Samstag, 16. Januar 2016

Pralinenschachtel? Am Arsch!


Vor zirka zwanzig Jahren gab es mal diesen Film, in dem die grenzdebile Hauptfigur in regelmäßigen Abständen dabei zu sehen ist, wie sie, an einer Bushaltestelle sitzend, wildfremde Menschen volllabert. Unter anderem meint sie, also die Hauptfigur, das Leben sei wie eine Pralinenschachtel, man wisse nie, was man bekäme. Da legten damals viele Kinogänger und Videogucker nachdenklich das Haupt schief, um Nachdenklichkeit vorzutäuschen und nickten beifällig. Wie recht er doch hat! So einfach und so wahr. So viel Poesie! Jaja, es steckt tiefe Weisheit in den Worten auch eines vermeintlich simpel Gestrickten. Wie leicht vergisst man das doch.

(Das waren vermutlich dieselben, die immer diese gruseligen Alben von Pur gekauft haben. Oder Peter Maffays 'Tabaluga'-Platten. Und in Scharen ins 'Tabaluga'-Musical gerannt und danach ihren Mitmenschen mit den klebrigsüßen, infantilen Billigweisheiten vom Abreißkalender auf den Senkel gegangen sind. Vorher haben sie vermutlich noch einen Plüsch-Tabaluga gekauft.) Zurück zum Thema.

Ich muss gestehen, dass ich noch nie ein begeisterter Zähneputzer war. Sich gern die Zähne putzen, das fand ich schon früher nur was für dressierte Streberkinder wie die von Ned Flanders bei den 'Simpsons'. Für Leute, die sich ohne medizinische Notwendigkeit an Ernährungspläne halten. Die schon mit zwanzig ihre weitere Zukunft ihr Leben bis zur Rente verplant haben. Weil aber die Folgen, die man bei chronischem Nichtputzen im Stuhl des Dentisten und auf dem Bankkonto zu gewahren hat, schmerzlich sein können, habe mich halt in mein Schicksal gefügt und die Schrubberei morgens und abends immer brav, aber ohne großen Ehrgeiz erledigt. Muss ja. Werkzeug will in Schuss gehalten sein. Was ich sagen will: In einer Welt, in der das Zähneputzen nicht mehr nötig wäre, käme ich prima zurecht und es würde mir nichts fehlen.

Nun ist es ja vom Allerhöchsten, vom Großen Gnatz, vom Master Of The Universe, von Wall Street, Goldman Sachs, der Pharmamafia oder anderen sinistren Mächten so eingerichtet, dass Zahnbürsten einem gewissen Verschleiß unterliegen und von Zeit zu Zeit gegen neue ausgetautscht werden müssen, sollen sie auch fürderhin ihren Dienst versehen. (Ich kenne da überigens jemanden, der jemanden kennt, der schon einmal was mit einer Frau hatte, die gelegentlich den Dackel einer Freundin Gassi geführt hat. Die wiederum war verheiratet mit einem Diplom-Ingenieur, der irgendwie eine große Nummer bei der Entwicklung von Zahnbürsten ist. Und der hat gesagt, theoretisch sei es längst möglich, Zahnbürsten zu produzieren, die ein Leben lang halten. Aber das will die Industrie natürlich nicht. Also werden wir weiter abgezockt. Da sind sie platt, was? Ich sag's nur mal so. Denken Sie mal drüber nach!)

Normalerweise ist das aber kein Problem, mit dem man sich über Gebühr belasten müsste. Zahnbürsten sind günstige Wegwerfartikel, die für weniger als einen Euro in jedem Discounter oder Drogeriemarkt zu haben sind. Sollte einmal im Monat problemlos drinsitzen. Stiftung Warentest hat den günstigen Teilen längst ihren Segen gegeben und der Zahnarzt meinte, eine saubere Putztechnik sei viel wichtiger.

Dann aber begab es sich, dass ich auf Weihnachten von lieben Menschen so eine neumodische Motorfräse geschenkt bekam. Mit Akku. Und Timer. Was soll ich sagen? Ich bin restlos begeistert! Die Timer-Funktion entlastet einem von jeglichem lästigen Gedankenmachen und die Beißer fühlen sich so sauber an wie noch nie. Ich fürchte schon, mein Zahnarzt wird bei meinem nächsten Besuch in Tränen ausbrechen darüber wie ich, treuer Kunde, unerschöpfliche Geldquelle, stolzer Brücken- und Kronenträger, der ich bin, ihm so was bloß antun könnte. Ich hätte es nie gedacht, aber nach kurzem Gebrauch schon frug ich mich, wie ich mir jemals anders hatte die Zähne reinigen können.

Alles könnte also in bester Ordnung sein. Könnte. Wenn, ja wenn da nicht der erwähnte Genosse Verschleiß wäre.

