Die frühe Morgenstunde, so ab sieben,
ist im Freibad die Zeit der rüstigen Rentner. Die ziehen dort,
unabhängig vom Wetter und immer in der gleichen Besetzung, Morgen
für Morgen auf der gleichen Bahn ihr Pensum herunter. Käme Mitte
August ein arktischer Kälteeinbruch, der Treibeis brächte, es
störte sie nicht weiter. Und Gott möge dem Eindringling gnädig sein, der es wagt,
einfach so eine der Bahnen zu okkupieren, die seit Jahren fest
vergeben sind. Der seit Jahrtausenden bewährten Rammtaktik sei Dank, wird er bald seinen letzten Armzug getan haben.
Normalerweise ist das alles aber kein Problem für einen ausgemachten
Langschläfer, weil einfach zu früh. Außerdem verdient so viel
Selbstdisziplin und Zähigkeit, aller Schrulligkeit zum Trotze,
unbedingt Respekt.
Der Samstagnachmittag dagegen ist im Freibad die Zeit der Macher und Entscheider, die
sich mit allen Mitteln moderner Technik fit halten. Denn nur am
Samstagnachmittag haben sie Zeit zum Sport machen, klagen sie. Unter
der Woche arbeiten sie ja bis spät abends und sonntags ist Quality
Time mit der Family angesagt. Solche Leute gehen übrigens
niemals einfach schwimmen, um Gottes Willen! Sie bereiten sich
- ganz wichtig jetzt - grundsätzlich immer auf ihren nächsten Triathlon vor. Deshalb
wursten sie sich auch bei angenehmen Temperaturen quiepschend und
ächzend in hautenge Neoprenanzüge. Weil das ziemlich aufwändig
ist, dauert das seine Zeit und sie haben reichlich Gelegenheit zum
quatschen. Pardon: zum wichtigmachen. Woher ich das alles weiß?
Weil solche Leute jenen Tick zu laut zu reden pflegen, der die Umwelt gebührend an ihren Heldentaten teilhaben lässt.
An einem bewölkten Samstagnachmittag
im Frühsommer war es wieder so weit. In meinem Stammfreibad gibt es
direkt neben den Umkleiden eine geräumige Wärmehalle mit direktem
Anschluss ans Sportbecken. Dort kann man seine Sachen auf Bänken
deponieren und muss sich nicht um eventuellen Regen sorgen. Ich hatte
einen entfernt bekannten Mitschwimmer getroffen, der genau wie ich
versucht, das Übergewicht im Zaum und den frühen Herztod einigermaßen auf Distanz
zu halten. Er war gerade mit seiner Runde durch und wir unterhielten
uns noch ein wenig.
Da kamen sie herein. Nein, sie traten auf, das Haus zu rocken: Ein flotter Dreier, bestehend aus zwei gegelten,
breitbeinig latschenden Mittdreißigern und einer kichernden
Mittzwanzigerin, die einer am Händchen hinter sich herzog. Es war
ihnen anzusehen, dass ihnen weder das Stahlbad der Fitnessstudios noch der
Glutofen der Sonnenbänke fremd war. Ihre mit teuren Labels
gesprenkelten Klamotten schrien: Wir können uns was leisten und
das zeigen wir auch gern! Sie schleppten gewaltige Taschen herum und
ihre Ausrüstung hätte ein Olympia-Leistungszentrum neidisch
gemacht: Flossen, Paddles, eine Zugboje, digitale Pulsmesser und die unverzichtbaren
Ganzkörperkondome. Eigentlich ist es ziemlich unreif, von dem, was
Leute sich so anziehen, auf ihren Charakter zu schließen. Es war nur
so, dass bei den dreien die ganze Erscheinung zu dem Geblähe, das
ihnen aus den Futterluken quoll, passte wie Arsch auf Eimer.
In einer Tour quasselten sie von
den Touren, die sie demnächst zu biken gedachten, den Fabrikaten ihrer Bikes und den
Übersetzungen, die sie benutzten. Derweil fand die
Begleiterin des einen Movers and Shakers Umkleidekabinen
offenbar voll spießig und zog blank. Das tat sie nicht etwa
möglichst schnell und diskret, sondern schön ausgiebig und langsam, wobei
sie noch, im Evaskostüm vom einen zum anderen stolzierend, das eine oder andere
Schwätzchen hielt. Es mag eine Unterstellung sein, aber es kam mir
vor, als wollte sie sagen: Sieh her, Welt, ich kann mir das erlauben.
Ich bin nicht nur sportlich, achte auf meine Ernährung und kann mich
sehr wohl zeigen - nein, ich habe auch ein total umverkrampftes
Körpergefühl. Außerdem bin ich frisch rasiert.
Nun bin ich weder ein Spanner noch über
die Maßen verklemmt, im Gegenteil. Mit gemischten Saunen hatte ich
weder in der einen noch in der anderen Hinsicht jemals ein Problem.
Da gehört Nackigsein dazu und fertig. Ich kann auch nicht behaupten,
dass die Dame kein angenehmer Anblick gewesen wäre. Nur waren wir im
Freibad und da ist so was eben nicht üblich. Es fiel genauso schwer,
das exhibitionistische Getue der Lady zu ignorieren, wie den
Sprechdurchfall der beiden smarten Leistungsträger. War das alles
wirklich Show oder einfach nur schmerzfrei? Wohl beides. Als ich mich, mit schnöder Badehose
und Brille angetan, ins Wasser begab, hörte ich von einem der beiden
Ironmen noch: "So, dann wollen wir mal. Tausend Meter, harr harr!".
