Sonntag, 19. Januar 2014

Gedanken zu einem überbewerteten Kraut


Glaubt man Fallbeispielen, wie sie früher immer in Drogenaufklärungs-Traktätchen oder in alten Politik- oder Sowi-Schulbüchern zu lesen waren, dann ist der eine, leichtfertige Zug an der Haschischzigarette auf der Party das Tor zur Hölle. Wer da nicht standhaft nein sage, der verfiele ratzfatz auch Sister Morphine und hinge hastdunichtgesehen an der Nadel, so wurde gedroht. Wer einmal neugierig am hingehaltenen Joint nuckele, der würde bald schon gezwungen sein, bei rapide fortschreitendem körperlichem Verfall seine Brötchen mit dem Ausrauben alter Damen oder dem Verhökern geklauter Autoradios zu verdienen, hieß es. Oder gar damit, gewisse Teile seines Körpers in übel beleumundeten Gegenden feilzubieten, bevor ihm lang vor der Zeit Freund Hein auf einer Bahnhofstoilette die Eieruhr um die Ohren hauen würde.

Silvester war es so weit. Ich riskierte, den direkten Weg in den Abgrund einzuschlagen, hatte beinahe schon mein Todesurteil unterschrieben. Ich nahm nämlich zwei Züge von einer Tüte, die freundliche Menschen kreisen ließen. Die Wirkung war absolut gleich null. Keine Ahnung, warum. Vielleicht war's zu wenig. Vielleicht war ich schon zu alkoholisiert. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich mich bislang konsequent geweigert habe, irgendein unnötiges Bohei um das Zeug zu machen.

Man soll, wie letztens bereits gesagt, seinen eigenen Horizont nicht verabsolutieren, aber mir sind diese ganzen Horrorszenarien immer arg dick aufgetragen vorgekommen. Vielleicht bin ich ein kompletter Ignorant, aber meine eigenen, eher spärlichen Erfahrungen mit dem Zeug waren bis auf eine alles andere als spektakulär. Hier und da kreiste auf Partys mal ein Tütchen oder eine Bong. Gern genommen. Angenehmes Kribbeln, leicht bedüselt, ein paar fingen an, hysterisch zu giggeln oder bekamen eine Heißhungerattacke, ich nicht. Dafür habe ich hinterher wirklich gut und erholsam geschlafen. Dann war da noch dieser Spacecake, der wohl überdosiert war und vermutlich auch mit unguten Beimischungen versehen. Der knockte mich für den Rest der Veranstaltung komplett aus und hat mir auch noch den nächsten Tag versaut. Nicht schön, das. Meine Sehnsucht, das wieder zu erleben, habe ich hervorragend im Griff.

Überhaupt sollte man den Faktor Autosuggestion nie unterschätzen. Als Jugendliche haben wir uns einmal aus einer Plastik-Colaflasche eine Art provisorischer Wasserpfeife gebaut, eine normale Selbstgedrehte reingesteckt und schwerst so getan, als sei da noch anderes als Tabak drin. Der kollektive Lachanfall, der uns bald überkam, übertraf alles, was ich bei mir selbst und anderen jemals erlebt habe, wenn wirklich Cannabis im Spiel war. Dann gab es da mal eine Geschichte, dass ein Freund, dem die permanente Kifferei seines damals minderjährigen Cousins so auf den Zeiger ging, dass er ihm getrockneten, THC-freien Zierhanf unterjubelte. Zu unserem großen Erstaunen wurden wir Zeugen, wie der gute Junge sich mit dem völlig unwirksamen Knaster binnen Kürzestem ins Glücksbärchiland qualmte. Sage noch einer, Homöopathie wirke nicht.

Ich will nichts unnötig verharmlosen. Möglich, dass regelmäßiges Zudröhnen auf Dauer tatsächlich doof macht und träge. Sicher können auch einige wirklich nicht damit umgehen und entwickeln ein echtes Suchtproblem. Das kann allerdings bei regel- und übermäßigem Alkoholkonsum genauso passieren, wobei der noch erhebliche organische Schäden mit sich bringen kann, nebst einem ungleich höheren Suchtpotenzial. Man kann jedes einzelne Risiko des Cannabiskonsums abklappern – ob tatsächlich oder heillos übertrieben –, am Ende bleibt man immer bei einer Frage hängen: Kann sein, dass das so ist und das ist nicht schön. Nur wenn das so ist, warum ist Alkohol dann mit minimalen Einschränkungen weiterhin erlaubt? Oder anders: Mit welchem Recht verbietet eine Gesellschaft Cannabis, die es gleichzeitig völlig normal findet, dass es in jedem Supermarkt scharfe Spirituosen ab zirka fünf Euro pro Flasche legal zu kaufen gibt? Was diesbezüglich abgeht, weiß ich, seit ich als Student mal eine Zeitlang an der Kasse einer Tankstelle gejobbt habe. Sagen wir so: Es haben weiß Gott nicht nur Obdachlose schon am frühen Morgen die Pulle Doppelkorn am Hals.

