Dienstag, 16. Oktober 2018

Finis Bavariae


(wie wir es kennen)

Jo sog amal, wo leben wir eigentlich? Da geht eine Landtagswahl ungefähr so aus wie von Demoskopen seit Wochen und Monaten prognostiziert, in Bayern muss die CSU sich zum zweiten Mal in ihrer Geschichte in eine Koalitionsregierung bequemen (und wird das wohl auch in Zukunft tun müssen) und dann übertrifft man sich medial mit Katastrophen-Superlativen. Ein politisches Erdbeben! Ein Fiasko! Casca il mondo! Was soll nur werden? (Fürs Protokoll: Dass Mehrheiten sich ändern, gilt außerhalb Bayerns als ziemlich normaler demokratischer Vorgang.) Was werden soll, weiß natürlich keiner, weil man nicht in die Zukunft sehen kann.

Sehr wohl lässt sich ziemlich genau sagen, was passiert ist im Freistaat. Dem rechtsbürgerlichen Lager dasselbe wie dem linken/linksbürgerlichen seit Beginn der Achtziger: Es differenziert sich aus auf Kosten der einstmals unangefochtenen Volkspartei. Anders gesagt: Das rechtsbürgerlich-konservativ-neoliberale Lager aus CSU, FDP, Freien Wählern, dem Großteil der inzwischen erzbürgerlichen Grünen sowie den nichtfaschistischen Teilen der AfD verfügt immer noch über eine bequeme Mehrheit, nur ist die halt nicht mehr ausschließlich bei der CSU verortet, sondern auf mehrere Parteien verteilt. Im Wanken ist da im Kern mal gar nichts. (Fürs Protokoll: Dass es mitunter nicht ganz einfach ist, Mehrheiten zu organisieren, gilt außerhalb Bayerns als ziemlich normaler demokratischer Vorgang.)

Nicht unterschätzt werden dürfen natürlich auch die Auswirkungen der Zuwanderung. Und zwar die jener Dreiviertelmillion Deutscher, die in den letzten Jahren aus anderen deutschen Bundesländern nach Bayern zugewandert sind. Weil's halt das attraktivste Land im Lande ist. Und die werden nun einmal nicht automatisch alle CSU-Wähler, sondern bringen auch ihre politischen Positionen, Sitten und Gebräuche mit. Ist halt eine ganz andere Kultur da droben. Den Rest erledigen Urbanisierung, Generationenwechsel und das Unbegabtenduo Seehofer/Söder. Kurz gesagt: Der hiesige Konservatismus beginnt zu zerfasern wie's die Sozialdemokratie schon seit längerem tut. Deren städtische Milieus, ihre einstigen Herzkammern, werden inzwischen zum Teil von den Grünen bedient. Die ihre besten Ergebnisse einzufahren vermögen, wenn sie den verkniffenen Veggieday-Verbotsmichel im Schrank lassen und sich als die neuen Bürgerlichen geben.

"Drum wähl ma etz in Baiern d’ Greana. Ja, da schaugts bleed, d' Greana. Unsa Franz Josef dadert zwa im Grab rotiern, aba es hülft nixe. D' Greana, de han nämlich no Hund. De wissn no, wias geht. De kinna am selbm Dog an Flüchtling busseln und am näxstn abschiam, de kinna in da fria fian Wöltfrien stricka und auf d' Nacht beim Kraus-Maffei a naie Maschinahall eiwein - und a jeda glabt, de moanas guad. De han de oinzign, de an jen Ministerposten mid nemma, und a jeda moant, de moanas guad und se dan's fia d' Leit oda fia d' Viacha oda glei für d' Wölt. Ma moant a grad, de moanas selba a.

Und: De kimma mid an jem Scheißdregg durch, wia unsa Franz Josef. Bomben schmeißn, Oawadslose drangsalieren, Leit abschiam - scheißegal, d' Umfragn genga affe. […] Aba as Allerwichtigste: D' Greana stenga no fia echte baierische Werte und de ham no a Moral, und zwa de bairische Moral und de wor scho oiwei a doppelte." * (Stefan Dietl)

Was zum politischen Erdbeben aufgejazzt wurde, ist also nichts weiter als der Ausdruck der neuen Normalität im Lande. Was übrigens auch gute Seiten hat. Etwa die Erkenntnis, dass es kaum was zu gewinnen gibt, wenn man bloß nach der Pfeife der AfD tanzt und das Thema Flüchtlinge zum einzigen Megathema aufbläst, obwohl Umfragen klar ergeben, dass die Leute dringendere Sorgen haben, genau genommen zwölf.

