Samstag, 23. Januar 2016

Propheten und Jobkiller


Eine der dümmsten, geistfreisten und sinnlosesten Fragen, die überbezahlte und phantasielose Schlipsmichel in jenen weitgehend sinnlosen Veranstaltungen namens Vorstellungsgespräch einem stellen können, lautet: Wo sehen Sie sich in fünf bis zehn Jahren? Schon klar, sie wollen herausfinden, ob da jemand Ehrgeiz und Ambition hat, man will schließlich niemanden, der schon mit vierzig nichts anderes im Sinn hat als die verbliebene Zeit bis zur Armutsrente möglichst entspannt nach Hause zu juckeln. Ist in Ordnung, das Ansinnen, aus deren Sicht schon verständlich irgendwie. Allerdings kann es bei Lichte besehen auf diese Frage nur zwei einigermaßen vernünftige Antworten geben:
  1. Auf Ihrem Stuhl natürlich. Und als erste Amtshandlung werde ich Sie feuern.
  2. Woher soll ich das wissen? Sehen Sie hier irgendwo eine Kristallkugel? Kaffeesatz? Gedärme eines frisch geschlachteten Zickleins?
Weil das so ist, aber niemand das so offen aussprechen würde, wird eben gelogen, dass es eine Art ist. Und weil im Human Resources Management Kinder nix verloren haben, traut sich auch keiner, auf die Nacktheit des Kaisers hinzuweisen.

Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft zu haben, ist einigermaßen normal, kollektive Angst vor ihr ist Konjunktursache. Im Moment hat Zukunftsangst vor allem bei so genannten Besorgten Bürgern Konjunktur. Das sind die, die sich im Zweifel wegen jedem Bullshit, den man ihnen hinwirft, ins Hemd machen und immer ganz genau wissen, was in fünf Jahren passieren wird, wenn die Politik nicht auf der Stelle ihre rassistischen Zwangsneurosen in die Tat umsetzt, insgeheim aber überglücklich sind, endlich eine Rechtfertigung gefunden zu haben, ihren als Besorgnis getarnten Rassismus überall rauskotzen zu können. Deswegen „kippt gerade die Stimmung“.  Das nur am Rande.

Natürlich ist es hirnrissig, bloße Projektionen der Gegenwart als seriöse Prognosen zu verkaufen. Aber Dealen mit Vorhersagen und Wahrscheinlichkeiten ist halt ein zu gutes Geschäft. Und ein zu gutes Herrschaftsinstrument. Wer Angst hat, lässt im Zweifel so einiges mit sich machen und öffnet auch schneller die Brieftasche. Mein Vater hat sich fast vierzig Jahre sein geliebtes tägliches Frühstücksei abgekniffen wegen Cholesterin. Erhöhtes Infaktrisiko. Jetzt hat er einen neuen Hausarzt, der die Medikamente abgesetzt und Entwarnung gegeben hat. Fehlalarm, Cholesterin wird überschätzt. Wer etwa vor, sagen wir, zwanzig Jahren eine Lebensversicherung abgeschlossen hat, wurde von prophetisch begabten Versicherungsfuzzis mit den herrlichsten Vorhersagen vollgeölt. Ewiges Wachstum, endlos steigende Zinsen, hundert Pro sicher, ein sorgenfreier Lebensabend. Heute? Guter Witz!

Zurück zu den Besorgnissen. Eine, die gerade besonders heftig durchs Dorf getrieben wird, ist die vor den Folgen der Industrie 4.0. Rationalisierung, Automatisierung und Digitalisierung würden in den nächsten Jahrzehnten viele, auch qualifizierte Jobs, für die heute noch menschliche Arbeit unabdingbar ist, überflüssig machen, heißt es. Weiterhin heißt es, würden nicht genügend neue Jobs entstehen, um die Verluste auszugleichen, unter dem Stich würde also ein massives Minus an Arbeitsplätzen stehen. Wehe, wehe, wenn ich in die Zukunft sehe!

In den Sachbilderbüchern, die ich mir damals, als ich irgendwie nicht mehr Kind und noch nicht wirklich Heranwachsender war, immer aus der Jugendbücherei geliehen habe, war oft die Rede davon, wie wir im Jahr 2000 leben würden. Eine verbreitete Vision war, dass wir aufgrund von zunehmender Rationalisierung, Automatisierung und Computerisierung alle ein sattes, zufriedenes, kommodes Leben weitgehend ohne die Mühen der Erwerbsarbeit leben würden. Nun, das  magische Jahr 2000 ist schon länger vorbei und von einem kommoden Leben mit nur noch ein, zwei Stunden Arbeit pro Tag habe noch nichts bemerkt. Alle, die mich so umgeben, auch nicht. Eher im Gegenteil.

