Freitag, 29. Juli 2016

Belastete Wörter


Es kommt mit zunehmendem Alter seltener vor, doch manchmal passiert's immer noch. Dass irgendwo ein humortechnisch belastetes Wort fällt, das Gehirn auf pubertären Autopilot schaltet und der Rest des Tages in Gekicher und Gepruste untergeht. Früher zum Beispiel, Anfang der Neunziger, wir waren nicht mehr in der Pubertät, aber immer noch pubertär genug, da konnte es passieren, dass jemand sich ein Buch griff, es mit bedeutungsschwangerer Miene aufschlug und dann mit gravitätisch-schwermütigem Timbre und entsprechenden Blickes sagte: "Melusine." Das genügte, um die damals noch frische Erinnerung an Loriots maximal geniale Parodie auf eine Dichterlesung zu evozieren und es war vorbei. Hiiicks! Pruuust!

Besonders gut kam eine solche Aktion übrigens immer in der Öffentlichkeit, etwa in einer Buchhandlung. Aufgeplusterten, pathetischen Trailern für minderwertige Filme lässt sich übrigens noch heute sehr schön mit der reißerisch vorgetragenen Ansage: "Samuel L. Bronkowitz präsentiert..." die Luft herauslassen. Probieren Sie's bei entsprechender Gelegenheit aus und Sie wissen, wo Gleichgesinnte sind.

Im Moment ist es ja Mode, dass Menschen mit ihren smarten mobilen Endgeräten durch die Gegend stromern wie nicht gescheit und dabei angeblich irgendwelche Monster einfangen, die auf den Monitoren dieser Geräte zu sehen sind. Gut, ich mache da nicht mit, kann das aber nicht rundheraus schlecht finden, begibt sich doch die angeblich permanent nur stubenhockende Jugend deswegen auch mal halbwegs freiwillig an die frische Luft. Die Jagerei scheint auch sonst ihre positiven Seiten zu haben.

Mein Problem ist der Name. Das Phänomen dieser digitalen Monstertierchen ist ja schon älter. So alt, dass ich es schon aus Studienzeiten kenne. Seinerzeit jobbte ich nebenbei ein paar Stunden die Woche als Ausstellungsaufsicht auf der Zeche Zollverein in Essen. Eines Vormittags, es war ein recht warmer Frühsommersonntag, war es meine Aufgabe, zusammen mit einem Kollegen auf einem Teil des Außengeländes nach dem Rechten zu sehen. Dieser Kollege war mir bis dahin vor allem durch seine Wortkargheit aufgefallen. So redeten wir nicht viel. Machte aber nichts, weil ich eh noch ein wenig verkatert war.

Irgendwann fiel uns ein älteres Ehepaar auf. Sie war so unauffällig, dass ich kein Bild mehr vor Augen habe. Er hingegen war, na ja, sagen wir es offen heraus, schon ganz schön proper. Man könnte auch sagen, er schleppte unter einiger Anstrengung einen Ranzen vor sich her, der in die Kategorie schattenspendend fiel, verwandelte er doch jedes im Handel erhältliche Oberhemd zuverlässig in eine Markise. Wir schauten uns das eine Zeitlang wortlos an, viel los war sonst nicht. Irgendwann durchbrach der schweigsame Kollege die Stille, indem er ohne eine Miene zu verziehen, meinte: "Guck mal da drüben. (künstlerische Pause.) Pockemon."

Atheismusdiskussionen mal beiseite, fand ich immer, dass meine halbwegs unbehelligt überstandene Messdienerzeit defintiv auch ihre Vorteile hatte. Man lernt zum Beispiel von klein auf, sich in gewissen Situationen absolut nichts anmerken zu lassen und vor allem, auf gar keinen Fall zu lachen. Egal, ob der Pfarrer den Text vergisst oder einen fahren lässt, ob irgendwas umkippt, der Klassentrottel fast den Tempel vollgöbelt, weil er den Weihrauch nicht verträgt oder der Nebenmann alles daran setzt, einen mit blöden Sprüchen um die Contenance zu bringen - man hatte es irgendwann raus, mit andächtiger Miene stoisch dazustehen, als ob nichts geschehen sei. Schafft sonst nur Zen.

Was soll ich sagen? Jener Sonntag auf der Zeche war einer dieser Anlässe, an denen ich profitierte davon, und zwar heftigst. Vor allem, als Ich bin zwei Öltanks auch noch angeschnauft kam und sich höchst freundlich nach etwas erkundigte.

Momentan jedenfalls profitierte ich wieder. Weil dauernd albern kichern müssen ist auch doof. Aber schön, dass man's zuweilen noch kann.




6 Kommentare :

  1. "Ich bin zwei Öltanks" daß den Spruch noch jemand kennt. Danke dafür!

    Grüße
    Michali
    p.s.: die Ministrantenzeit ist treffend beschrieben.

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  2. Pockemon mit ck. Die Schreibweise hat was.

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  3. Antworten
    1. Um mal einen kicherinduzierenden Spruch meines Dunstkreises zu bringen...

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    2. Hmmm, von Badesalz kursierte damals bei uns eher: "Wenn im Sommer de Freibeder uffmache, muss des alles ausdefinierd sein."

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