Sonntag, 23. Juni 2024

Opa und der Krieg


"Mit den falschen Selbstgewissheiten derjenigen, die sich für bessere, stets auf der richtigen Seite befindliche Menschen halten, ist aus dem Nationalsozialismus nichts zu lernen." (Götz Aly)

Es sind Zeiten, da läuft man mitunter Gefahr, sich beim Kopfschütteln ein Schleudertrauma einzuhandeln. Jetzt haben sie wieder was gefunden, das sie Robert Habeck anhängen können. Hat der Mann es doch tatsächlich gewagt, die Nation nicht frühzeitig und vollumfänglich darüber informiert zu haben, dass sein Urgroßvater eine NS-Größe war, gar mit Joseph Goebbels befreundet gewesen sein soll. Ja, also wirklich, schlimm aber auch! Wie kann er nur, der Ungut? Da sieht mans wieder! Das ist umso dämlicher in einem Land, das zu seiner Vergangenheit gelinde gesagt kein wirklich einfaches Verhältnis hat und in dem Stimmen, man solle das Vergangene doch bitte endlich mal ruhen lassen, nie völlig verstummt sind.

Maximilian Krah von der AfD ist da ja anders. Er wandte sich letztes Jahr in einem Video an die deutsche Jugend: Sie solle doch mal herausfinden, was Oma und Opa, Uroma und Uropa früher für tolle Sachen gemacht hätten, das seien bestimmt keine Verbrecher gewesen. Das kann sogar stimmen. Wer heute Jugendlicher ist, also sagen, wir zwischen 14 und 18 Jahren, ist zwischen 2006 und 2010 geboren. Die Großeltern sind dann wahrscheinlich Babyboomer genannte Nachkriegskinder, und auch im Falle von noch lebenden Urgroßeltern ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie noch sonderlich viel vom Krieg erzählen können, denn den hätten sie, wenn überhaupt, nur noch als Kleinkinder erlebt.

Wie, es ging gar nicht um den Krieg, Herr Krah? Mehr so um 68, Flower Power, Wackersdorf, Punk und die Frühphase der Grünen (wenn man aus Westdeutschland ist)? Okay, dann habe ich natürlich nichts gesagt. NS-Zeit und der Krieg waren ja eh kein großes Ding, wie Ihr großer Vorsitzender einst launigerweise bemerkte.

(Überhaupt ist es lustig, wenn argumentiert wird, es seien doch nur läppische zwölf Jahre gewesen, also nichts im Vergleich zu tausend Jahren deutscher Geschichte. Man erkläre mal einem Franzosen, die paar Jahre Revolution seien doch bloß ein Klacks gewesen, der nicht groß ins Gewicht fiele im Vergleich zu zweitausend Jahren. Er wird einen, sobald er mit seinem Lachanfall fertig wäre, wohl für verrückt erklären und den ganz besonderen Humor der Deutschen rühmen.)

Also: Wenn man Mitglied der Grünen und damit an allem schuld ist, hat man die Öffentlichkeit gefälligst vollumfänglich über eine eventuelle NS-Vergangenheit seiner Familie zu informieren und Rechenschaft abzulegen. Ist man hingegen wahrer Patriot, also stolz auf den Zufall seiner Herkunft, ist man berechtigt, wenn nicht gar verpflichtet, die NS-Zeit zur Bagatelle herunterzuspielen. Habe ich das so richtig verstanden? Man kennt sich ja gar nicht mehr aus.

Spaß beiseite. In der Tat würde ich gern noch herausfinden im Leben, was Opa im Krieg gemacht hat. Mein Opa väterlicherseits. Mein Opa mütterlicherseits war da immer völlig offen. Er war ein Bauernjunge aus Oberbayern, zwölftes von dreizehn Kindern mit minimaler Schulbildung und vorgezeichnetem Lebenslauf. Dass er Gebirgsjäger wurde und damit Elitesoldat, hat ihm damals die große Welt eröffnet und er dachte immer gern daran zurück. Das konnte ich sogar verstehen.

Er erzählte viel und gern. Von Frankreich, von Italien, von Kreta und dass die 'Tommies' im persönlichen Kontakt echt in Ordnung gewesen seien. Mit einem, mit dem er mal in einem Schützenloch lag, hätte er sogar die Adresse getauscht, den Zettel aber verloren. Was er schade fand, denn er hätte ihn gern noch einmal getroffen. Ob das stimmt? Keine Ahnung. Er erzählte auch von den komplett selbstmörderischen Aktionen der Waffen-SS, über die altgediente Veteranen wie er nur den Kopf schüttelten. Andererseits war er froh, dass er wegen einer Verwundung nicht an die Ostfront musste. Keiner von seinen Kameraden, sagte er, wollte ab einem gewissen Punkt in den Osten, denn da wütete der Tod, das sei allen bewusst gewesen. Irgendwo lag auch sein Eisernes Kreuz herum.

