Donnerstag, 19. Dezember 2024

Gesundheit!


"Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten" (Bertolt Brecht)

Nein, es ist nicht zu rechtfertigen, einen Menschen vorsätzlich und in voller Absicht zu töten. Und so ist es natürlich auch uneingeschränkt zu verurteilen, dass Anfang Dezember ein gewisser Luigi Mangione einen gewissen Brian Thompson, CEO von United HealthCare, einem der größten Krankenversicherer der USA, in New York auf offener Straße erschossen haben soll. Das letztere ist wohl pro forma. Die Beweislage ist erdrückend, man kann davon ausgehen, dass der Mann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sehr, sehr lange einfahren, möglicherweise sogar in der Todeszelle landen wird.

Rein statistisch gesehen, ist Thompson damit ein weiteres der vielen Tausend, die in den USA jährlich durch eine Schusswaffe ums Leben kommen. Ungewöhnlich ist allenfalls, dass es ihn überhaupt getroffen hat. Wenn irgendwo wieder ein:e verpeilte:r Halbwüchsige:r in einer US-amerikanischen Schule in der Pampa mit einer von Papas Knarren (oder der eigenen) Mitschüler:innen abknallt, dann lautet die Antwort: Thoughts and prayers. Kannste nix machen, Waffen sind unschuldig, Waffen töten niemanden. Wenn aber einer den Chef einer milliardenschweren Krankenversicherung erschießt, die ihre Milliarden zum Teil dadurch verdient, indem sie nötige lebenswichtige Behandlungen verschleppt, bis es zu spät war (kann man da noch von Versicherung reden im Sinne von 'Sicherheit'?), dann ist die Weltordnung ist in ihren Grundfesten erschüttert.

Nein, Mord geht nicht in Ordnung. Ganz und gar nicht. Thompson ist ein Mordopfer, kein 'Opfer der Verhältnisse' oder so. Aber man kann, nein man sollte sich die näheren Umstände der Tat ansehen.

"Thompsons Konzern, der im vergangenen Jahr 22 Milliarden US-Dollar Gewinn eingefahren hat, steht wegen dieser Praktiken schon länger in der Kritik von Aufsehern, Gesundheitsexperten und Patientenschützern. Vor einer Untersuchung, Operation oder sonstigen Behandlung verlangen Ärzte und Krankenhäuser in den USA üblicherweise die Zusage, dass die Kosten von der Versicherung des Patienten übernommen werden. UnitedHealth ist berüchtigt dafür, die Hürden für diese Zusagen sehr hoch anzusetzen. Für die Betroffenen bedeutet das enormen Druck. Denn im Falle einer Ablehnung bleibt meist nur, die Kosten selbst zu tragen. Schon für Routineeingriffe belaufen sich die schnell mal auf mehrere Zehntausend US-Dollar. Besonders perfide: Werden die Kosten nicht von der Versicherung übernommen, sind die Preise bedeutend höher." (Heike Buchter)

Oder, zugespitzter:

"Here's a sad statistic for you: In the United States, we have a whopping 1.4 million people employed with the job of DENYING HEALTH CARE, vs only 1 million doctors in the entire country! That’s all you need to know about America. We pay more people to deny care than to give it. [...] Yes, I condemn murder, and that’s why I condemn America's broken, vile, rapacious, bloodthirsty, unethical, immoral health care industry and I condemn every one of the CEOs who are in charge of it and I condemn every politician who takes their money and keeps this system going instead of tearing it up, ripping it apart, and throwing it all away." (Michael Moore)

Noch einmal: Was Mangione getan hat, ist zu verurteilen. Aber es gibt etwas zu lernen: Wie komplett gaga es ist und was für Folgen es schlimmstenfalls hat, wenn man ein Gesundheitssystem konsequent profitorientiert nach streng kapitalistischer Logik von Gewinnmaximierung und Kostenminimierung betreibt. Es passiert dann das, was immer passiert, wenn 'Markt regelt': Es gibt ein paar Gewinner und viele Verlierer. Mag das bei PayTV-Abonnements und Mobilfunkverträgen meinetwegen noch irgendwie angehen (aber auch da regelt der Markt im Zweifel einen großen Scheiß, zumal wir es mit künstlichen Oligopolen zu tun haben), kann das im Bereich Grundversorgung üble bis tödliche Folgen haben.