Überhaupt ist Droge nicht gleich Droge. Kokain zum Beispiel. Im Gegensatz zu Gras, das im Verdacht steht, tagträumerischer Schlaffheit Vorschub zu leisten, ist Koks viel zu nützlich, um es in ähnlicher Weise zu kriminalisieren. Denn Nasenata ist der Durchlauferhitzer für eine Hochgeschwindigkeits-Arbeitswelt, in der Leistungsträger nach einer 80-Stunden-Woche voller Dicketun, Kriecherei und Ausbeutung auch noch das gesamte Wochenende in irgendwelchen Clubs durchfeiern, um nur ja nichts zu verpassen. Zudem steigert das meist diskret auf dem Lokus reingeschnorchelte Püderchen die eine oder andere Fähigkeit, ohne die man in gewissen Branchen nun einmal nicht weiterkommt. Unter anderem die, sich für das zentrale Sexualorgan des Universums zu halten und stundenlang wichtig klingenden Wortmüll absondern zu können.

Es mag zunächst überraschen, dass nun ausgerechnet die Amerikaner langsam auf die Idee kommen, dass eine Legalisierung von Cannabis vielleicht ein vernünftiger Schritt sein könnte. Handelt es sich doch um das gleiche Land, in dem man in etlichen Bundesstaaten nach wie vor in den Knast wandert, wenn man zum dritten mal mit einem Joint erwischt wurde. Vielleicht keimt endlich die Einsicht, dass der seit den Zeiten Richard Nixons verbissen geführte War On Drugs nichts von dem gehalten hat, was man sich versprochen hatte und auf ganzer Linie gescheitert ist. Nur die Gefängnisse sind voller als je zuvor. Folgen weitere US-Bundesstaaten dem Beispiel von Colorado und Washington, wird vermutlich das passieren, was in den Niederlanden, in Portugal und jetzt auch in Uruguay passiert ist, nämlich gar nichts. Zumindest nichts Schlimmes.

Eine Freigabe wird, vielleicht zum Leidwesen einiger, die sie so heftig bekämpfen, nicht die Welt untergehen lassen. Es werden eben keine Dealerhorden kleine Kinder anfixen, weil dies Geschäft schlicht nicht mehr existieren wird, wenn jeder das Zeugs im Handel bekommt. Es werden auch nicht Horden zugerauchter Gammler überall herumhängen. Und wenn schon: Wer das für ein Schreckensszenario hält, muss sich fragen lassen, was dann bitteschön zu Karneval in Köln los ist. Oder an jedem Wochenende auf anderen Partymeilen des Landes.

Und nein, eine allgemeine Cannabis-Freigabe wird, möglicherweise zum Leidwesen einiger, die sie fordern, nicht in die fröhlich-entspannte Anarchie führen, sondern dazu, dass Kiffen genau so eingeschränkt und reglementiert werden wird wie Alkohol trinken. Wir haben uns mehrheitlich darauf geeinigt, dass Alk am Steuer, am Arbeitsplatz, vor allem bei Tätigkeiten, die ein gewisses Sicherheitsrisiko mit sich bringen oder hohe Aufmerksamkeit erfordern, eine schlechte Idee ist und das entsprechend geregelt. Mehr wird nicht passieren.



3 Kommentare :

  1. Naja, viele Vorurteile und so. Wenn du mal in einer WG gehaust hattest, in der minimum einer täglich diesen bleiernen Blick drauf hatte, - und dies so ziemlich der einzige Blick war den man ergattern konnte, und angesichts seiner Tätigkeit im Jugendzentrum auch mal die Polizei zwecks Beweisaufnahme wegen irgendeiner Prügelei am Abend vorbei kommt und meint, dass man doch einen schönen grünen Garten auf'm Balkon hat, - und du dir nachher den Schweiß von der Stirn fegst, - dann bekommt das Leben erst richtig Sinn. Ich bin diesbezüglich ein glücklicher Mensch. Ich vertrug, - und vertrag das Zeug einfach nicht. Mir wird schlecht davon. Keine Ahnung, - warum. Aber ein bisschen munterer, könnten die Vertrager, nach Genuss denn doch sein.

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    1. Klar, ich kenne so was auch. Ich habe auch mit Jugendlichen gearbeitet, die schon morgens um sieben die Birne matschig hatten. Ich würde aber zu bedenken, dass eine Legalisierung das Zeug gerade für Jugendliche vermutlich weit weniger reizvoll machen dürfte, weil der Reiz des Verbotenen wegfiele.

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    2. Dann könnte man natürlich argumentieren, dass die Legalisierung von Cannabis diese protestierwilligen Jugendlichen in Richtung XTC oder anderer potenziell viel gefährlicherer Designerdrogen abwandern lassen könnte. Kiffen ist eine vergleichsweise harmlose Variante, die (vermeintlichen) Spießer durch illegalen Drogenkonsum zu schocken. Will man ihnen das nehmen?

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