Sonntag, 7. Oktober 2018

Lob des Krempels


Ballast abwerfen ist ja das Gebot der Stunde. Radikal entrümpeln. Besitz belastet nur. Jeder dessen Hausrat nicht in zwei Kartons passt, ist ein krankhafter Messie und soll mal aufräumen, so geht die Fama. "Simplify your life!", predigt uns der frühere evangelische Pfarrer, spätere Zeichner frommer Witzbildchen und jetzige Oberentrümpler Werner Tiki Küstenmacher seit Jahren (und dürfte damit ironischerweise einiges an Mammon angehäuft haben, der ihn irgendwie so gar nicht zu belasten scheint). Erst wenn dein Heim aussieht wie eine leerstehende Wartehalle, dann wirst du erkennen, was wirklich wichtig ist im Leben, heißt es. Mag sein, aber ich mag nicht. Was, wenn ich es gerade faszinierend finde, dass das Leben eben nicht simpel ist, sondern komplex, kompliziert und manchmal eben unauflösbar schwierig?

"I'm only happy when it rains / I'm only happy when it's complicated
And though I know you can't appreciate it / I'm only happy when it rains
You know I love it when the news is bad / Why it feels so good to feel so sad
I'm only happy when it rains." (Garbage)


Klar, es gibt Extreme, wie immer. Menschen, die wirklich alles krankhaft sammeln, bis sie sich daheim nicht mehr bewegen können bzw. die ihre Wohnungen so vermüllen, dass Kakerlaken und Ratten sich Pfötchen geben, brauchen womöglich professionelle Hilfe, keine Frage. Ich sage auch nicht, dass es von Zeit zu Zeit nicht sinnvoll sein kann, sich von Dingen zu trennen.

Als Kind habe ich Zimmer aufräumen gehasst wie die Pest und mir nach der Pubertät, als frisch gebackener Büchermensch geschworen, nie wieder ein Buch wegzuwerfen. Letztens habe ich dennoch ein paar Bücher, kurzlebige Bestseller, von denen ich sicher war, sie so bald nicht mehr lesen zu wollen, dem Buchkasten vor dem hiesigen Kulturzentrum überantwortet. (Ich hatte mich aber rückversichert, dass sie für minimales Geld antiquarisch wiederzubeschaffen sein würden, sollte es mich dennoch mal überkommen – sicher ist sicher.) Die Dinge ändern sich. Zwei Wochen später habe ich nachgesehen, ob sie noch da waren. Waren sie nicht. Schön, Menschen Freude machen zu können. Ansonsten aber liebe ich Rummelbuden voller vermeintlich sinnlosem Krimskrams, den sie angesetzt haben wie ein alter Baum Jahresringe. Kann mich zuweilen gar nicht sattsehen an der Fülle und Opulenz.

Eine der deprimierenderen Erfahrungen meines Lebens war, wie ich vor Jahren einmal ein befreundetes Paar in deren neuer Wohnung besuchte. Alles edel, alles vom Feinsten, wie vom Innenarchitekten. Kein Ballast, kein Kram, nichts lag herum, alles akkurat. Und so unpersönlich wie ein Kühlhaus. Die Küche allein hatte 20.000 Euro gekostet, wie mir stolz erzählt wurde, aber beide konnten überhaupt nicht kochen. Warum das alles, fragte ich mich während der gesamten Visite in einer Tour. Umgekehrt habe ich jetzt erfahren, wie es im Keller des Elternhauses eines guten Freundes aussieht. Dessen Anfang des Jahres verstorbener Vater hat Zeit seines Lebens gut für die Familie gesorgt und über die Jahre souterrain ein wahres Waren- und Vorratslager aus haltbaren Lebensmitteln, Werkzeug, Kurzwaren und andern Dingen des Lebens angelegt. Mich rührte das auf eine seltsame Weise ein wenig an, allein weil es so gegen den herrschenden Zeitgeist ist.