Und das so genannte linke Spektrum so? Blamiert sich nach Kräften und macht sich weiter irrelevant. #Aufstehen bleibt sitzen und diskutiert aus, während woanders die Musik spielt. Bedaure, aber ist so. Schmerzt mich ja selbst. Man dreht aus Haaren in der Suppe einen Strick und versichert sich der eigenen moralischen Überlegenheit. Auch nix Neues unter der Sonne also. Bisschen schmale Vorstellung insgesamt für einen Verein, der den Anspruch hat, eine Bewegung zu sein, ein neuer kleiner gemeinsamer Nenner. Zumal man sich in einem absurden AfD-Ähnlichkeitswettbewerb verzettelt. Was für die CSU ja super funktioniert hat. (Fürs Protokoll: Trotz nicht wirklich dichter Grenzen hat die Zuwanderung sich längst wieder eingependelt. Warum, das ist ein anderes Kapitel.)

Man kann Aufruf, Besetzung und den fröhlichen Partymodus der gigantischen #Unteilbar-Demo in Berlin ja wirklich gern kritisieren. Man muss selbstverständlich auch nicht mit allem einverstanden sein, was da Gassi geführt wurde. Bin ich auch nicht. Aber eine Viertelmillion gegen Rassismus und Hass auf die Straße zu kriegen, ist zunächst mal eine verdammt starke Ansage, die so nicht zu erwarten war. Dass die rechten Trollobots in den Kommentarspalten darob  Krämpfe kriegen, ist ausnahmsweise ein gutes Zeichen. Das 'linke Lager' ist inzwischen so ausdifferenziert, dass es sich wieder vornehmlich dem hingibt, was es am besten kann: Sich um der eigenen reinen Gesinnung willen zu distanzieren und abzuspalten. Faschisten sind halb so wild, solange man bloß nicht mit denen paktiert, die nicht links genug sind. Und auf ihrem Grabstein wird dermaleinst stehen: Hier ruht ein aufrechter Genosse.

Und die SPD so? Kehrt schonungslos zur Sacharbeit zurück. Ich glaube ja, die ausgefuchste Taktikerin Nahles setzt jetzt auf den Mitleidseffekt. Dass es immer noch irgendwo welche gibt, die sich ein Leben ohne SPD einfach nicht vorstellen können. Und hofft auf Hessen.


* "Deshalb wählen wir in Bayern jetzt die Grünen. Ja, da gucken Sie dumm aus der Wäsche, die Grünen. Unser ehemaliger Ministerpräsident Strauß wird sich zwar im Grab herumdrehen, aber es hilft nichts. Bei den Grünen sind nämlich noch Hunde (i.e. durchtriebene, schlitzohrige Typen). Die wissen noch, wie Politik funktioniert. Die können am selben Tag einen Flüchtling herzen und ihn am nächsten Tag abschieben, die können morgens für den Weltfrieden stricken und abends beim Waffenhersteller KraussMaffei-Wegmann eine neue Maschinenhalle einweihen - aber jeder glaubt, die meinen es gut. Die nehmen als einzige jeden Ministerposten mit und alle glauben, die meinen es gut, sie täten das für die Menschen, für die Tiere oder gleich für die Welt. Man könnte fast glauben, die meinen das selbst auch.

Und: Die kommen mit jedem Scheißdreck durch, wie unser ehemaliger Ministerpräsident Strauß. Bomben werfen, Arbeitslose drangsalieren, Menschen abschieben - egal, die Umfragewerte steigen. […] Aber das Allerwichtigste: Die Grünen stehen noch für echte bayerische Werte und haben noch eine Moral, und zwar die bayerische Moral und das war schon immer eine doppelte."




2 Kommentare :

  1. Es ist richtig unheimlich. Es gibt nur Gewinner, keiner tritt zurück. Aber die SPD hat wie immer die Fresse poliert bekommen. Angesichts der letzten zwanzig Jahre in der Regierung, mit der kurzen Ausnahme von 2009 bis 2013, haben sie aber auch kein Mitleid verdient.

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    1. Aber man weiß immerhin, wer Schuld ist: "Das war natürlich nicht gut, dass die Kanzlerin und auch Horst Seehofer es zugelassen haben, dass die SPD in den letzten Wochen und Monaten einfach vor ihnen einknickt. Das muss man an der Stelle auch mal klar benennen.", ließ Frau Nahles verlauten. Problematischerweise fällt es einem nicht auf den ersten Blick auf, dass das vom Postillon ist.

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