Sonntag, 7. Mai 2023

Kopf. Krone.


Disclaimer: Ich habe mir die gestrige Krönungszeremonie angesehen. Aus Interesse. Wenn der nunmehr Bekrönte so lange durchhält wie seine Mutter, dann gönge ich bei der nächsten Krönung in Westminster Abbey stramm auf die Achtzig zu. So ich dieses Alter erreiche. Vielleicht teilt Charles III. bis dahin aber auch das Schicksal seines Namensvetters aus dem 17. Jahrhundert, der sein Leben bekanntlich mit 30 Zentimetern weniger Körpergröße beendete. (Dekapitation war damals ein so legitimes wie erprobtes, auf jeden Fall sicheres Mittel, dynastische Scherereien final zu regeln. Wäre heute nicht mehr so das Mittel der Wahl.)

Wer weiß, vielleicht werden Charles und Camilla, William Ohnehaar, Andrew der Schwanzgesteuerte und wie sie alle heißen, ihrer Ämter enthoben und ins Exil verbracht. Oder enteignet und müssen sich Jobs suchen ("Okay, wie war Ihr Name? William Windsor? Hab ich schon mal irgendwo gehört. Was haben Sie denn bisher so gemacht? Militär, danach Uniformen getragen und Hände geschüttelt, soso, aha. Ach, reiten können Sie auch? Schönschön..."). Sie brauchen gar nicht so überrascht zu gucken. In Großbritannien haben sie sich bekanntlich einen Premierminister in die Downing Street gesetzt, dessen Familienvermögen angeblich dasjenige der Sachsen-Coburg-Gotha-Sippe deutlich übersteigt und der den Laden notfalls einfach kaufen könnte.

Nicht völlig ausgeschlossen also, dass es nicht nur wegen des eigenen fortschreitenden Alters das letzte Mal war, dass ich mir diesen, auf Wilhelm den Eroberer zurückgehenden, angeblich 1066 A.D. erstmals vollzogenen Ritus live und in Farbe zu Gemüte führen konnte. Who knows? Der kluge Mann baut vor.


Eines ist mir allerdings ziemlich auf die Nüsse gegangen: Dieses Geschwärme, was für eine prunkvolle Zeremonie das doch gewesen sei. Bitte? Als katholisch sozialisierter Agnostiker und ehemaliger Messdiener kann ich nur sagen: Schwache Kür. Zwar waren die gestern vorgeführten Klunker und Preziosen definitiv teuer - ich habe bei der Präsentation der Regalien noch auf die Heilige Handgranate von Antiochia gewartet -, aber das war es auch schon. Ich habe Christmetten und Osternachtsfeiern mitgemacht, gegen die diese Veranstaltung ein armseliger Schiss war. Zwar wurden da die Ohren nicht mit gruseligen Auftragswerken von Andrew Lloyd Webber malträtiert, aber der Pfarrer damals kam ab neunzig Minuten herumzelebrieren erst so richtig auf Betriebstemperatur.

Da zogen Diakone und Subdiakone mit Legionen von Messdienern ein (am Morgen war Generalprobe), alle Verbände und Vereine kamen mit ihren Fahnen, die sie vor dem Altar dippten, Blechbläserensemble und Organist versuchten sich gegenseitig zu überdröhnen und der ganze Tempel, den zuvor Frauenverbände im Verbund mit örtlichen mildtätigen Gärtnern und Floristen, die sich Spendenquittungen dafür ausstellen ließen, in ein Blumenmeer verwandelt hatten, wurde mittels Weihrauch dermaßen unter Dampf gesetzt, dass die ersten zehn Reihen quasi nichts mehr sahen und kaum noch Luft bekamen. Die Legionen Messdiener waren übrigens nötig, weil die Hälfte wegen des Gequalmes immer umkippte. Also, wenn schon Brimborium, dann bitte richtig. Und eine Generation zuvor war das noch krasser.

So eine Monarchie ist nun mal ein kompletter Anachronismus. Nimmt man das wirklich ernst, dann muss man akzeptieren, dass da eine Sippe bestenfalls durchschnittlich Begabter qua Geburt und/oder Heirat irgendwelche Reichtümer und Privilegien für sich in Anspruch nimmt, weil das jeweilige Oberhaupt angeblich unter besonderer Gnade Gottes steht. So sieht das aus. Irrational? Aber sicher doch. Wenn Gläubige 'Charles III.' und 'von Gott begnadet' nicht so recht zusammenbekommen, dann können die sich noch helfen, indem sie sagen, die Wege des Herrn seien nun einmal unergründlich. Alle anderen haben ein Problem. Und müssten konsequenterweise für die Abschaffung sein.

