Freitag, 23. Oktober 2020

Jenseits der Blogroll - 10/2020


Die Links und Empfehlungen für Oktober:

Politik. Normalerweise bin ich vorsichtig damit und halte es für naiv, 'alternative Medien' in den Himmel zu heben. Es zeigt sich, dass auch 'alternative', vermeintlich unabhängige Medien nicht gefeit sind davor, exakt in jene Muster zu verfallen, die sie den 'etablierten' Medien gern vorwerfen. Rechthaberei, Lagerdenken und interessengeleitete Propaganda zum Beispiel. Aber es gibt Ausnahmen. So hat sich Stefan Sasse zu dem grausamen Mord an Samuel Paty geäußert. Man lese das. Es ist das mit Abstand Klarste, Differenzierteste und Beste, das mir zu diesem Thema untergekommen ist.

Amy Coney Barrett, die von den Republikanern im Eilverfahren gekürte Richterin am SCOTUS, ist nicht nur konservative Katholikin, sondern in Verfassungsfragen auch eine Anhängerin des Originalismus. Diese für Europäer nicht ganz leicht verständliche Denkschule strebt an, die amerikanische Verfassung exakt so zu verstehen und zu interpretieren, wie einst von den Verfassungsvätern des 18. Jahrhunderts beabsichtigt. Hieße das nicht: Keine Bürgerrechte für Frauen und Schwarze (auch keine Richterposten, versteht sich)? Und müsste die NRA nicht konsequenterweise mit Vorderladermusketen herumballern? Spaß beiseite, sieht umair haque im Originalismus den Grund, aus dem die USA in Rechtsdingen den Anschluss an die Moderne verpasst haben.

Ulrike Herrmann: Eine kurze Geschichte der Wiedervereinigung.

Leo Fischers Beitrag über Liebig 34 und das Elend deutscher Städte, den ich gern von vorn bis hinten unterschreiben möchte.

Noch ein Fischer:

"Menschen, die einem erstens biografisch-persönlich und zweitens strukturell-systematisch unterlegen sind, zu verhöhnen, ist weder schwierig noch mutig; es ist leicht und eher erbärmlich. [...] Strafrichter haben zu einem großen Teil mit Sachverhalten zu tun, die sie selbst nie erleben, und mit Menschen, denen sie in vielerlei Hinsicht selbst denkbar fernstehen. Strafrichter wachsen nicht in Hartz-IV-Familien auf; sie wohnen nicht zu sechst auf 65 Quadratmetern; am 25. des Monats ist das Geld in der Regel noch nicht versoffen; sie können Französisch und ein bisschen Latein und fürchten sich bis auf den Grund ihrer Seele davor, sozial abzustürzen und verachtet zu werden, während ihre Klientel dieses Gefühl schon in der Kita inhaliert hat."

-- So heißt es in einer ebenfalls von vorn bis hinten lesenswerten Kolumne von Thomas Fischer.

Corona/Covid-19. Interview mit Christoph Butterwegge zu den sozialen Folgen der Pandemie.

Ein Zweiteiler von Ulf Froitzheim zum Thema: 
Teil 2: Professor Seltsams Impfgegner und Quanten-Geistheiler

Wer gedacht hat, Bill Gates sei der dämlichste Großkriminelle, den die Welt je gesehen hat (wir erinnern uns), wird nunmehr eines Besseren belehrt: Hunter Biden schlägt Gates im Puncto Dämlichkeit um Längen. Zumindest, wenn das stimmt, was aus dem Umfeld von Donald Trump über ihn verlautet. Kann man glauben. Dann reagiert man vermutlich auch schadenfroh darauf, dass Jens Spahn sich mit einem Virus angesteckt hat, das wahlweise gar nicht existiert oder total harmlos ist.

Kultur. Georg Seeßlen mit dem Nachruf auf Herbert Feuerstein.

Eine wunderschöne, anrührende Erinnerung von Maxi Leinkauf an ihre Englischlehrerin Frau Mittmann.

