Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Mittwoch, 17. Januar 2018
Schmähkritik des Tages (14)
Heute: Robert Pfaller über Freiheit, vermeintlich linke Identitätspolitik und die Folgen
"Den Begriff »Freiheit« wenden viele derzeit fälschlicherweise auf ihr privates Leben an. Sie meinen mit »Freiheit«, dass sie ihren Launen, Identitäten, Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten freien Lauf lassen dürfen. Freiheit ist aber genau das Gegenteil davon: Sie ist unsere Fähigkeit, diese »pathologischen« Neigungen, wie Immanuel Kant sagt, und Marotten hinter uns zu lassen. Erst dann werden wir zu etwas Allgemeinem, zu politischen Bürgern. Nur in dieser Eigenschaft können wir uns auch dauerhaft mit anderen solidarisieren: Denn wir können nicht mit den Befindlichkeiten der anderen solidarisch sein, sondern nur mit deren Fähigkeit, sie hinter sich zu lassen. […] Eine staatliche und mediale Pädagogik aber, die uns ständig als unmündige, empfindliche, verletzliche und kränkbare Wesen hinstellt, arbeitet am Gegenteil. Sie tut so, als ob die Befindlichkeiten der Menschen das Beste an ihnen wären, und fragt sie ständig: »Stört dich da nicht etwas? Sollen wir den anderen - und dir - vielleicht noch etwas verbieten?« Auf diese Weise macht die Politik, unterstützt von bestimmten Medien, aus den Menschen furchtsame, feige, gehorsame, traurige und neidische Wesen, die das Glück des anderen immer nur als Nachteil erleben können und für autoritäre Politik anfällig sind." (Der Standard, 14.07.2013)
"Wie die Vernunft ist auch die Erwachsenheit abhängig von ihrer Verdoppelung. Es kommt darauf an, auf vernünftige Weise vernünftig, und auf erwachsene Weise erwachsen zu sein. Hingegen um jeden Preis vernünftig sein zu wollen, auf blinde und panische Weise, ist sehr unvernünftig. Ebenso ist es kindisch, um jeden Preis erwachsen sein zu wollen. Das machen nur altkluge Kinder. Solche drohen wir aber derzeit allesamt zu werden. Denn wir werden von einer übereifrigen Gouvernantenpolitik zunehmend wie Kinder behandelt. Man warnt uns vor allen möglichen Gefahren, als hätten wir von diesen noch nie gehört. […] Wer die großen politischen Ansprüche, zum Beispiel auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit aufgegeben hat, guckt eben nur noch auf den eigenen Teller und hofft dann, durch fanatisches Bravsein die Welt zu retten." (Die Presse, 28.03.2015)
Anmerkung: Die von Kulturpessimisten gern beklatschte Diagnose, wir lebten in einer zunehmend infantilen Gesellschaft, ist weder neu noch originell. Das haben unter anderem Neil Postman ('Das Verschwinden der Kindheit') und Robert Bly ('Die kindliche Gesellschaft') lange vorher getan. Auch die Erkenntnis, dass eine Gesellschaft, die mehrheitlich aus kindlichen, ichbezogenen Gemütern besteht, den Interessen kapitalistischen Ausbeutern sehr entgegenkommt, ist weiß Gott nicht bahnbrechend. Der in Linz Philosophie lehrende Robert Pfaller widmet sich dem Thema aus philosophischer Perspektive und arbeitet in seinem neuesten Buch ('Erwachsenensprache', Frankfurt a.M.: S. Fischer 2018) die politische Dimension heraus. Dabei identifiziert er jenen Teil der Linken, die sich mehr darum sorgt, dass alle Genderzuschreibungen stets korrekt bezeichnet werden als um Vermögensverteilung, als wichtigen Teil des Problems. Die teils arg verschnupften Reaktionen der bürgerlichen Presse (zum Beispiel hier und hier) jedenfalls sind möglicherweise ein Zeichen, dass er zumindest teilweise richtig liegt und an empfindliche Stellen rührt. Das Buch ist bezahlbar und daher bestellt, vielleicht folgt demnächst eine Rezension.
1 Kommentar :
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Jens Bisky schreibt:
AntwortenLöschen"Den politischen Protagonisten des "Neoliberalismus", ...lag die Absicht fern, tradierte Familienmodelle und Geschlechterrollen zu erschüttern. Aber sie haben dazu entscheidend beigetragen."
Das ist falsch. Wo es noch Fortschritte in den genannten Bereichen gab- während der Hegemonie des NL, also in etwa seit Mitte der 90er -gehen diese samt und sonders auf die früheren Bürgerrechtsbewegungen zurück.
Der Feminismus ist verkommen zu einem sozialdarwinistischen, teils rechtsextremen Karrierefeminismus, der sozial schwachen Frauen die kalte Schulter zeigt und sogar der aktivste Förderer der Zwangsprostitution ist.
Manch alte Geschlechterrolle ist überwunden, dafür sind neue reaktionäre Muster hinzugekommen.
Mann hat heute im Job und im Bett erfolgreich zu sein und frau das gefälligst gut zu finden, in seltsamem Widerspruch zu eigenen Karrireansprüchen. Männer sind an allem schuld, Frauen inkompetente Daueropfer.
Männer sind gewalttätig, Frauen nur in Extremfällen, die nicht geleugnet werden können.
Die Schwulen haben ihre Fortschritte nicht dem NL zu verdanken, sondern einer Bewegung, die bereits Ende der 70er erfolgreich wurde, die Homoehe ist da nur der letzte Ausläufer.
Der Migrantenkult und der Wunsch nach bedingungslos offenen Grenzen ist ein feuchter Traum eines Teils der NL, deckungsgleich mit einem Teil der Linken.
Von Fortschritt keine Spur, der NL ist da durchaus konsistent und in sich konsequent, auch sein kultureller Arm dient vor allem der Propaganda und hat es geschafft, Teile der Progressiven nach Strich und Faden über den Tisch zu ziehen.