Und bei uns so? Den gut 400.000 Ärzten stehen 125.000 Mitarbeiter der gesetzlichen Krankenversicherungen gegenüber. Entsprechende Zahlen für private Krankenversicherer ließen sich nicht ermitteln, dürften aber ähnlich sein. Im Hinblick darauf sind wir also von amerikanischen Verhältnissen noch ein Stück entfernt. Nur ist das Problem an wohlfeilem Antiamerikanismus seine Vergeblichkeit. Was dort passiert, pflegt mit gewisser Verzögerung irgendwie auch zu uns zu schwappen. Eine Opioidkrise, verursacht durch gewissenlose Pharmahöker, die sich an einem Teufelszeug wie Fentanyl eine goldene Nase verdient haben, und die inzwischen viele Tausend Tote gefordert hat? Kriegen wir auch hin. Hold my beer!

Und jetzt sollen wir, wenn es nach den üblichen Verdächtigen geht, mehr Milei und Trump wagen. Gesundheit!








6 Kommentare :

  1. Vielleicht wär's ganz gut, gäbe es lediglich eine Krankenkasse für alle. Aber das wäre Sozialismus, der schlimm ist und bekanntlich noch nie funktioniert hat. Den brauchen wir auch gar nicht, denn vor dem Grundgesetz sind wir alle gleich. Vor dem Onkel Doktor vielleicht nicht so ganz, was aber nicht so schlimm ist. Jeder Patient ist anders. Da kann blinde Gleichbehandlung sogar tödliche Folgen haben.

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  2. Einigen wir uns darauf, dass ein gütiger Gott die Hand des Schützen geführt hat. Zwinkersmiley. Das perfide System wird sich natürlich nicht ändern, nicht unter Trump, nicht unter einem anderen Präsidenten.

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  3. ... jaja Milei wagen. Wohlfeiles Wortgeklingel einer vollkommen abgewirtschafteten Kleinstpartei. Ich könnte mir vorstellen, dass Herr Lindner gerade öfter mal mit Herrn Rösler telefoniert, um zu fragen "wie das denn so funktioniert" mit den Jobs in der Privatindustrie.
    Gruß Jens

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    1. Ich glaube, der Fachausdruck hieß "Anschlussverwertung", oder so...
      @Anonym: Ehrlich gesagt, bin ich unschlüssig, ob eine zentrale staatliche KV für alle besser funktionieren würde. In Frankreich scheint das ja ganz ordentlich zu klappen. Eines weiß ich aber inzwischen aus dem persönlichen Umfeld: Private KV ist keine Lösung. Mögen die Leistungen im einzelnen besser sein, ist eben vieles auch Verhandlungssache. Was da an Zeit und Nerven für Papierkram und Telefonate draufgeht, zahlt einem auch keiner. Und wenn man alt, tüddelig und verwitwet ist, braucht man jemanden, der den Kram für einen erledigt.

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    2. Es passiert dann das, was immer passiert, wenn 'Markt regelt'

      teuerste "healthcare" weltweit und trotzdem global nur auf dem 37sten platz bei genannter healthcare zb?

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  4. Ich bin auch nicht so sicher, ob eine zentrale KV für alle in Deutschland funktionieren würde. Aber wir werden das ohnehin nie erfahren, denn keine deutsche Regierungspartei wird es je wagen, das bestehende KV-System ernsthaft in Frage zu stellen. Und der deutsche Michel hats ja eh nicht so sehr mit der Égalité wie der freche Franzmann, von der Fraternité ganz zu schweigen.

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