Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Montag, 30. Juni 2014
Unterwältigt und genervt
Selbst schuld, ich hätte es wissen können. Nein, wissen müssen hätte ich es. Schließlich habe ich die Erfahrung schon gemacht. Extraschicht bei schönem Wetter kann toll sein, Extraschicht bei schlechtem Wetter ist Mist, immer. Habe mich trotzdem breitschlagen lassen mal wieder. Bin weich geworden, weil es Menschen gibt, die einem, wenn man es wagt, abzusagen, ihnen somit seine Gesellschaft für den Abend zu verweigern, die tellergroßen, tränenumflorten Kuhaugen zeigen und menschlich ganz doll enttäuscht sind. Also dackelte ich mit durch den Nieselregen, der zum Glück irgendwann aufhörte. Weil mein Idol Albert Schweitzer ist und mein Hobby Gutes tun.
Brauereimuseum Dortmund. Nett, wirklich. Mit Abstand das Netteste des Tages. Sogar heiraten kann man da.
Dortmunder U. Hui, Riesenstimmung! Dazu überteuerte Bratwurst, nach gefühlter Ewigkeit serviert von demotiviertem Schneckenpersonal, das ab zwei Bestellungen auf einmal geschlossen auf Standby schaltet (man beachte die Menschenmassen an der Location). Natürlich kann das Personal nix dafür, weil vermutlich miserabel bezahlt und ohne jede Ahnung vom Metier. Es will mir nur par tout nicht in den Kopf, warum Gastronomen sich ohne Not um massig Einnahmen bringen, indem sie drei überforderte Vollgraupen an einen Wurstgrill stellen, weil sie unbedingt Personalkosten sparen müssen. Ein einziger Verkaufsprofi mit Erfahrung und Talent an dem Posten plus vielleicht eine Hilfskraft, falls viel los sein sollte, würde unter dem Strich nicht mehr pro Stunde kosten, dafür aber mindestens den doppelten Umsatz drehen. Und die Kunden wären auch zufrieden.
Ruhrstadion Bochum. Hohle 08/15-Bombastshow mit viel Pathos, obligatorischem Feuerwerk und Rummtata. Dafür überdachte Tribüne und wenigstens eine Ahnung von Stimmung, weil genug Leute da. Am Ende: Insgesamt unterwältigt, müde, klamme Klamotten, schmerzende Füße, kaputt. Nur noch bei gutem Wetter, endgültig, basta. Und wenn ich mir eine Krankheit ausdenken muss.
Nervig aber, feststellen zu müssen, dass auch die Dortmunder Stadtwerke inzwischen auf den Zug der Nulltoleranzpolitik aufgesprungen sind. Totales Alkoholverbot in allen Bussen und Bahnen, an allen Haltestellen und Bahnhöfen, ausnahmslos. Folgen der Privatisierung. Ein privat wirtschaftendes Unternehmen ist im eigenen Hause der große Käse und kann sagen, wo es lang geht, bei einem öffentlichen wäre das ein Politikum. Es gab Zeiten, da wurden entsprechende Verbotsschilder gern mit Hakenkreuzen oder SS-Runen überpinselt. Tempi passati.
Nun ist es ja weiß Gott nicht so, dass Alkoholkonsum in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zum Problem werden könnte. Ich kann es hervorragend verstehen, wenn Leute genervt sind oder sich belästigt fühlen von grölenden, rumrandalierenden Besoffskis. Bin ich auch. Völlig in Ordnung für mich, Leuten, die sich absolut nicht benehmen können oder es nie gelernt haben, mit angemessenen Gegenmaßnahmen zu kommen. Ich fühle mich auch keineswegs eingeschränkt oder bedroht, weil auf jedem Bahnsteig eine Sicherheitsfachkraft patrouilliert, im Gegenteil.
Nur wir waren eben nicht besoffen und randaliert haben wir auch nicht. Wir waren alle so gut wie stocknüchtern, tranken genüsslich ein Pils, benahmen uns völlig normal und plauderten ein wenig über das Elfmeterschießen Brasiliens gegen Mexiko. Trotzdem wurden wir von der eisernen Security-Lady ultimativ aufgefordert, unsere Gebinde umgehend zu entsorgen oder den Bahnsteig zu verlassen, andernfalls tanze die Polizei an. Ob die sich das auch bei einem Heimspiel des BVB trauen?