Klar, hinterher ist man immer schlauer. Das Problem an diesen Szenarien war, dass sie konsequent den nicht eben unbedeutenden Faktor Gier, warum auch immer, komplett ignorierten. Die durch Rationalisierung, Automatisierung und Computerisierung entstandenen Überschüsse sind eben nicht, wie vermutet, der Allgemeinheit zugute gekommen, sondern einer relativ kleinen Kaste von Reichen und Superreichen. Die verstehen es von jeher, ihre Pfründe zu sichern. Und so keimt der Verdacht, bei den Unkenrufen vor dem Jobkiller Industrie 4.0 könnte es sich um so etwas wie den kleinen Bruder des Fachkräftemangels halten. Man will die Masse schon einmal vorbereiten auf weitere Verarmungswellen zum Nutzen des einen Prozent.

Apropos: Irgendwie kriege ich die drohenden massiven Jobverluste und den Fachkräftemangel nicht recht unter einen Hut. Was denn nun? Wenn in Zukunft tatsächlich 40, 50 Prozent aller heutigen Jobs verlorengingen, dann müsste es, neoliberaler Arbeitsmarktlogik zufolge, doch wieder zu einem paradiesischen Überangebot an Arbeitskräften kommen. Oder habe ich da was falsch verstanden?

5 Kommentare :

  1. @Stefan Rose

    Machte vor kurzem einen Zufallsfund, und zwar von einem gewissen Herrn Uwe Peter Kanning, seines Zeichens Wirschaftspsychologe, dass Buch mit dem Titel "Personalauswahl zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Eine wirtschaftspsychologische Analyse" - Hab's gelesen, und der Autor kommt zu einem vernichtenden Urteil des dt. Personalauswahlverfahrens, incl. Bewerbungsratgeber.

    Man sollte diese Nachricht m.E. mal weit verbreiten, denn die Bewerbungshandbücher sind die Druckerschwärze nicht wert, die die gedruckt werden - zumindest im deutschsprachigen Raum und dies meint kein Bewerber sondern einer der Personalauswahlverantwortliche ausbildet.

    Fazit:

    Endlich einmal eine Untersuchung in Buchform, die das was ich als "Bewerber" über die dt. Personalauswahlszene denke hoffentlich einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht - Hier sind nämlich "Reformen" dringender nötig als bei den Menschen, die gezwungen sind sich auf dieses blödsinnige Spiel einzulassen bzw. sich zu bewerben.

    Ich dachte es mir schon immer, aber hier bringt ein renomierter Wirtschaftspsychologe die Sache auf den Punkt - ein vernichtendes Urteil über die dt. Personalabteilungs- und Chefszene was Bewerbungsverfahren angeht.

    Er beschreibt sogar unseriöse Methoden, wie z.B. die Schriftanalyse und die Körpersprache, die rein gar nichts aussagen, da höchst fehleranfällig, aber viele Personalverantwortliche halten dies immer noch für die beste Lösung....

    Wie bereits erwähnt, ich wünsche der Aufklärung durch den Wirtschaftspsychologen Uwe Peter Kanning weiter Verbreitung, zumal der Punkt für Punkt den Unsinn beim Bewerben auf den Punkt bringt - eben von Arbeitgeber und Coaching- bzw. Bewerbungsberaterseite.....

    Es hilft einem evtl. wenn man dies weiß, beim Bewerben....

    Gruß
    Bernie

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  2. Sorry, ich meinte nicht "Schrift" sondern "Handschriftanalyse" - es ändert aber nichts am Grundtenor, die Personalauswahlszene in .de ist sowas von vorgestern....Übrigens, ich dachte zwar auch, dass es mir nichts hilft, beim Bewerben, aber irgendwie schon wenn man im Hinterschädel behält, dass auch die Personaler Menschen sind, die auf jeden Nonsens reinfallen, der ihnen von Coaches geraten wird....

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  3. Hallo Herr Rose,
    nö, Sie haben nichts falsch verstanden, sondern im Gegenteil, den allerwichtigsten Faktor menschlichen Handelns benannt: GIER.

