Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Mittwoch, 11. Februar 2015
Was kann man eigentlich noch tragen?
Gar nicht so recht mitbekommen, aber die tollen Tage nahen sich schon wieder. Dass ich das nicht so recht mitbekommen habe, könnte daran liegen, dass die närrischen Tage sich dieses Jahr überschneiden mit dem Valentinstag - einem Anlass, der mich ähnlich brennend interessiert. Erst recht verschone man mich mit der allgemeinen Kostümiererei. Habe ich als Kind noch ganz gern gemacht, wie die meisten Kinder. Inzwischen finde ich das, wie den ganzen übrigen Faschingszinnober nebst seinen Begleiterscheinungen, anstrengend und überdies entbehrlich. Mich zu einem Anlass mitzuschleppen, auf dem Kostümzwang herrscht, zieht normalerweise den sofortigen Abbruch aller freundschaftlichen und sonstigen Beziehungen nach sich. Wer Spaß an so was hat, bitte gern, doch wünsche ich, wie gesagt, in Ruhe gelassen zu werden damit.
Weil die Briten den zweiten Weltkrieg erfolgreich beendet haben, hegen sie traditionell ein eher unverkrampftes Verhältnis zu diesen sechs Jahren. Das Land kann noch so am Arsch sein, kaum frischt irgendwo jemand die Erinnerung auf an angelsächsische Standhaftigkeit im deutschen Bombenhagel oder die Battle Of Britain, schon ist die Wiese wieder grün. Sicher einer der Gründe, warum man auf der Insel auch einen so ausgeprägten Hang zum Reenactment hat. Einige allerdings schlagen bei der Wahl ihres Kostüms sogar für dortige Verhältnisse etwas über die Stränge und greifen entsprechend ins Klo: Man denke nur an Prinz Harrys Auftritt mit Hakenkreuzarmbinde 2005. Oder erinnere sich, wie 2008 ruchbar wurde, dass FIA-Chef Max Mosley zu den von ihm geschätzten SM-Partys gern in SS-Uniform erschien und dortselbst auf Deutsch radebrach.
So kann es nicht mehr wirklich überraschen, dass der englische Partyzubehör-Händler 'Party Delights' mit Sitz in Manchester auch ein Kostüm Modell 'Zweiter Weltkrieg - evakuiertes Mädchen' für umgerechnet 10,99 Euro anbietet. Es sei "typisch für die Vierzigerjahre […] im schicken Mantelkleid-Stil mit Knöpfen vorne und einem Namensschild aus Filz am Kragen". Im Lieferumfang enthalten sind weiterhin eine braune Filztasche und eine smaragdgrüne Baskenmütze mit Gummizug. Zielgruppe: Mädchen zwischen vier und zwölf (auch für Jungen erhältlich). Aus versehen, so das Unternehmen, sei der Artikel auch im deutschen Webshop gelandet, aber bereits wieder entfernt worden.
Wer sich darüber empören will, sollte bedenken, dass bei näherem Hinsehen eigentlich kaum noch eine Verkleidung historisch wirklich unbelastet ist. Cowboy, die Lieblingsverkleidung aller Jungs zu meinen Kindertagen (vor allem, weil es der beste Vorwand war, mit Spielzeugpistolen herumzuballern)? Also bitte! Bewaffneter Kolonialist und professioneller, unveganer Steakfresser und Tiermisshandler, der zudem im Verdacht steht, am weitgehenden Verschwinden amerikanischer Ureinwohner sowie endemischer Wildrinder mitschuldig zu sein. Prinzessin? Sexistische Kackscheiße, ohne Zweifel, genau wie Bauarbeiter. Auch als Ölscheich gehen hat ein wenig seinen Charme verloren in diesen belasteten Zeiten.
Sogar das gute alte Clownskostüm ist längst nicht so unproblematisch wie es scheint. Nicht nur, dass einige durch den Anblick eines solchen Possenreißers ernstlichen seelischen Schaden davontragen können. Nein, speziell meine Generation, die in den Achtzigern aufwuchs, schleppt ungute Erinnerungen mit sich herum. Da hatte man es endlich in das Jugendzimmer der angebeteten Mitschülerin geschafft, und dann glotzte einen von der Wand so ein tränenumflorter, weißgetünchter Pierrot an. In gefühlt achtzig Prozent aller Mädchenzimmer pappte damals so ein Kitschposter an der Dachschräge. Das lenkt doch ab, so was! Wie soll man da...? Ach, wir hatten es auch nicht immer leicht, damals.
Es ist also alles nicht so einfach. Auch oder erst recht nicht für Eltern, die überlegen, als was sie ihren Nachwuchs so verkleiden sollen. Wenn man es recht bedenkt, dann geht für Jungs wohl am ehesten noch nordamerikanischer Ureinwohner (Opfer) und Pirat (anti-Establishment und trotz Brutalität Vertreter eines egalitären Gesellschaftsentwurfs). Für Mädchen bietet sich in diesen katzenvideoversessenen Zeiten vielleicht ein Katzenkostüm an (signalisiert Stärke, Unabhängigkeit und Eigensinn).
Der englische Kinderlandverschickungs-Fummel jedenfalls dürfte mit ziemlicher Sicherheit ein Ladenhüter werden und somit eine Randerscheinung bleiben. Jede Wette, die Begeisterung der Kinners angesichts eines Kostüms, das aus einem graublauen Mantel, einer grünen Oma-Mütze, einer braunen Umhängetasche und einem Filzetikett besteht, hält sich in überschaubaren Grenzen.
2 Kommentare :
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Kommentare zum Post
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Die Begründungen für Pirat und Katze sind klasse. Dazu wären noch Tiger (wie Katze plus vom Aussterben bedroht) und Eisbär (Knut!einself) denkbar.
AntwortenLöschenEtwas tierlastig alles in allem, ist aber wohl so in diesen Zeiten. Wenn man bedenkt, dass der Klerus (Mönch) auch unter Generaverdacht geraten ist...
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