Normalerweise bin ich kein Wettkampftyp
und schwimme ohne besonderen sportlichen Ehrgeiz. Ich kraule, weil
ich das am besten kann und versuche, zur reinen Orientrierung, unter
der Zeitvorgabe des silbernen Schwimmabzeichens zu bleiben. Jetzt
aber dachte ich: Aha, tausend Meter, genau das habe ich auch vor. Mal sehen, wie lange ich da mithalten kann. Nach den
ersten zwei, drei Bahnen wurde klar, dass es mit meiner Demütigung
nichts werden würde und ich mehr als nur mithalten konnte. Die
drei hatten nämlich für das, was sie da versuchten, keinerlei
Talent. Es fehlte ihnen nicht nur an Körperspannung und Technik,
sondern zu meiner Überraschung auch an Kondition.
Am Ende war ich etliche Minuten
schneller gewesen. Als ich schon vom Duschen kam, da entstiegen die
Neoprenwürste gerade hüftsteif und japsend dem nassen Element. Kaum waren
sie wieder zu Atem gekommen, da schwallten sie schon wieder sich und
alle anderen damit voll, was an Zylindern, PS und Ausstattung der Firmenwagen haben würde, den sie erst gestern bestellt hätten. Sollte ich ihnen
einen Tipp geben, wann der nächste Schwimmkurs anfing? Nein,
Triumphe wollen still genossen sein. Außerdem hätten die so feine
Ironie vermutlich nicht verstanden. Statt dessen dachte ich im
Rausgehen: Redet ihr mal schön, ich kenne jetzt euer kleines
Geheimnis. Und grinste mir eins.
Ha, das kenne ich aus der Zeit, als ich meinen täglichen Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad zurücklegte. Mit meinem damals 70 DM-Dreigang-Secondhandrad bin ich auf der Steigung der Amrumer Brücke regelmäßig an 2000 DM-21 Gang-Karbonrahmenrädern mit durchgestylten Isostar-Trinkern vorbei gezogen... Aber niemals sind mit nackte Schönheiten begegnet. Vielleicht sollte ich doch mal Schwimmen gehen... ;)
AntwortenLöschenDen Spaß habe ich mir damals mit meinem holländischen Zweiradpanzer auch gern gemacht. Gern auch bei Fünfzehnjährigen, die stolzgeschwellt auf ihren Mofas rumknatterten.
AntwortenLöschenWas Striptease-Einlagen angeht, würde ich mir nicht allzu große Hoffnungen machen. Das Episödchen ist zwar - ich schwör's - genau so passiert, aber leider erst einmal und seitdem auch nicht wieder. Aber schwimmen gehen ist generell eine gute Idee. :-)
Hallo Herr Rose
AntwortenLöschenFein *von einem Ohr bis zum anderen grinsend*, das gefällt mir so richtig gut. Bewundere Ihren Langmut (und ihre Kondition natürlich auch ;-)). Meiner einer vermag kaum noch solchen Aufführungen zuzusehen und jede meine Gedanken verratende Geste zu unterdrücken. Was nur dazu führen würde - so meine Erfahrung - dass man noch zuzulegen bereit ist, erschreckenderweise stets noch zulegen kann, um mich von der Echtheit des Stückes doch noch zu überzeugen. Nicht wirklich mich (Individuen sind generell in diesem "Lebens"plan nicht von Belang), sondern eher, als könne meine Reaktion bei den restlichen Zuschauern berechtigte Zweifel erwecken (man sie sicherlich auch ohne mich hat), die sich in gefürchteten Gesten fortpflanzen könnten und das gelte es zu verhindern.
Ihr Essay hat wirklich philosophischen Charakter, finde ich. Spiegelt den der Gesellschaft und durch die Gesellschaft vorgegebenen Lebens"inhalt" wider. Etwas wonach einzig zu streben man erlernte und - wie Sie m.E. völlig richtig bemerkten, auf das (leere) Selbst wirkt, sich verinnerlicht (vermutlich wirklich derart, dass nichts anderes mehr vorhanden ist). Unübersehbar, auch wenn man sich noch so dagegen verwehrt, ins Innere blicken zu wollen, da derart zur Schau gestellt.
Doch ist das Ergebnis so leer ... so hohl... dass vermutlich nicht einmal mehr die Darbietung des schönen, jungen weiblichen Körpers - dessen Vorführung sicherlich unbewusst dazu gedacht ward - diese Lücke zu füllen vermag.
Bin weiblich, demzufolge fällt mir die Empathie auf diesem Gebiet schwerer (möglich, ein langer Entzug könnte die Parameter verändern *grins*), doch ich gehe fast davon aus, so hatte es zwar optische Schönheit, doch das Verlangen dürfte sich anlehnen an die Lust in den Apfel zu beißen, welchen die Stiefmutter Schneewittchen aufzuzwingen vermochte ;-).
Mich wundert auch nicht, dass die "Truppe" mit einem die Angelegenheit doch ernst nehmenden Schwimmer nicht mithalten konnte. Denn nicht der Inhalt der Handlungen (weder beruflich, noch privat) steht im Vordergrund, sondern deren reine Inszenierung. Allein nur das Geschwätz scheint einzig wichtig zu sein.
Und zum Abschluss, denke ebenso, ein "Hinweis" hätte es nicht gebracht, Ihnen gar das Aroma verfälscht ;-). Denn jene bespielen das Leben wie ein Drehbuch, da nutzt es wenig, mit dem tatsächlichen Leben korrigierend eingreifen zu wollen. Davon verstehen die «Hooligans der Rollen und Posen» nichts ;-).
Lieben Gruß
Rosi