Mittwoch, 15. Juli 2020

Seltsam - Vol. 1 & 2


Zum wiederholten Male, so ist zu hören, seien von einem Computer der hessischen Polizei personenbezogene Daten abgerufen worden, die dann dazu genutzt worden seien, Menschen zu bedrohen. Zuletzt ist die Kabarettistin Idil Baydar Opfer einer solchen Aktion geworden. Da fragt man sich: Wie konnte das passieren? Ein Datenleck? Russische Superhacker am Werk? Spyware? Nee, davon wäre ja schon bei fefe zu lesen. Die Erklärung scheint viel einfacher: Jemand hat sich ganz normal eingeloggt und auf die Datenbank zugegriffen. Natürlich ist derjenige welche leicht zu identifizieren, scheint sich aber mit einem "Ich war das nicht!" rausreden zu können. Oder ist schon von disziplinarischen Schritten die Rede?

Seltsam. Verstehe ich nicht. Dort, wo ich meinen Lebensunterhalt zu verdienen die Aufgabe habe, wird mit z.T. sensiblen personenbezogenen Daten gearbeitet und es gibt klare IT-Richtlinien. Unter anderem die, seine Zugangsdaten nie-niemals-nie-nicht aus der Hand zu geben bzw. niemals jemand anderem, und sei es die/der netteste Kollege/in, unbeaufsichtigt Zugriff auf sein Account zu gewähren. Kommt es zu Datenverlust/Datenmissbrauch, während ich am Terminal eingeloggt bin, dann habe ich ein Problem. Würde der geliebte Arbeitgeber dann belangt wegen Datenschmutz, läge da grobe Fahrlässigkeit meinerseits vor und ich hätte schlimmstenfalls mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Eine Ausrede wie: "Also ich war das nicht.", könnte ich mir sonstwohin schieben. Und mein Chef müsste auch nicht kündigen.

Und weil dem so ist, halten sich meines Wissens auch alle dran. Einen Spruch wie: "Lass mich mal eben an deinen Rechner, Kollege, ich hab gerade mein Passwort vergessen.", habe ich noch nie gehört. Und wenn, dann lautete die Antwort: "Dann ruf doch die IT an und lass dein Passwort zurücksetzen oder dir ein neues geben." Scheint bei der hessischen Polizei irgendwie anders zu sein. Gilt die DSGVO nicht für die? Oder muss das mit dem 'Freund und Helfer' einfach neu gedacht werden?

***

Jetzt regen sich ja auch alle möglichen auf, darunter viele, denen Religion ansonsten sonstwo vorbeigeht, als sei der Menschheit Heiligstes geschändet. Weil der Erdoğan per Dekret die ehemalige Kirche und ehemalige Moschee und das ehemalige Museum Hagia Sophia wieder als Moschee nutzbar macht. Abgesehen davon, dass derartige Kraftmeier-Gesten normalerweise lediglich ein Indikator dafür sind, wie gewaltig nötig es jemand hat und insofern eher ein Ausdruck der Schwäche denn der Stärke, muss am meisten die Reaktion der UNESCO verwundern. Die bedaure die Umwidmung des Gebäudes, heißt es.

Seltsam. Verstehe ich nicht. Also einiges andere schon. Man kann das natürlich politisch diskutieren. Dass es sich wahrscheinlich um eine ziemlich vordergründige Geste Erdoğans handelt. Ein Versuch, seine schwindende Macht zu festigen, indem er die Strenggläubigen bedient. Oder die Frage, ob er sich damit als Fatih, als Anführer des Islam inszenieren will. Man kann es kritisieren, dass er das par l'ordre de Mufti durchgedrückt hat (vielleicht, weil er demokratisch keine Mehrheit gehabt hätte). Oder den Schritt theologisch heikel finden, wie das römische Religionsoberhaupt.

Aber was hat das alles mit dem Weltkulturerbestatus zu tun? Problematisch wäre natürlich, wenn man sich nunmehr unter Berufung auf das islamische Bilderverbot ikonoklastisch wiederbetätigte und die unschätzbaren spätantiken Mosaiken und Fresken wie einst Mehmed II. aufs Neue überputzte. Aber danach sieht es momentan nun eher nicht aus. Obwohl Denkmäler putt machen ja gerade voll im Trend liegt.

Dürfen religiöse Gemäuer nur Weltkulturerbe sein, wenn sie als Museen genutzt werden? Habe ich da was verpasst? Das wäre nämlich ein Problem. Nicht weniger als neun der hiesigen Welterbestätten sind meines Wissens nach Kirchen, die auch als solche genutzt werden. Aachener Dom, Kölner Dom, Speyerer Dom etc. Die kann man besichtigen, doch hat man als Tourist auf die Belange dort praktizierender Gläubiger Rücksicht zu nehmen. Und die Katholen sind noch großzügig, denn gucken und fotofieren kostet meist nichts. In Großbritannien nehmen sie teils happig Eintritt für‘s Besichtigen von Kathedralen der Church on England. Auch für einen Besuch des protestantischen Berliner Doms ist Backschisch fällig.

Das US-amerikanische State Department ließ wissen, man erwarte von der Türkei, das Gebäude weiterhin für die Weltöffentlichkeit zugänglich zu halten. Yeah, eat this, Recep!

Fun fact: Moscheen sind normalerweise problemlos auch für Nichtmuslime zu besichtigen. Man muss halt Rücksicht nehmen. Schuhe ausziehen. Vollständig angezogen sein. Frauen haben ihr Haar zu bedecken. Das muss man nicht toll finden, noch nicht einmal verstehen. Aber das kann man respektieren, erst recht als weltoffen sich dünkender Mensch. Wo ist das Problem?

Zumal die beiden letzteren Vorgaben auch in südeuropäischen Kirchen meist noch verlangt werden. So hatte ich einst bei einem Romaufenthalt viel Spaß, als ich bei warmem Wetter, mit gelato bewaffnet, auf den Stufen des Eingangs zum Petersdom saß und die doofdreisten Reaktionen vornehmlich amerikanischer und deutscher Touristen bestaunte, denen die Schweizergarde wegen nachlässiger Aufmachung den Zutritt verwehrte. Bekanntlich bin ich agnostisch unterwegs, religiöse Gefühle waren also nicht im Spiel. Aber ich kenne wenig schöneres, wie wenn Ignoranz und Respektlosigkeit eins aufs Dach kriegen.





4 Kommentare :

  1. Auch wenn man bei den Gläubigern kaum eine andere Chance hat, als auf sie einzugehen, so handelt es sich hier nur um die Gläubigen. Hier ist es ein Gebot, diese in Ruhe zu lassen, jedoch ist die Störung des Gebets mitnichten ein Straftatbestand in Deutschland. Zuwiderhandlung kann allerdings zu unerwünschten Sozialkontakten führen.

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    1. Halbnackt im Kölner Dom zur Weihnachtsmesse hat 2015 600 Piepen gekostet.

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    2. Ui, Tatsache....https://dejure.org/gesetze/StGB/167.html
      Ich hatte mal irgendwann in den 80ern gelesen, dass diese Paragraphen entfielen. So kann man sich irren.

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