesezwiwi und Wäinzoossiss serviert. Er selbst zieht ein Stück Rieslingspaschtéit und ein Glas Rivaner jedem Gourmet-Menü vor.

[milde Spoiler]

Denn Kieffer hat eigentlich Sterneküche gelernt und galt als neue Hoffnung am Gourmet-Himmel, hat den Zirkus aber irgendwann hingeworfen. Statt sich im Starrummel zu sonnen, sitzt er lieber mit Stammgästen bis spät in die Nacht beim Wein. Sein bester Freund, der finnische EU-Beamte Vartanen, ein begnadeter Fresssack und Suffkopp, dabei spindeldürr, geht bei ihm ein und aus. Dadurch und  durch seine Liaison mit der Erbin des bedeutendsten Gourmetführers, der hier freilich nicht 'Michelin' heißen darf, stoßen Kieffer immer wieder Dinge zu, die Nachforschungen erfordern. Etwa, als plötzlich der wichtigste Gastrokritiker des besagten Gourmetführers nach einem Probeessen in seinem Lokal tot aufgefunden wird. Oder als bei einem Schaukochen im Pariser Musée d’Orsay, zu dem seine Freundin ihn geschleppt hat, der berühmtestes Sushi-Koch der Welt plötzlich tot zusammenbricht.

Hilfreich ist natürlich, dass Kieffer sich tagelang auf Recherchetour begeben kann, weil sein Restaurant ziemlich gut läuft. Wegen der EU-Institutionen und Bankniederlassungen ist genügend zahlungskräftige und -willige Kundschaft am Ort. Außerdem hat er in Claudine eine Sous-Chefin, die den Laden auch ohne ihn schmeißt, wenn's sein muss, ein paar Wochen lang. Und zwischendurch wird natürlich nach Kräften getafelt und über örtliche Spezereien reflektiert.

[weniger milde Spoiler]

Das kann man alles glaubwürdig finden oder nicht. Mir war das ganze Setting am Anfang auch eine Spur drüber. Dem 2010 erschienenen Buch ist sei Alter zum Teil anzumerken, wobei es gar nicht mal so sehr ins Auge springt, dass niemand ein Smartphone hat und ein Blackberry noch ein Angebergerät ist. Kann es wirklich sein, frug ich mich beim Lesen, dass ein als übergewichtig beschriebener Koch, der zwar mal Sport gemacht hat aber auch lange nicht mehr gemacht hat, dazu ein, zwei Schachteln Letzeburger Nationalkippen pro Tag qualmt und fleißig dem moselfränkischem Wein zuspricht, gleich zwei auf ihn angesetzten Profikillern mit Fremdenlegionshintergrund entwischen kann? Nun ja.

Überhaupt bleiben die Figuren insgesamt blass, was daran liegt, dass man kaum etwas über sie erfährt, sie wenig Tiefe haben. Wer quasifamiliäre Heimeligkeit erwartet, wie etwa in der 'Bruno'-Reihe, könnte sich hier enttäuscht sehen. Über Vartanen und die mit Kieffer liierte Valerie fällt einem kaum etwas ein, was über ein, zwei Sätze hinausgeht. Ihre wesentliche Funktion ist es, die Handlung in Gang zu halten. Die muss dafür um so mehr bieten, und das tut sie.

Die für den ersten Band namensgebende Frucht vermag jedem Essen einen unwiderstehlichen Geschmack zu verleihen. Den enthaltenen Substanzen auf die Spur zu kommen, wäre der Traum der Lebensmittelindustrie, denn das würde das Geschmackdesign revolutionieren. Vor allem der Schweizer Beat Wyss, den Hillenbrand mit einigen Attributen eines irren Wissenschaftlers ausstattet, wittert den großen Durchbruch und das große Geld. Ein Traditionalist wie Kieffer wendet sich da mit Grausen.

Am Ende kommt es zu einer Art Showdown zwischen den beiden. Auch der mag ein wenig over the top sein, aber es werden  spannende Fragen verhandelt: Der Industrielle Wyss hat nämlich einen Punkt: Was tun, wenn alle Welt, also neuerdings auch Millionen Chinesen und Japaner, zum Beispiel Parmigiano Reggiano essen wollen, die Produktion aber kaum für die Nachfrage in Europa ausreicht? Und da liegt die Stärke der Kieffer-Romane: dass sie hochpolitisch sind und es um wirklich Relevantes geht. Auch in 'Rotes Gold', dem zweiten Band, in dem es um den internationalen Handel mit Blauflossenthun für Sushi geht, und der sich schon flüssiger liest, wird diese Linie beibehalten: Was, wenn regionale Spezialitäten plötzlich attraktiv werden für ein weltweites Publikum? Und wenn dann noch Margen wie beim Bluefin zu erzielen sind, die fast zwangsläufig organisiertes Verbrechen anziehen?

Zumal Kieffer selbst kein Heiliger ist. Als er im dritten Band einen Stand auf D'Schueberfouer, dem jährlichen Volksfest, einen Stand betreibt, auf dem er Gromperekichelcher (Kartoffelpuffer) verkauft, ordert der Ex-Sternekoch selbstverständlich über einen Trierer Großhändler beste französische Ware, anstatt sich vor der Haustür umzutun. Überhaupt geht es nebenbei immer auch um die Schäden, die die Sterneküche anrichtet, vor allem bei denen, die da arbeiten.

Was ich bisher gelesen habe, gefällt mir, trotz ein paar Schwächen, ziemlich gut. Wird weitergelesen.



(Die Xavier Kieffer-Romane von Tom Hillenbrand sind als Taschenbücher bei KiWi erschienen.)







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