Die Gegend, aus der er stammte, war ziemlich gründlich durchgehitlert. Ganz in der Nähe seines Geburtsortes lag der Flughafen Reichenhall-Berchtesgaden, von wo aus der Gröfaz immer per Autokolonne zum Obersalzberg kutschiert wurde. Auch des Führers Testpilotin Hanna Reitsch soll dort oft verkehrt sein. Noch lange schwärmten Einheimische, wie nett und bodenständig die Frau doch gewesen sei. Dass der Obersalzberg bald nach dem Krieg zur Touristenattraktion wurde, was etliche wohlhabend gemacht hat, wird zur ungebrochenen Beliebtheit der NS-Größen beigetragen haben.

Habe ich ihn jemals gefragt, ob er was von der Shoah mitbekommen hat? Nein. In dem Alter, in dem mich das wirklich interessierte, hätte ich ihn vermutlich im Furor des frisch gebackenen Geschichtsstudenten bedrängt. Ich kannte diesen Opa aber gut genug, um zu wissen, dass ich wohl keine oder allenfalls ausweichende Antworten bekommen hätte. Bald darauf starb er. Vielleicht hätte ich später, so mit 30plus, einen anderen Zugang bekommen können. Aber dazu kam es eben nicht mehr.

Mein anderer Opa? Keine Ahnung. Als Großvater war der Mann ein Volltreffer. Konnte mir keinen besseren wünschen. Kümmerte sich liebevoll. Unzählige Male passten Oma und Opa auf mich auf, wenn die Eltern verhindert waren oder mal eine Pause brauchten. Verwöhnten mich. Opa platzte vor Stolz, dass ich, sein erster Enkel, aufs Gymnasium ging. Baute phantastische Drachen und war überhaupt der geduldigste Mensch, den man sich denken konnte. Nie hätte er, der seine Söhne, darunter meinen Vater, täglich übelst verdroschen hatte, auch nur die Hand erhoben gegen mich. Nachträgliche Wiedergutmachung? Möglich. Aber was er im Krieg gemacht hat, darüber herrschte immer eisernes Schweigen. Oma hat immer viel erzählt. Von Fliegeralarmen, Bombennächten und dem Hunger. Sie redete sich da wohl auch einiges von der Seele. Sprach ich aber Opa auf den Krieg an, verstummte er sofort und schwieg.

Ein paar Fetzen kursierten. Die SS habe ihn einziehen wollen, aber er soll sich mit Händen und Füßen gewehrt haben dagegen. Dann hieß es, er sei kurz in Polen gewesen, sei aber bald krank zurück gekommen, weil er so schlimme Dinge gesehen habe. Das war es. Alle weiteren Fragen, erzählte mein Vater mal, seien rigoros abgebügelt worden. Denn so ab 1968 wurden auch er und seine Brüder neugierig. Ich habe das alles erst im Nachhinein erfahren, denn dieser Opa starb schon, als ich 15 war. Die letzte, die noch etwas sagen konnte, war meine Großtante, die 2004 verstorben ist. Doch die wusste auch nicht mehr. Oder sie wusste genug, um zu wissen, dass sie nicht mehr wissen wollte, wer weiß.

Interessant wurde es, als ich Ende der Neunziger Daniel Jonah Goldhagens Buch 'Hitlers willige Vollstrecker' las. Dort ist unter anderem die Rede von den Polizeibataillonen. Das waren Einheiten aus (noch) wehrpflichtigen Männern, die für die reguläre Wehrmacht bzw. SS zu alt oder körperlich nicht mehr voll tauglich waren oder einer Einberufung entgehen wollten. Sie sollten eigentlich Sicherungsaufgaben hinter der Front übernehmen, waren aber bald auch in die Verfolgung und Ermordung von Juden involviert. Schätzungen zufolge fielen den Polizeibataillonen ungefähr eine halbe Million Menschen zum Opfer.

