Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Freitag, 22. Juli 2016
Bye bye, VHS!
Hach ja, wieder geht ein Stück Kindheit und Jugend. Das VHS-Video ist seit vorgestern offiziell Geschichte, dead and gone. Der letzte Hersteller hat die Produktion von Recordern eingestellt. Im Gegensatz zu anderen Dingen, ruft aber deren Verschwinden keinerlei irgendwie gearteten Gefühle bei mir hervor. Dafür waren die Dinger einfach zu inferior. Ich trauere schließlich auch nicht ums Testbild. Welche Gründe sollte es auch geben, den ollen Gurken hinterherzuweinen, angesichts der momentanen technischen Möglichkeiten?
Obwohl, ums Testbild traurig zu sein noch einen gewissen Sinn ergeben würde. War es doch bildgewordenes Symbol dafür, dass es einmal Zeiten gab, in denen man bei Fernsehsendern (die noch 'Anstalten' hießen) der Meinung war, man müsse nicht die vollen 24 Stunden des Tages mit irgendwelchem Schauwerk vollpfropfen, nur um des Vollpfropfens willen. So was wie Heimkino gab es auch vorher in Form von Super-8-Filmen, aber das war umständlich und die Projektoren nur was für Leute mit Geld. Dank VHS-Video, das sich nach dem erbitterten Formatstreit zwischen VHS, Video 2000 und Betamax irgendwann durchgesetzt hatte, hatten zum ersten Mal breitere Bevölkerungsschichten die Möglichkeit, ihre Freizeit filmmäßig nach eigenem Gusto gestalten zu können. Das sollte man schon würdigen.
Damit sollte es aber auch gut sein. Oder möchte irgendjemand, der einmal daran gewöhnt ist, Filme in 16:9 in Full HD zu sehen und dazu kristallklaren Ton aus der Anlage um die Ohren zu bekommen, wirklich wieder zurück in jene Zeiten, da wir um einen 35-cm-Röhrenfernseher saßen und uns vernudelte Videothekenbänder oder grieselige Schwarzkopien ansahen. Letztere existierten übrigens, weil es diese Leute gab, die zwei Recorder hatten und ihre Tage, ganze Urlaubstage sogar, damit verbrachten, Kassetten, bzw. cooler, 'Bänder' oder, noch cooler, 'Tapes' zu überspielen. Wo ist ihr Denkmal? Sehnt sich jemand nach Bandsalat? Den Recorder aufschrauben und das vertüdelte Band rauspfriemeln? Vermisst jemand quietschende Mechanik?
Klar, auch die Videothek, von den späten Siebzigern bis in die Nuller fester Bestandteil des Lebens von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, dürfte bis auf Reste bald gänzlich verschwinden. Das samstagabendliche Diskutieren, welche Filme nun auszuleihen seien, das Stöbern in alten Klassikern, das Kopfschütteln über ganze Abteilungen mit drittklassigen Van-Damme- oder Weltkrieg -Zwo-Filmen, in denen es nix wie auf die Omme gab. Natürlich auch die erste Begegnung mit der Erwachsenenabteilung. Der gelinde Schrecken des behüteten Provinzkindes darüber, dass es offenbar für alles, das sich qua Sozialisierung absolut nicht gehörte, weil baba, eine Gemeinde von Leuten zu geben schien, die da sexuell drauf abfuhr.
Schade ist es sicher um den Filmfreak mit dem profunden Wissen, der als Videothekar Verwalter und Hüter eines kulturellen Schatzes war. Der einem helfen konnte, seinen Horizont zu erweitern, einen Geschmack zu entwickeln. Wie es auch schade ist um den im Plattenladen arbeitetenden Musikfan, der einfach alles kannte und immer Tipps für einen hatte. Ich behaupte, ohne diese Leute wäre das Entstehen der Metalszene Anfang der Achtziger nicht möglich gewesen. Nur kenne ich solche Videothekare nur aus Erzählungen. Die örtlichen Videotheken waren Ketten, in denen weitgehend kenntnisfreie Aushilfen den angesagten Kram über die Theke schaufelten und man die filmischen Perlen selbst suchen musste.