In einer Zeit, in der es meist nur noch darum geht, anderen per sozialen Netzwerken ein irresuperspannendes Leben vorzuinszenieren, das nur mehr aus Dateien in der Cloud besteht, kann so viel Haptisches schon wieder tröstlich wirken. Eine Wohnung, ein Haus voller Krempel, an dem das Herz hängt, vermag von einem gelebten Leben zu erzählen. Ist es nicht toll, wenn einer zu jedem Souvenir eine Geschichte erzählen kann? Es geht nämlich nicht um Materielles, erst recht nicht um Reichtum, sondern um die Geschichten dahinter. Die furchtbar kitschige Stehlampe die man einst auf dem Flohmarkt erstanden hat, als man so verliebt war. Omas alte Kaffeekanne mit der Macke in der Tülle, aus der sie einem immer heißen Kakao kredenzt hat. Der Steinbrocken, den man damals auf dem Forum Romanum aufgeklaubt hat. Heimbibliotheken, CD-Sammlungen, Weinvorräte, die von Geschmack und Kennerschaft künden.

Sicher, ein jeder soll um Himmels Willen so leben wie er mag. Es nervt halt nur, wenn welche ihren höchstpersönlichen Lebensstil zur universellen Lebensphilosophie aufblasen und diesen dann anderen als seligmachend aufdrücken wollen. Am besten gegen Geld. Früher haben solche Leute vermutlich irgendwo in der Produktion gearbeitet. Heute gibt es deutlich weniger Jobs in der Branche, und so schreiben sie Bücher und veranstalten Coachings über Wegschmeißen und Zimmeraufräumen. Nun gut, wir wollen bzw. müssen halt alle von was leben.

Wer aber nun glaubt, seinen kompletten Hausrat auf den Inhalt weniger Kartons eingedampft zu haben, hebe einen irgendwie in ein postmaterialistische Zeitalter und auf eine neue Stufe des Menschseins, in der Besitztümer nicht mehr wichtig sind, und wer sich dann noch einredet, damit auch Gevatter Kapitalismus ein Schnippchen zu schlagen, könnte sich gewaltig täuschen. Besitz bedeutet nämlich nicht nur Ballast, sondern auch Sesshaftigkeit. Die Entrümpelten mit dem abgeworfenen Ballast frönen einem freudlosen Minimalismus und hohlen Wohnpuritanismus. Ganz nebenbei sind sie auch die idealen Nomaden des digitalen Kapitalismus. Immer auf dem Sprung, immer da, wo gerade Arbeit ist, schnell verzogen, im Zweifel nirgends daheim und maximal flexibel. Wer das so möchte, bitte gern. Man sollte sich aber nichts vormachen.





8 Kommentare :

  1. Mir aus der Seele geschrieben - man muss die Wohnung ja nicht bis unter die Decke vollmüllen, aber ein Grundbestand an "gewachsenem Kram" gehört zum Wohlfühlen. Erinnerungsstücke und unnötige aber schöne/witzige/interessante Dinge gehören (für mich) einfach dazu. Der bei Minimalisten und Leben-in-Ordnung-Bringern beliebte Grundsatz "Was Du ein Jahr nicht angefasst hast, gehört entsorgt" geht in herzloser Verpeiltheit am Leben vorbei. Ich habe einen Haufen Sachen, die ich höchstens alle paar Jahre mal anschaue oder gar anfasse, aber die kommen im Leben nicht auf den Müll oder in den Second-Hand-Laden.

    Das Zeug bedeutet vielleicht auch Sesshaftigkeit, es ist aber auch ein Erinnerungsschatz, fast eine Art Heimat.

    Außerdem ist diese Minimalismus- und Wegwerfsache nur was für Leute, die es sich leisten können. Wenn sich nämlich irgendwann herausstellt, dass man das eine oder andere Ausgemistete doch gebraucht hätte (ganz von Erinnerungsfragen und Sentimentalität abgesehen), kauft der Wohlhabende sich einfach was Passendes nach, aus Geschmacksgründen gern auch bei Manufactum oder so. Der arme Schlucker, der auf die Mode hereingefallen ist, steht dann ohne da und muss sehen, wo er bleibt. Schon deshalb können solche Ideen nicht allgemeingültig gesetzt werden.