Daher wirken diese ganzen Sparsamkeitsdebatten auch so krämerselig und opportunistisch. Der Hof hatte im Vorfeld verlauten lassen, eine bescheidenere, abgespeckte Zeremonie zu planen. Aha. Ich finde ja, wenn schon Monarchie, dann volles Rohr und ganz im Sinne der Erfindung. Mit Glanz und Gloria, Schlagsahne, Ketchup, allem und scharf. Oder man lässt es bleiben. Und natürlich kostet das. Nur ist so ein Königshaus ein echtes Schnäppchen gegen das, was eine Wall Street oder eine Londoner City an einem Tag an Kapital vernichten kann. Man könnte sagen, im Gegensatz zu dem armseligen neureichen Megayachtgehabe der Superreichen, haben die Royals - gelernt ist gelernt - beim Protzen wenigstens noch Stil und Klasse, was sich nicht kaufen lässt. Und die Armen was zu gucken.

Apropos Arme: Der Sieg im zweiten Weltkrieg ist der Insel definitiv nicht nur gut bekommen. Abgesehen vom Verlust des Empire, setzte sich diese Erzählung von dem widerständigen Eiland in der Nordsee, deren unbeugsame Bewohner tapfer die Zähne zusammengebissen und stoisch dem Blitz getrotzt haben, in den Köpfen vieler Menschen fest. Was zu einer veritablen WW2-Obsession geführt hat, deren Auswirkungen sich in jedem dortigen Buchladen bewundern lassen. Das wiederum hat noch jeder Tory-Premier spätestens seit Margaret Thatcher ins Feld geführt, wenn es galt, die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen. Ihr denkt, es geht euch schlecht? Unsere tapferen Vorfahren drehen sich im Grabe um! Die haben noch ganz anderes durchgemacht.

Die britische Monarchie existiert eh nur noch, weil man es seit 1215 mit einer einzigen Unterbrechung immer wieder verstanden hat, sich dem jeweiligen Zeitgeist irgendwie anzupassen und nach und nach bei den Privilegien abzurüsten. Als nächstes wird wohl das koloniale Erbe verschärft auf den Prüfstand kommen. Dass aus Camillas Krone vorsorglich der Koh-i-Noor-Diamant entfernt wurde, um niemanden zu provozieren, weil um dessen Rückgabe sich gerade Indien und Pakistan kloppen, war wohl nur ein erster Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird. Dass das Kingdom sich ungewohnt autoritär gab und 52 Monarchiegegner in London festgenommen wurden, weil sie Schilder mit der Aufschrift "NOT MY KING" hochgehalten hatten, lässt ebenfalls auf eine gewisse Nervosität schließen.

Und wenn schon. John Cleese meinte mal in einem Interview in den Neunzigern, er fühle sich in Wien sehr wohl, weil das eine Stadt sei, in der eine bedeutende, uralte Monarchie abgeschafft worden sei. Das sei zwar immer noch überall spürbar, doch hätten die Menschen sich weitgehend damit arrangiert. Das empfände er als schöne Zukunftsvision für sein Heimatland.








5 Kommentare :

  1. Ich habe bei der Zeremonie tatsächlich auch an die Heilige Handgranate von Monty Python denken müssen. Schön wäre es gewesen, wenn man Charles am Ende wie bei Rudi Carells Laufendem Band gefragt hätte, an welche Gegenstände er sich erinnern kann. Muss an unserer Sozialisation liegen. Bei Charles denke ich immer zuerst an Alfred E. Neumann (Ohren!).

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    1. Und der Herr sprach und sagte:
      "Zuerst ziehe die heilige Zündnadel aus dem Gehäuse. Sodann sollst du zählen bis 3, nicht mehr und nicht weniger. 3 allein soll die Nummer sein, die du zählest, und die Nummer, die du zählest, soll 3 und nur 3 sein. Weder sollst du bis 4 zählen, noch sollst du nur bis zur 2 zählen, es sei denn, dass du fortfährst zu zählen bis zur 3. Die 5 scheidet völlig aus. Wenn dann die Nummer 3, welches ist die 3. Nummer von vorne, erreicht ist, dann schleudere mit Kraft deine Heilige Handgranate von Antiochia gegen deinen Feind."

      Fürs Protokoll.

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  2. DasKleineTeilchen8. Mai 2023 um 02:34

    "Dass das Kingdom sich ungewohnt autoritär gab und 52 Monarchiegegner in London festgenommen wurden, weil sie Schilder mit der Aufschrift "NOT MY KING" hochgehalten hatten"

    nich deswegen...viel besser. zb (gefällt mir besonders gut)

    "conspiracy to cause a public nuisance"

    yep, kein scheiss! die von den torys durchgedrückten "anti-protest-laws" machens möglich...

    theguardian dot com/commentisfree/2023/may/07/protesters-in-handcuffs-and-nonstop-bling-this-coronation-has-been-an-embarrassment

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  3. Wie in Britannien regierte auch in Österreich der vorletzte Monarch sieben Jahrzehnte ewig lang, und danach war dann betreffs Monarchie die Luft raus. So wie ihre Regentengattin-Kollegin Sisi als mythische Ikone zu reüssieren wird sich für Camilla wohl auch nimmermehr ausgehen.

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    1. Interessante Parallele.
      @DKT: Danke, der Link fehlte mir noch.

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