Zu meinen besten Zeiten habe ich es auf 130 selbst aus dem Fernsehen aufgenommene Videokassetten gebracht, darunter durchaus anspruchsvolles, kulturelles Zeug. Nicht ein einziges Mal, seitdem ich mich vor vielen Jahren entschieden habe, den ganzen Plunder zu entsorgen, habe ich ihn auch nur einen Moment lang vermisst. Auch die weit kompaktere und bessere DVD wird wohl bald Geschichte sein, genau so wie ihre Nachfolgerin, die BluRay. Wird irgendwann nur noch von Sammlern und Romantikern wie mir gekauft werden, die noch mit dem Prinzip Bibliothek großgeworden sind. Die anderen hängen längst am Streamingdienst oder haben ihre gesamten Mediendateien gerippt und zentral archiviert.
Also, was soll's. Farewell, VHS-Video! Es war nett mit dir, so lange wir nichts anderes hatten als dich. Hinterherweinen wird dir niemand, du wirst wohl eine Episode bleiben. Ein paar wenige Unentwegte werden an dir festhalten (meinen letzten Videorecorder habe ich im Tausch gegen eine italienische Fenchelsalami einer Kollegin vermacht, deren Apparillo hinüber war und die nicht einsah, ihre geliebten Serien auf DVD zu besorgen oder auf YouTube zu gucken; er kam in gute Hände). Danach, dass du dereinst ein kleines Comeback feiern wirst wie die Vinylschallplatte, sieht es überhaupt nicht aus. Und das ist, wenn man mich fragt, auch gut so. Lauf der Dinge halt.
3 Kommentare :
Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.
Abonnieren
Kommentare zum Post
(
Atom
)
Ach ja, die Videokassette. Meine erste Erinnerung an die Technik ist der Bericht von einem Schulfreund in den frühen 80ern, der aus irgendeinem Anlass (Hochzeit, Begräbnis, irgendwas in der Art) bei entfernten Verwandten übernachtet hatte, dort einen Videorekorder vorfand und den natürlich gleich mal testen musste. Er kriegte das Gespann aus Rekorder und Fernseher auch angeschaltet und die Kassette in den Schacht, aber Film kam keiner. Nach allerhand Knöpfedrücken, ruckeln, draufklopfen und was weiß ich stellte sich heraus, dass schon eine Kassette im Gerät gewesen war und sich die zweite untrennbar mit allen Innereien des Apparats verschränkt hatte. Der Abend war gelaufen. Immerhin konnte ein Techniker die Maschine wieder flottmachen...
AntwortenLöschenVideokassetten hatten einen gewissen Charme, aber ich will sie ganz sicher nicht zurück. Genauso wie Musikkassetten. Oder Vinyl. War gut, dass es das gab, ist aber passe. Requiescat in pace und so.
Off topic – in den Achtzigern (VHS-Blütezeit, Zenit und Niedergang der Musik-Cassette) hatte ich mir an einem bestimmten Schaufenster die Nase plattgedrückt: da lief auf dem Bildschirm „Der phantastische Planet“, sichtbar abgespielt von einer silbrigen Scheibe mit Durchmesser einer LP (30cm).
AntwortenLöschenLange her.
Als Betamax und Laserdisc Fan ( letztere sind die silbrigen Scheiben mit dem Durchmesser der LP ) sollte ich dem Untergang des VHS Systems eigentlich keine Träne nachweinen. Nur sind doch viele Filme lediglich auf VHS erhältlich, von selbstaufgenommenen TV Aufzeichnungen mal abgesehen, also bin ich doch etwas traurig, daß jetzt keine neuen VHS Recorder mehr produziert werden. Auf dem Gebrauchtmarkt wird es in den nächsten 10 Jahren aber sicher keinen Mangel geben......
AntwortenLöschen