Was mir so ungeheuer auf den Keks geht, ist dieser um sich greifende Hang zum aufoktroyierten Totalverbot. Man kommt sich vor wie in der Schule damals, wenn man Lehrern ausgeliefert war, die so hilflos waren und so überfordert, dass sie sich nur mit Kollektivstrafen zu helfen wussten: Sobald eine Minderheit sich daneben benahm, wurden alle anderen immer gleich mitbestraft. Da lacht das Herz des autoritären Zwangscharakters. (Der Vollständigkeit halber: Selbstverständlich halte ich es ohne Probleme auch mal eine halbe Stunde ohne Bier aus, aber darum geht es nicht)
Sage mir auch niemand, es gäbe keine Alternativen zu diesem Vorgehen. Jeder Bundesligaverein hat das halbwegs im Griff. Jeder professionell aufgestellte Sicherheitsdienst verfügt über entsprechend geschulte Leute, die jede Großveranstaltung problemlos gemanagt bekommen. Einfach indem sie Randalierer, Säufer und Gröler zielsicher identifizieren, diskret aus dem Verkehr ziehen und allen ist gedient. Warum sollte das nicht auch im öffentlichen Nahverkehr machbar sein? Was kommt als Nächstes? Totales Alkoholverbot überall? Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde in Europa herzlich gelacht über die dämlichen, puritanischen Amis, wenn es hieß, wer mit einer Bierflasche auf der Straße erwischt würde, kassiere in diversen US-Bundesstaaten eine Geldstrafe.
Man hat eh das Gefühl, es soll überhaupt nicht anders machbar sein. Es wird ja auch nicht groß über solche Verbote diskutiert, sie werden einfach verhängt, alternativlos. Das Volk soll erzogen werden, die Leute sollen gefälligst wieder spuren lernen. Keine Diskussion, keine Widerworte, kein eigener Kopf und um Gottes Willen nicht groß differenzieren oder gar Fingerspitzengefühl. Nein, schwarz oder weiß, Sekt oder Selters, lautet das Motto. Eine dergestalt konditionierte Bevölkerung lässt sich, erst einmal mürbe gemacht, aufs bequemste regieren.
Ach so, noch etwas: Ich fühle mich zunehmend belästigt von ausgespuckten Kaugummis. Andauernd trete ich in eines hinein und muss hinterher mit viel Aufwand die klebrigen Reste aus meinen Sohlen forkeln. Also: Totales Kaugummiverbot im öffentlichen Raum - pronto, stante pede, JETZT! Die Freiheit der anderen hört schließlich da auf, wo meine Freiheit beginnt.
2 Kommentare :
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Kommentare zum Post
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Wenn man nun mal nicht wirklich etwas zu regieren hat, weil die Vorlagen von ganz anderen Spielern kommen, dann muß man sich halt seine Legitimation anderswo verschaffen. Und das es hierzulande genügend willfährige Büttelkandidaten gibt, die man durch das Antlitz einer Uniform oder eines Funkens mehr Macht über Andere, dazu bewegen kann, den Scheiß umzusetzen, darüber dürfte kein Zweifel bestehen. Bei der letzten Kommunalwahl hat´s in unserer Stadt gerechterweise auch die FDP zerpflückt. Die mußten sich dann erstmal wieder zusammensuchen und für sich eine neue Tröte finden, mit der sie ungefragt ein bißchen poulistisch posaunen kann. Just also kam der erste Antrag im neuen Rat. - "In der ersten Sitzung des neu gewählten Rates hat die FDP eine Ergänzung der Geschäftsordnung vorgeschlagen.
AntwortenLöschenDie Beratungen des Haupt- und Finanzausschusses sollen zukünftig um den Tagesordnungspunkt „Sicherheit und Sauberkeit in unserer Stadt“ erweitert werden.
Die FDP begründet ihren Vorschlag damit, die Thematik sei den xxxxxinnen und xxxxxern ein „sehr wichtiges Anliegen.“ Sie sollte deshalb in jeder Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses auf die Tagesordnung.
Die Liberalen geben zu, dass hier Einflussmöglichkeiten aus dem politischen Raum nur eingeschränkt möglich sind.
Gleichwohl betrachtet die FDP es „als durchaus wichtig, kontinuierlich zu beraten, wie wir die gefühlte Sicherheit und eine sichtbare Sauberkeit in unserem Stadtbild verbessern und optimieren können.“ " -
Merke, so ein Kack geht 2014 in Doofland mühelos über die Lippen. Und nebenbei läßt sich das Volk ja damit auch schön teilen in Hobbysheriffs und Leute, die deshalb ins Private abtauchen.
Volle Zustimmung. Was ich noch vergessen hatte: Die Dortmunder Stadtwerke begründen ihr restriktives Vorgehen mit: "Unsere Kunden wünschen saubere Anlagen" - will heißen: Wir haben da mal eine kleine Befragung durchgeführt, die uns die nötige Legitimation geliefert hat, das Kind derart mit dem Bade auszuschütten.
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