Heute: Robert Misik über die Krise des Westens
"Eine ewige Kompliziertheit ist es mit dem Westen: Er steht für die Idee der Freiheit, zugleich aber auch für Selbstverleugnung, Überheblichkeit und Verlogenheit. [...] Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges gab es eine Diskrepanz zwischen dem Behaupteten und der Realität. »Der Westen« hielt Demokratie, Menschenrechte und Freiheit hoch und war zugleich Drahtzieher faschistischer Staatsstreiche wie in Chile und beging Kriegsverbrechen wie in Vietnam. [...] Heute ist die Idee des Westens längst durch die antiwestlichen Bewegungen im Westen selbst herausgefordert, also durch die Orbans, Höckes, Kickls und Trumps. Die geopolitische Dominanz des Westens ist sowieso schon untergraben, die ökonomische hat ein Ablaufdatum, und die liberale Demokratie wird von Innen in Trümmer gelegt. [...]
Es gibt einen regelrechten westlichen Selbsthass. Dieser redet die Errungenschaft von Rechtsstaat und Moderne klein, erklärt die erkämpften Liberalitäten zur Petitesse und betet den Common Sense nach, dass er Westen an allem schuld sei. Das ist die Gewissheit schlichter Gemüter, und zwar völlig unerheblich, was er konkret macht oder ob er überhaupt etwas macht, dieser ominöse Westen. Schuldig macht er sich, wenn Genozide nicht mit militärischer Gewalt gestoppt werden (wie in Ruanda und Anfangs in Bosnien-Herzegowina), und ebenso, wenn völkerrechtswidrig interveniert wird, wie in Libyen oder Afghanistan. Dass der Westen Putin so gekränkt hat, dass er gar nicht anders konnte, als die Ukrainer zu massakrieren, ist nur die irrsinnigste Konsequenz. Am Ende sind auch Mörder keine Mörder, sondern Leute, die einfach nicht anders konnten, da »wir« sie gedemütigt und provoziert haben." (misik.at, 2. Oktober 2023)
Anmerkung: Hier gibt es wenig hinzuzufügen. Aus Sicht von Antiwestlern kann 'der Westen' quasi nichts richtig machen. Nur entwertet die so unbestreitbare wie unangenehme Tatsache, dass 'der Westen' seine propagierten Ideale immer wieder schnöde verrät, diese Ideale ja nicht bzw. macht sie nicht obsolet. Sicher, westliche bzw. im Westen entstandene Werte wie Rechtsstaatlichkeit und verbriefte Freiheitsrechte werden oft korrumpiert, nicht selten auf Betreiben des Kapitals, aber das bedeutet nicht, dass es sich nicht lohnt, für sie zu kämpfen.
Auch hier ist es hilfreich, den Blick über den europäisch-deutschen Tellerrand hinaus zu richten. Ignoriert man diverse Regierungspropaganda, ist es doch interessant, dass ein im weitesten Sinne westlicher Lebensstil für viele auf der Welt, die ihn nicht haben, immer noch etwas ziemlich Erstrebenswertes zu sein scheint. So erstrebenswert zumindest, dass dortige Machthaber zum Teil zu drakonischen Mitteln greifen, um entsprechende Bestrebungen zu unterdrücken. Man erzähle zum Beispiel Chinesen, dass Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit eine bloße Farce seien, oder protestierenden Iranern was von einem westlich-dekadenten Witz namens Religionsfreiheit.
Kurz: "Antiwestliches Ressentiment, so die Vermutung, macht die Luft nicht besser." (Misik, a.a.O.)
Für diesen Beitrag bekommt Herr Misik von mir auch ein +1!
AntwortenLöschen... von mir ebenfalls.
AntwortenLöschenGruss
Jens