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  2. Marie Kondo verdient ein Schweinegeld damit, anderen das Wegschmeißen von Sachen als Philosophie zu verkaufen. "Magic Cleaning". Eine - ansonsten kluge - Freundin von mir wollte mich auch davon überzeugen. Man soll jeden Gegenstand im Haus nehmen und sich fragen: "Macht er mich glücklich?". Ich habe dankend abgelehnt. Hier im Haus haben sich Sachen ganzer Generationen angesammelt. In meiner Küche hängt ein Geschirrtuch, das meine Oma (1991 gestorben) schon vor meiner Geburt mit dem Spruch "Ohne Fleiß kein Preis" bestickt hat. Natürlich benutze ich es nicht. Das Haus ist mit hunderten Tellern und Gläsern gefüllt und hier wurde jeder zerrissene Schnürsenkel aufgehoben.


    Ich glaube, mit dieser Wegschmeiß-"Philosophie" soll nur Platz für neuen Plunder geschaffen werden. Denn die Leere hält man, wie du richtig schreibst, nicht lange aus. Ungemütlich. Viel zu rational. Auf der Brücke der Enterprise gibt's ja auch keinen Blumentopf oder bunte Kissen. Mal wieder ein mieser Trick des finsteren Konzernkapitalismus ;o)

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    1. Wie sang einst schon Dirk von Lotzow so richtig wie schön: "Pure Vernunft darf niemals siegen." Auch diese leeren Einfamilienhaus-Neubauten ("Klare Linien, sag' ich immer! Klare Linien!") strahlen vor allem mal große Tristesse und Einfallslosigkeit aus.
      @gnaddrig: Interessanter Gedanke, das mit dem Platz schaffen für neuen Krempel. Ergibt Sinn. Lebt auch unser Wirtschaftssystem von. Hatte ich andernorts mal was zu verzapft. Alten Kram zu horten wird da inzwischen fast schon zum widerständigen Akt.

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  3. "Ich glaube, mit dieser Wegschmeiß-"Philosophie" soll nur Platz für neuen Plunder geschaffen werden."

    Genau. Im größeren Format nennt sich das Abwrackprämie oder momentan Diesel-Affäre. Weg mit den alten Dieseln, her mit den neuen. Das bringt Umsatz - und nur darum geht es. (Und nein, ich bezweifle nicht, daß die Luft vielerorts schlecht ist)

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  4. Wenn hier und dort mal wieder Sperrmüll auf dem Gehweg landet, zieht es mich magnetisch an, denn er wirkt auf mich wie eine Schatztruhe. Manchmal genügt eine oberflächlicher Scan, um festzustellen, dass nur große Möbelstücke auf ihre Beseitigung warten. Wenn aber viel Kleinkram darunter ist, sehe ich mir das näher an. Manchmal sind fast neuwertige Sachen darunter.

    In Mittenwald gab es mal eine kirchl. Frauengruppe, die Gegenstände aus Wohnungsauflösungen Verstorbener auf einem Trödelmarkt verkauften. Von dort habe ich ein altes, noch funktionsfähiges Telefon mit Wählscheibe, BJ. 1955, eine Geige mit Kasten und eine alte Klarinette erworben. Alles Schnäppchen, die jetzt als Deko dienen.

    PS.: Mein Mountainbike steht auch im Wohnzimmer. Und meine Belletristik sehnt sich mittlerweile auch nach dem nächsten Osterfeuer.

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  5. "In einer Zeit, in der es meist nur noch darum geht, anderen per sozialen Netzwerken ein irresuperspannendes Leben vorzuinszenieren, das nur mehr aus Dateien in der Cloud besteht, kann so viel Haptisches schon wieder tröstlich wirken."

    Ja, da ist was dran. Allerdings kenne ich auch viele, die ihre Wohnung ebenfalls "inszenieren". Bilder, Staubfänger oder sonstiges Gedöns, das überhaupt keine Geschichte zu erzählen hat, sondern nur "cool" wirken oder ein bestimmtes Image verkaufen soll. Selbstinszenierung, Selbstoptimierung und Selbstentfremdung sind die drei Gestirne unserer Zeit.

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    1. Selbstverliebtheit, Selbstverherrlichung, Selbstvertrauen wären noch zu ergänzen. Leider raus aus den Charts, da nicht mehr nachgefragt: Selbstlosigkeit.

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