Goldhagen erwähnt unter anderem das Polizeibataillon 316, das in meiner Heimatstadt aufgestellt wurde. Und da kamen Fragen hoch bei mir: Könnte es sein, dass mein Opa vom Profil her genau dort hinein gepasst hätte? Mein wunderbarer Opa, bei dem ich als Kind auf dem Schoß saß, der sich mit Hingabe um seinen Wellensittich kümmerte, und den ich für außerstande hielt, auch nur einer Fliege was zuleide zu tun, ein Verbrecher? Ein Mörder? Nicht ausgeschlossen. Dazu würde das wenige passen, das zu erfahren war: Dass er nicht bei der Wehrmacht war, die SS meiden wollte und womöglich wirklich traumatisiert aus dem Osten wiedergekommen war. Und dass er nie auch nur ein Sterbenswörtchen erzählte. Wie gesagt, ich will das noch herausfinden.

Warum ich das alles erzähle? Weil mal eben rauskriegen, was Oma und Opa früher Tolles gemacht haben, mitunter nicht so easy und einfach ist, wie es sich anhört. Eines jedenfalls weiß ich über beide Opas: Im Widerstand waren sie wohl nicht.









15 Kommentare :

  1. tendenziell irgendwas23. Juni 2024 um 13:51

    Ich halte Robert Habeck für einen gar nicht so üblen Kinderbuchautor und für einen immerhin durchschnittlich begabten Politiker. Das Schleudertrauma wegen dieser albernen Urgroßvater-Story kann ich nachvollziehen, mir ging's ähnlich.
    Abgesehen davon: Danke für diesen schönen Text!

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  2. Diese Fragen, Stefan, die niemand mehr beantworten kann, beschäftigten mich auch immer. Zunehmend erscheinen sie mir aber nicht mehr so wichtig, ja, viele Wahrheiten will ich auch nicht mehr wissen und ich lebe besser mit den Halbgewissheiten. Zumindest laufe ich damit nicht in die Gefahr, mit Interpretationen eine Zeit und ein handeln zu bewerten, die ich nie gekannt habe und außerhalb meiner Vorstellungskraft liegt.
    Mal angenommen, dein Opa wäre tatsächlich mit der 316. im Osten gewesen. Was machst du dann damit?

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    1. Das würde mich nicht aus den Socken hauen, dafür habe ich inzwischen genug Distanz. Ich würde das eher so als Teil von Familienforschung sehen. Zumal solche Traumata durchaus noch über Generationen nachwirken können...

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    2. Ja, da stimme ich absolut mit dir überein. Diesen Aspekt hatte ich nicht mehr auf dem Schirm.

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  3. Danke für diesen Text, ja, nicht nur als Kind, auch als Enkel fragt es sich manchmal lieber nicht oder nicht zu Lebzeiten. Bei der Durchsicht des Nachlasses samt vorher unbekannter Fotos im Braunhemd 1938 kommen dann neue Fragen, die sind schon beängstigender und warten aufs Antwortfinden.

    Beim Bundesarchiv kann man übrigens gegen geringe Gebühr eine erste Info erhalten.

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  4. DasKleineTeilchen26. Juni 2024 um 20:30

    braune familie, ganz klar; oma hat nie drüber geredet, bis ich ihrs mit 30 in mehreren durchgängen auf der nase ziehen musste, während meine mutter sich hauptsächlich in blissful ignorance und bagatellisierung geübt hat. oppa esoteriker, homöopath und apotheker, inna partei und nazi bis zum schluss (´45 ins grass gebissen). grossonkel hohes tier in dachau (ma keine details, ich mag meine gefühlte "anonymität" im netz), oppa väterlicherseits einer der letzten privatsekretäre im führerbonker, thank you very much.

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    1. Uhhh, sieht nach Härtefall aus - herzlichen Glückwunsch...

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    2. DasKleineTeilchen27. Juni 2024 um 19:11

      funzt das kontakt-formular oben? wär dann ne nich wirklich genutzte mailadresse, aber spasseshalber könnte ich dir die wikipedia-adressen (yep) von grossonkel und anderm opa ins message-feld reinpasten, wenn interesse deinerseits besteht.

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    3. Nee, das klappt irnxwie nicht. Ausnahmsweise über Impressum.

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    4. DasKleineTeilchen27. Juni 2024 um 22:03

      interesse ist also? wärs dann ok die über trash-mail zu schicken?

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    5. DasKleineTeilchen29. Juni 2024 um 21:46

      hast post von dkt, betreff sollte selbsterklärend sein.

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    6. Bedaure, hier ist irgendwie nix angekommen.

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    7. DasKleineTeilchen30. Juni 2024 um 20:57

      hm. habs nochma über opentrashdotcom geschickt. spamordna?

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    8. Leider nichts. Spamordner habe ich gecheckt. Vllt. ein interner Spamfilter bei meinem Provider? Habe ich früher bei web.de mal erlebt.

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