Also Olympia. Natürlich kann man eine
Menge Kritisches über die Olympischen Spiele sagen und sich abwenden mit den Worten: "Guck' ich nicht!" Gern wird beklagt, dass der Geist des
Gründers, Pierre de Coubertin, längst verflogen ist und einer
ungehemmten Kommerzialisierung Platz gemacht hat. Das kann man, wie
gesagt beklagen, aber man sollte es sich gut überlegen. Denn die
Spiele sind ursprünglich aus dem Gedanken entstanden, die Jugend der Welt für den
imperialistischen Überlebenskampf zu stählen. Dann doch lieber
Kommerz. Man kann sich auch anders seinen Spaß machen: Zum Beispiel
kann man mitzählen, welche zusätzlichen Disziplinen diesmal von
Chinesen geentert werden und hochrechnen, wie viele Olympiaden es
noch dauern wird, bis bei ausnahmslos allen Siegerehrungen drei rote
Fahnen mit gelben Sternen gehisst werden und alle anderen
teilnehmenden Nationen das ganze aus Frust boykottieren.
Ferner kann man genervt sein vom patzigen
Medailleneinfordern der Medien, von der "Versager!"-Propaganda
vornehmlich der Springerpresse, wenn die deutschen Jungs und
Mädels nicht so recht liefern wollen. Oder man kann das als das
nationalistische, kleingeistige Gehabe ignorieren, das es ist. Auch
Dopingroulette kann ein schöner Zeitvertreib sein während der drei
Wochen währenden medialen Dauerberieselung. Welche laufende,
rollende oder schwimmende Apotheke auf zwei Beinen erwischt es
diesmal? Welcher Reporter empört sich am dollsten darüber? Die
jüngsten Enthüllungen der amerikanischen Fußballtorhüterin Hope
Solo über das doch recht fröhliche Treiben im Olympischen Dorf
verleihen jedenfalls dem feierlichen Bohei der Funktionäre eine
pikante Note.
Eröffnungsfeiern von Olympischen
Spielen können sterbenslangweilige Veranstaltungen sein. Es sei
denn, man mag quasireligiöses Brimborium und ist gern stolz darauf,
dass der Fackellauf und die von Richard Strauss komponierte Fanfare
1936 Weltpremiere hatten. Der Einmarsch der Athleten mag für die
Beteiligten ein tolles Erlebnis sein, für Zuschauer gerät das
leicht zur argen Geduldsprobe. Also habe ich das auch dieses Mal
nicht angeschaut und hatte Besseres zu tun. Dieses eine Mal aber scheine
ich etwas verpasst zu haben. Den Ausschnitten zufolge hat Regisseur
Danny Boyle (Trainspotting, 28 Days Later, Slumdog
Millionaire), der mit der Inszenierung beauftragt war, sich
einige schlaue Gedanken gemacht. Dass der Mann Humor hat, ist
bekannt. Wie er es aber geschafft hat, auch direkte politische
Seitenhiebe unterzubringen, bleibt sein Geheimnis.
Der britische Humor ist berühmt-berüchtigt
und gilt gemeinhin als ätzend und sarkastisch. Das mag stimmen, aber
das ist er nicht allein. Britischer Humor dient vor allem der
Pathosvermeidung und beinhaltet eine Menge Selbstironie. Immer, wenn
es ganz heilig und erhaben wird, kann man davon ausgehen, dass
irgendwo jemand einen Witz reißt und den furchtbar Ergriffenen in
die Suppe spuckt. So war es möglich, dass bei der Eröffnungsfeier
der Olympischen Spiele kurz die Sex Pistols auftauchen, die
1976 zum silbernen Thronjubiläum Queen auf facist regime reimten.
Apropos Queen: Diese sehr britische
Fähigkeit zur Selbstironie ließ wohl auch die Königin zustimmen,
bei einem kurzen Einspielfilm mitzumachen, in dem sie von einem
gewissen Mr. Bond abgeholt wird. Der ist im Film nicht nur schwer
genervt von der Warterei, sondern macht auch den Eindruck, als würde
er den um seine Beine tollenden königlichen Corgis am liebsten einen
kräftigen Tritt verpassen. Unterwürfigkeit sieht anders aus. Auch
der Premierminister bekam indirekt sein Fett ab. Denn David Cameron
ist gerade dabei, unter anderem die nationale Gesundheitsversorgung
NHS (National Health Service) kaputtzukürzen. Ihm rieb Boyle bei der
Feier eben jenen NHS als eine der wichtigsten zivilisatorischen
Errungenschaften des 20 Jahrhunderts unter die Nase.