    Bei Wenigen der alles beherrschende Faktor des Denkens und Handelns, mehr oder weniger abgestuft (Banker, BWL'er, VWL'er, Politiker, "Manager"), bei den meisten weniger ausgeprägt, wiederum abgestuft (Arbeitnehmer, Wahlvolk, etc).

    Je mehr die Gier das Denken und Handeln bestimmt, desto weniger Raum für Empathie, soziale, humanistische Ansichten und Handlungen.
    Gier = Egoismus + Empathieunfahigkeit)
    sehr viel Gier = svE + svEu
    und so weiter.
    Tabellenfreaks können das Modell jetzt beliebig erweitern, mit Fußnoten und Zitaten vertzieren.

    Je weniger Gier, Rücksichtslosigkeit, Egoismus das Denken und Handeln eines Menschen bestimmt, umso mehr Raum für Angst/Ängste, politische Apathie, eine gewisse Willenlosigkeit, Wurschtigkeit gegenüber humanen, sozialen, politischen Misständen, wie wir es gerade erleben.

    Sicher keine These, die "höchst seriös arbeitenden Wissenschaftlern" Zustimmung entlockt. Mir und meinen bescheidenen Geisteskräften reicht sie als Grundsatzerklärung für viele der zahlreichen Auswüchse dieser Gesellschaft erstmal aus.

    Und trotzdem frage ich mich immer öfter, wenn ich meiner These folge, ob es nicht die Möglichkeit gäbe, diese Gier mittels einer wirksamen Mischung verschiedener chemischer Substanzen auf ein vernünftiges Maß zu regulieren.

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  4. Vorstellungsgespräche...echt ein Thema für sich. Auf der einen Seite erwarten Personaler die vermeintlich megaperfekte, kreative, einzigartige Bewerbung (also das, was sie sich wünschen! Was man natürlich nie genau wissen kann!). Auf der anderen Seite laufen gut 90 Prozent aller Vorstellungsgespräche nach dem gleichen Muster ab. Die gleichen Fragen, das gleiche geheuchelte Lächeln und Interesse, das gleiche Getue.

    Das Resultat war bei mir irgendwann, dass ich überhaupt nicht mehr aufgeregt bin. Jedenfalls nicht mehr so groß. Ich weiß einfach was mich erwartet. Und hier habe ich auf einmal die Erfahrung gemacht, dass das den Personalern gar nicht geschmeckt hat. Auf einmal haben die angefangen, wild mit ihren Händen zu fuchteln, waren unruhig auf ihren Stühlen, wichen meinen Blicken aus usw. Was mir nur nach wie vor schwer fällt, ist "adäquat" auf die völlig bekloppten Fragen zu antworten: "Wo sehen Sie ihre Stärken?" oder "Was können Sie besonders gut/schlecht?" oder "Warum sollten wir gerade Sie einstellen?" - diese Psycho-Suggestiv-Fragen nerven einfach nur ab. Hier kann und darf man doch keine Authentizität vom Bewerber erwarten. Er wird geradezu gezwungen, irgendeinen Blödsinn zu erzählen, um sich gut zu "verkaufen".

    Am Ende, so plauderte mal ein Arbeitsvermittler aus dem Nähkästchen mit dem ich mich gut verstand, entscheiden häufig völlig subjektive und willkürliche Kriterien. Ein Hobby, das gefällt, weil es das eigene Kind auch macht, bestimmte Kleidung, weil man die Marke mag, das Parfüm, weil man den Duft gerne riecht etc. - wer immer noch denkt und glaubt, die Qualifikation, der Lebenslauf seien entscheidend dafür, ob man eingestellt wird oder nicht, lebt in einer Jobcoacher-Fantasiewelt ;-)

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    1. Meine Lieblingsfrage: Was sind Ihre Schwächen. Haben die Pech, ist Mr. Bewerber nicht vorbereitet und, ahem, ahem, stammelt rum. Ist er vorbereitet, dann haben sie auch Pech, weil sie irgendeine einstudierte 08/15-Antwort kriegen a'la "Ich bin manchmal etwas ungeduldig." Kaspertheater halt!
      @Bernie: Also bitte, Handschriftanalyse! Graphologie! Was ein echter deutscher Personaler ist, der braucht doch kein endloses Psychologiestudium, dem reichen sechs Stunden Fortbildung... *irony off*

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