Irgendwann kommt unweigerlich und gnadenlos der Tag, da der mitgelieferte Bürstenkopf hinüber ist und Ersatz hermuss. So ging ich die Tage in den nächstbesten Drogeriemarkt, um welchen zu besorgen. Und, was sah ich? Drei von den Ersatzteilen schlagen mit knapp zwölf Euro zu Buche. Kauft man zwei Mal ein Dreierpack Bürstenköpfe, ist man beinahe beim Kaufpreis eines neuen Geräts angelangt. Das spielt schon in der Liga von Druckertinte. Wie konnte ich auch so naiv sein?

Frauen, die arglos behaupten, das Leben sei unfair, weil sie im Gegensatz zu Männern gezwungen seien, Zeit ihres Lebens Tampons oder Binden zu kaufen, haben offenbar noch nie zur Kenntnis nehmen müssen, was Rasierklingen mittlerweile kosten. Ich habe mir damals unter anderem deswegen einen Bart stehen lassen, und zwar lange bevor es so was wie Hipster überhaupt gab, weil ich das aberwitzige Wettrüsten der Klingenhersteller nicht mehr mitmachen wollte. Weil ich aber auch nicht rumlaufen mag wie der historische Kompromiss aus Yeti und Chewbacca, kaufe ich statt dessen alle paar Jahre einen neuen Bartschneider. Immer wenn der Akku, der sich selbstredend nicht austauschen lässt, platt ist.

Nein, das Leben ist definitiv keine verdammte Pralinenschachtel. Es stimmt nicht, dass man nicht wisse, was man bekäme. In bestimmten Bereichen zumindest weiß ich inzwischen sehr genau, was ich kriege. Folgekosten nämlich. Es ist längst nicht mehr damit getan, etwas zu kaufen. Günstig anfixen und danach richtig die Kralle aufhalten für unverzichtbares Zubehör, den Kunden am besten ein Leben lang an den Eiern haben, das ist der wahre Jakob. Damit gleicht das Leben eher einer Smartphone-App. Genauer gesagt, einem dieser Spiele, die erst ganz unschuldig einen auf gratis machen, und einen ab einem gewissen Level bis aufs letzte Hemd auszuziehen trachten, nachdem sie alle Daten abgesaugt haben.

Aporpos: Der Hersteller meines Zahnreinigungshightechgerätes bietet auch eine App an. Die möchte beim Installieren so ziemlich alles von einem wissen und wurde schon über 100.000 mal heruntergeladen, wie zu erfahren ist. Später einmal, wenn Softwarefirmen und Staaten endgültig gemeinsame Sache machen und wir - nur zu unserem Besten - in der totalen Erziehungs- und Überwachungsdiktatur leben werden (was auf der Nordhalbkugel nicht mehr allzu lang dauern kann, so brav wie alle mitmachen), dann will es wieder keiner gewesen sein. Ich höre schon das Gejammer in den letzten unüberwachten Ecken: Wer konnte das denn ahnen? Ich wollte doch nur diese tolle App! Man hat uns belogen, betrogen und hintergangen!

Nein, hat man nicht. Sie haben euch immer offen und ehrlich gesagt, was sie wollen und ihr habt immer artig 'OK' geklickt. Aber das ist ein anders Kapitel.


2 Kommentare :

  1. Lieber Herr Rose,
    so, dreimal gelesen, immer wieder neue Facetten, Anspielungen und Schmunzler entdeckt.

    Ein herrlicher, ironischer, mal sarkasticher und "fürchterlich" wahrer Text.

    Die Zukunft ist aber, so glaube ich, bereits in der Gegenwart angekommen, oder die Gegenwart in der Zukunft.

    Das Fahrverhalten wird bald Einfluss auf die Versicherungsprämien haben, dank der IT-Möglichkeiten von modernen Navigationsgeräten und anderer, versteckter Software in KFZ's.

    Krankenversicherungen werden bald ganz legal ihre "Versicherten" (Bezahlopfer wäre treffender) zwingen können, mittels elektronischer Meßbänder Körperfunktionen und damit Krankheitsbilder per Comuter zu erstellen, durch deren Auswertung ein Arbeitgeber zukünftig über Entlassungen, Beförderungen, Gehaltskürzungen, Einstellungen entscheiden wird, bzw. das "Programm" wird das für den Personaler übernehmen.

    Der neoliberale Staat, resp. die gesetzgebende Gewalt, welche aus strammen Parteisoldaten mit neoliberaler Denkweise besteht, wird die nötigen Gesetze schon elassen und als "alternativlos" deklarieren.
    Das dt. Grundgesetz hat sowieso keine Bedeutung mer im Politikbetrieb, daher, kein Problem.

    Datenschutz besteht auf dem Papier, zumal der "Beschützte" sich ja selbst permanent zur Glaskugel macht.

    Einkäufe mit "Bonus-Karte, FB, Twitter, RFID, Apps, kostenlose Programme für Windows und Mac von denen nur die wenigsten wissen, ob diese "kostenlosen" Programme nicht doch "mit zu Hause telefonieren".

    Ich klick dann jetzt auch mal "OK".

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  2. Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. In der Sonne.

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