Erfrischend, dass Boyle offensichtlich
klar gewesen ist, dass so eine Veranstaltung schnell die Zähigkeit
einer nordkoreanischer Jubelveranstaltungen annimmt, wenn alles nur
strahlend schön und eiapopeia ist. Und deswegen muss unbedingt eine
Prise Salz in den Kuchen. Wie schafft man es, in einer olympischen
Eröffnungsfeier unterzubringen, dass die Geschichte des
Gastgeberlandes nicht immer eine glänzende war, sondern durchaus
ihre Schattenseiten hatte? Boyles Schlüssel hieß Jerusalem,
eine inoffzielle Nationalhymne des Landes.
God Save The Queen ist zwar die
offizielle Hymne, ruft aber bei Gegnern der Monarchie regelmäßig
Krämpfe hervor. Rule, Britannia! ist vor allem in
Royal-Navy-affinen Kreisen beliebt und erinnert, wie Land Of Hope And Glory, einseitig an vergangene, koloniale Herrlichkeit.
Jerusalem aber, die Vertonung des Gedichtes And did those feet in ancient time von William Blake, mögen alle,
von Sozialisten und Frauenrechtlerinnen bis hin zu strammsten
Tory-Parteigängern. Es mag ein Rätsel sein warum dieses Lied von
fast allen so inbrünstig mitgesungen wird, obwohl es von stark
religiösem Inhalt ist (Blake glaubte wohl an die Legende, dass Jesus
Christus mal in Glastonbury war).
Weil es die Schattenseiten des Lebens
und des Landes nicht ausklammert. Weil nicht nur vom "green and
pleasant land" die Rede ist, sondern auch vom Elend der "dark satanic
mills" der Industrialisierung. Und weil es darum geht, in schlimmen
Zeiten einen geraden Rücken zu behalten. 1916 von Hubert Parry
während des ersten Weltkrieges vertont, als die Wehrpflicht wieder
eingeführt und eine ganze Generation junger Männer in das
Schlachthaus der Front gejagt wurde, geriet es schnell zum Ausdruck
britischen Durchhaltewillens und der Selbstvergewisserung. Übrigens
ist im Text ist vom "Chariot of Fire" die Rede. Chariots Of Fire
ist der Titel des Films, zu dem Vangelis die bekannte Musik lieferte,
die in London vor jeder Siegerehrung gespielt wird. Schlau gedacht,
muss ich sagen.
Noch etwas verleiht Olympischen
Spielen einen gewissen Reiz: Die so genannten Randsportarten. Wann werden sonst zum
Beispiel Schießwettbewerbe live zur besten Sendezeit übertragen? Ich bin alles andere als ein Waffenfanatiker und mir käme im Leben kein Schießeisen ins Haus. Doch
gibt es kaum eine schönere Antithese zum
Höherschnellerweitermehrleistung!, zum Imperativ der perfekt
gestählten Körper als Wurftaubenschießen. Dort stehen teils recht
wamperte Gestalten, größtenteils noch wirkliche Amateure, in der
Gegend herum und piffpaffen höchst entschleunigt mit antik
aussehenden Schrotflinten auf Keramikobjekte. Oder Bogenschießen.
Wer schon einmal versucht hat, mit so einem Gerät eine Scheibe auf
zehn Meter auch nur annähernd zu treffen, weiß, dass das kein Sport
für hyperaktive Zappelphillips und übermotivierte
Leistungsfanatiker ist, sondern eine Übung in Ausgeglichenheit und
innerer Ruhe. Wann kriegt man das sonst zu sehen?
Hm, das mit dem ursprünglichen Geist (oder Zweck) der modernen olympischen Spiele ist so eine Sache. Klar ist Kommerz dem Stählen der Jugend für den imperialistischen Überlebenskampf vorzuziehen. Zumal der letztere nicht im Turmspringen, Kunstturnen oder Tanzen ausgetragen werden dürfte. Naja, Speer- und Hammerwerfen könnten da nützlich sein. Immerhin versinkt Deutschland nicht wieder in einem Meer aus schwarzrotgoldenen Fähnchen und Bierdosen wie bei der EM...
AntwortenLöschenHihi, - Klasse.
AntwortenLöschenAlso ich, - mag besonders gerne Symboliken, - wenn sie
schief gehen. Das hat sowas ..... :-))