Die Pfeifenorgel mit Rockmusik zusammenzubringen, haben meines Wissens nach als erste Yes 1972 auf 'Close To The Edge' (ab 12:11) versucht. Die mächtigen Orgelakkorde waren damals zwar eine echte Neuerung, insgesamt gesehen aber ein punktueller Effekt. Die Schwedin Anna von Hausswolff macht das seit ihrem Debutalbum von 2015 weit konsequenter. Erinnert manchmal zwar an Björk, hat aber ansonsten schon seinen Reiz:
 
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Jens Tanz alias Sandmann hat 2016 Heinz Körner besucht. Wer das ist? Einer der Helden meiner Kindheit. Körner zeichnete von 1975 bis 2000 den YPS-Comic 'Yinni und Yan' (der mich, wie viele meiner Alterskohorte, ein Stück Weges begleitet hat). Er allein. Jede verdammte Woche eine Folge, ohne Unterbrechung. Erst 10, später acht Seiten. Über 1.200 Episoden waren es am Ende. Bin da kein Experte, aber das dürfte in der deutschen Comic-Szene ein unerreichtes Output sein.

Sport. Doppelinterview mit Karl-Heinz Rummenigge und Michel Platini, die heuer beide 65 werden.

Essen, Trinken, Leben. Der geschätzte Vincent Klink hat seine Webseite gut schwäbisch gekehrwocht und runderneuert. Das hat Vor- und Nachteile. Der anachronistische Charme des Web 1.0 ist jetzt perdü. Nostalgiker finden das doof. Andererseits sind seine oft lesenswerten Tagebucheinträge jetzt endlich direkt verlinkbar. So auch seine Gedanken zum Tafelsilber. Mir gefällt das.

Gerhard J. Breuer war auf der Baar im Schwarzwald und hat sich dortselbst im Gasthaus Löwen im Brigachtal eine Schlachtplatte schmecken lassen. Sein Fazit: Landhausgastronomie auf höchstem Niveau.

Das Rezept. Kartoffelsalat ist eines dieser Gerichte, über deren einzig wahre Zubereitung zuweilen Glaubenskriege ausbrechen. Wenn nicht jahrelang toben. Dabei geht es auch um Fragen wie die, welche Kartoffelsorte nun zu verwenden sei. Festkochende wie die delikate Frau Linda oder eher saugfähige mehlige? Damit nicht genug, verläuft quer durch Deutschland neben dem Weißwurstäquator und dem Grünkohlgraben noch der Limes der Kartoffelsalat-Zubereitung: Im Süden kommen Essig, Öl und eventuell Bouillon dran, im Norden schwört man auf Gürkchen, gekochtes Ei und Majo.

(In Zeiten kalorischer Panik panschen nicht wenige mit irgendwelchen 'leichten' Salatcremes herum. Ein Tipp: Wer Angst vor Majonaise hat, soll den Diät-Chemiesumpf doch einfach beim Kaufmann vermodern lassen und stattdessen zu Creme fraîche greifen oder, wie in Thüringen, zu saurer Sahne, die sich ggf. mit etwas Öl geschmeidig machen lässt.)

Alle aber behaupten felsenfest, den einzig wahren Kartoffelsalat zu machen bzw. die Mutter oder Großmutter mache den einzig wahren. Kaum irgendwo heißt es öfter "So und nicht anders!" wie beim Kartoffelsalat. Wobei ich als Norddeutscher mit bayerischer Verwandtschaft sagen muss, dass die leichtere südliche Variante, auch wegen der verdauungsfördernden Säure, zu Paniertem und Ausgebackenem weit mehr Sinn ergibt als die wuchtige nördliche. Wir halten uns aus all dem raus und probieren mal Sałatka ziemniaczana - polnischen Kartoffelsalat. Dobry apetyt!








2 Kommentare :

  1. Das war mal wieder ein extravagantes Bouquet, insbesondere mit ein paar schönen Streif­lichtern aus der Welt des inter­natio­nalen Kartoffel­salats. Dennoch blicke ich mit mildem Unver­ständ­nis auf Deine beiläufige Björk-Ver­ächt­lich­machung.

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    1. Pardon, das ist mir so rausgerutscht. Ich kann mit dem Schaffen der Dame so überhaupt nix anfangen. Als sei ich eine männliche Ausgabe von Anna, Annette und Else. (Liegt aber höchstwarscheinlich an mir.)

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